In der Frankfurter Rundschau von heute gibt es einen ausführlichen Beitrag zur Stadtentwicklung in der französischen Hauptstadt: Paris: Die geteilte Stadt. Werner Girgert stellt in seinem Artikel die zunehmenden Exklusionstendenzen in den Kontext der global city formation von Paris. Der wirtschaftliche Erfolg und erwirtschaftete Reichtum auf der einen Seite trieb den Pariser Immobilienmarkt zu immer neuen Höhen. Angesichts der Krise können sich selbst Besserverdienende die Wohnungen in der Innenstadt nicht mehr leisten und weichen auf die bisher preiswerten Wohnquartiere im Osten der Stadt aus. Paris bietet damit eine anschauliches Beispiel für die Funktionsweisen von Aufwertungsketten, bei denen die Verdrängten aus den hyper-gentrifizierten Zonen der Stadt zu den Gentrifieren in anderen Wohngebieten werden.
Paris: Weltstadt der sozialen Spaltung
In der französischen Hauptstadt konzentrieren sich die Konzernzentralen der international verflochtenen Ökonomie, die neuen Dienstleistungsberufe, der erwirtschaftete Reichtum und die luxuriösen Konsumangebote für diejenigen, die an diesem Reichtum teilhaben. Wo das Netzwerk der Globalisierung seine Knoten knüpft, verschärfen sich auch die Konflikte um die Nutzung der Stadt. Auf der Strecke bleiben die Armen und Geringverdiener. Sie werden an den Rand der Stadt gedrängt, damit sich die neue urbane Schicht der Wohlhabenden im Zentrum ausbreiten kann.
Diese „Ausbreitung der Wohlhabenden“ erfasse inzwischen auch die „abgewirtschafteten Wohnviertel im Norden und Osten der Stadt, die bislang der ärmeren Bevölkerung noch eine billige Bleibe boten“. Auch die linke Regierungskoalition aus Sozialisten, Kommunisten und Grünen habe seit ihrer Wahl im Jahr 2001 daran nichts zu verändern vermocht. Insbesondere die Idee, durch die Errichtung von Sozialwohnungen im reicheren Westen von Paris die sozialräumlichen Spaltungen der Stadt zu überwinden, gelten weitgehend als gescheitert.
Bei den Reichen und Superreichen im Pariser Westen stieß die annoncierte Zuwanderung aus der Unterschicht auf Widerstand. Ein Übriges tun die Bodenpreise, die es der Stadt nahezu unmöglich machen, dort Flächen für den sozialen Wohnungsbau zu erwerben.
Zwar konnten die jährlichen Neubauzahlen von Sozialwohnungen im Vergleich zur konservativen Vorgängerregierung verdoppelt werden, doch…
… in den äußeren nördlichen, östlichen und südöstlichen Arrondissements, den traditionellen Arbeiter-, Handwerker- und Arme-Leute-Vierteln, die sich in einem Halbkreis um das reiche Stadtzentrum legen. Schon heute verteilen sich 40 Prozent der als arm geltenden Haushalte und die Hälfte der rund 185.000 Pariser Sozialwohnungen auf drei der östlichen Arrondissements.
Neue Wohnungsnot, Krise und Aufwertungsketten
Unabhängig von der Lage werden der jährlich neu errichteten 6.000 Sozialwohnungen den Bedarf nach preiswerten Wohnraum in der Stadt nicht decken. Auf den Wartelisten der Pariser Wohnungsämter sind schon jetzt mehr als 110.000 Bewerber/innen gemeldet. Tendenz steigend: denn durch die steigenden Mieten und hohen Eigentumspreise sind zunehmend auch die berufstätigen Mittelschichten auf staatliche Unterstützung bei der Wohnungssuche angewiesen.
Auch die traditionellen Stützen der Stadtgesellschaft, einfache Angestellte und Beamte mit ihren Familien, ja selbst Lehrer können sich auf dem freien Markt keine Wohnung mehr leisten. Sie konkurrieren um die wenigen Sozialwohnungen für mittlere Einkommensgruppen, bei denen die Mietobergrenze bei 9,14 Euro pro Quadratmeter gedeckelt ist. Auf diese Weise will die Stadtregierung die weitere Abwanderung der Mittelschicht in die suburbane Eigenheimidylle stoppen.
Seit dem Jahr 2000 haben sich die Preise für Eigentumswohnungen im Altbaubestand auf durchschnittlich 6.000 Euro/qm verdoppelt und die Mietpreise rangieren zwischen 17 und 23 Euro/qm. Zunehmend von diesen Aufwertungen erfasst sind nun auch die Wohnquartiere im Osten der Stadt.
Mit den neuen Bewohnern sind auch in den ehemaligen Arbeitervierteln im Osten der Stadt die Immobilienpreise kräftig gestiegen, erschwinglichen Wohnraum sucht man hier allmählich vergebens. So wächst der Druck auf die weniger Zahlungskräftigen, die ihre angestammten Quartiere verlassen müssen, wenn es ihnen nicht gelingt, eine öffentlich geförderte Wohnung zu finden.
Ein Grund für die Verlagerung des Gentrificationschwerpunktes wird in der Finanzkrise verortet. Die Vermögensverluste und Unsicherheiten bei den Besserverdienenden lassen ihre Wohnwünsche bescheidener werden. Statt der repräsentativen Wohnung in exklusiver Zentrumslage begnügen sie sich nun mit den sanierten Altbauwohnungen im Osten der Stadt.
Die Finanzkrise hat dem Pariser Immobilienmarkt zwar einen leichten Dämpfer versetzt. Größere Eigentumswohnungen lassen sich zurzeit nur schwer vermarkten. Von sinkenden Preisen kann jedoch keine Rede sein. Besonders die Jüngeren unter den Besserverdienern, Kreative und Künstler weichen auf der Suche nach bezahlbaren Wohnungen verstärkt in die ärmeren östlichen Arrondissements aus. Die Folgen lassen sich im Bastille-Viertel rund um den Faubourg Saint-Antoine bis hinauf zur Rue Oberkampf beobachten: Wo einst Tischler und Schreiner ihre Werkstätten betrieben, Arbeiter sich in Eckkneipen trafen und Lebensmittelläden alles für den täglichen Bedarf anboten, reihen sich jetzt Szene-Lokale an Designerläden, und Bio-Restaurants wechseln sich mit Galerien ab. Auf den Straßen sieht man modisch gekleidete Männer, die verhuschte Schoßhündchen spazieren führen. Vor den Cafés sitzen junge Frauen, die auf ihr Handy einreden oder in ihr Notebook starren, die Augen hinter schwarzen Sonnenbrillen verborgen.
Die Finanzkrise als Auslöser von neuen Gentrificationdynamiken. Wer hätte das gedacht. Das Pariser Beispiel zeigt, dass Aufwertungsprozesse nicht auf ökonomisch erfolgreiche und wachsende Städte beschränkt bleiben, sondern sich – ein differenzierter Wohnungsmarkt vorausgesetzt – auch unter den Bedingungen der Rezession durchsetzen können. Prozesse der HyperSuper-Gentrification werden von von Loretta Lees als ‚Dritte Welle‘ der Gentrification bezeichnet und beschreiben die Schließung von Aufwertungsgebieten für frühere Gentrifier und besserverdienende Haushalte. Effekte dieser Exklusionen auf einem sehr hohen Niveau sind Ausweichmobilitäten in andere, aus der Perspektive der verdrängten bzw. exkludierten Mittelklasse-Haushalte preiswerte Wohngebiete, in denen sie wiederum Aufwertungsprozesse auslösen. Solche Aufwertungsketten könnten als Sickereffekte der Gentrification bezeichnet werden und verweisen darauf, dass Gentrification nicht auf wenige ausgewählte Viertel beschränkt bleibt, sondern als allgemeiner (wenn auch nicht allumfassender) Trend des aktuellen Stadtentwicklungsmainstreams angesehen werden muss.