Berlin: Randwanderung der Armut als Rückseite der Medaille

Sozialmonitoring: Rückläufige Arbeitslosenquoten in den Innestadtbezirken - Gebiete mit hoher Konzentration am Stadtrand

Über Gentrification wird viel und gern geschrieben – meist enden die Geschichten und Studien mit dem Verdrängungsbefund: „mussten Ausziehen“, „konnten sich die Wohnung nicht mehr leisten“, „ist keiner mehr da“. Über die konkreten  Folgen und Zielorte der Verdrängung gibt es nur relativ wenige Studien und Berichte. Ein Blick auf die sozialräumlichen Dynamiken in Berlin legt jedoch eine Randwanderung der Armut nahe. Während in den mittlerweile angesagten Innstadtquartieren vor allem junge, gut ausgebildete und zum Teil auch besserverdienende Haushalte zuziehen, sind es in den Großsiedlungen am Stadtrand vielfach diejenigen, die sich woanders keine Wohnungen mehr leisten können. Die kleinräumigen Berichten des Berliner Sozialmonitorings weisen sowohl für einzelne Wohnlagen in Spandau als auch in Marzahn Hellersdorf eine steigende Konzentration von Armutsindikatoren aus.  Noch gibt es keine Ghettos wie in Paris, doch die Randwanderung der Armut liegt auch in Berlin im Trend.

Die Redaktion von heute.de hat diese Fragestellungen aufgegriffen und ein kleines Interview zum Thema auf die Seite gestellt: „Steigende Mieten: Vielen bleibt nur der Rand von Berlin„.

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Berlin: Die Renditestreber von Moabit

Mieterprotest in der Calvinstraße (Bild: MoabitOnline)

Die Verdrängung der Mieter/innen aus ihren Wohnungen beschränkt sich längst nicht mehr auf die vermeintlichen Trendbezirke – auch in Moabit gewinnt die Aufwertungsspirale an Schwung. In der Melanchton/Calvinstraße hat die Terrial GmbH zum Jahreswechsel weitere Kündigungen ausgesprochen. Mit Luxusneubauten und Wohnungsmodenierungen versuchen die Eigentümer mehr Geld aus ihren Grundstücken Häusern zu schlagen. Die bisherigen Bewohner/innen stören dabei und werden mit verschiedenen Mitteln zum Auszug bewegt: Neben jahrelangem Baulärm und Baubelastungen sind drastische Modernisierungsumlagen (von fast 5 Euro/qm) und Kündigungen wegen angeblichen Mietzahlungsverzugs (wegen vom Eigentümer nicht anerkannter Mietminderungen) die Verdrängungsinstrumente der Wahl.

Vor Ablauf der Kündigungsfrist am 31.12.2011 haben die Mieter/innen noch einmal die Öffentlichkeit gesucht und kurz vor Weihnachten gemeinsam mit dem Berliner MieterVerein zu einem Pressegespräch geladen. Ausführliche Berichte gibt es bei MoabitOnline („Calvinstraße 21 – die letzten Mohikaner?„), im Neuen Deutschland („Zu Weihnachten die Kündigung„) und bei der Berliner Abendschau („Mieterprotest in Tiergarten„).

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England: Eigentumsförderung lässt Mieten steigen

Steigende Wohnkosten in England. Selbst der Telegraph fragt: "What about the Tenants"

Nicht nur in Berlin werden die zu geringen Wohnungsbauaktivitäten für die aufkommende Wohnungsnot verantwortlich gemacht. In England – so die Immobilien Zeitung – wird in den kommenden 20 Jahren mit einem jährlichen Plus von 230.000 Haushalten gerechnet. Dem stehen zur Zeit lediglich 115.000 neugebaute Wohnungen gegenüber. Das Grundproblem sei die „schwächelnde Nachfrage“ beim Wohneigentumserwerb: Die „relative Erschwinglichkeit von Wohneigentum“ sei gesunken.

Dir britische Regierung reagiert auf den Wohnungsmangel nicht etwa mit einem Verstärkung des Mietwohnungsbaus, sondern mit einem millionenschweren Förderprogramm zum Eigentumserwerb.

Im Rahmen einer „Housing Strategy for England“ setzen David Cameron und seine Wohnungsbauexperten  auf ein neuartiges Garantiemodell für die finanzierenden Banken (siehe auch GuardianHousing strategy: at a glance). Im der Immobilien Zeitung wird das Modell knapp zusammengefasst:

Ein innovatives Garantiemodell für die Banken, getragen von der Bauindustrie und der Regierung soll eigenkapitalschwachen Käufern unter die Arme greifen. Dafür finanzieren die Bauträger aus ihren Verkaufserlösen einen Fonds, der sieben Jahre lang greift, wenn Abschreibungen auf die Kredite fällig werden. (Immobilienzeitung, 1.12.2001, S. 7)

Bis zu 100.000 Haushalte könnte so zusätzlich beim Haukauf unterstützt werden. Bereits im Sommer 2011 beschloss die Regierung einen FirstBuy-Fonds (400 Mio. GBP) um Erstkäufer mit frisches Eigenkapital zu versorgen.

Experten schätzen ein, dass aufgrund der Finanzkrise und der steigenden Eigenkapitalanforderungen durch die Banken die Eigentumsquote trotzdem sinken wird. Da sich aber die Förderprogramme auf eben diesen Eigentumssektor konzentrieren,  gibt es wenig Anreize für ein Investment in den Mietwohungssektor. Die Folge: Steigende Mietpreise.

Die lachenden Dritten am britischen Immobilienmarkt könnten die Wohnungsvermieter sein. Die Makler von Savills gehen davon aus, dass die Umsatzflaute bei Eigenheimen und die steigende Nachfrage nach Mietwohnungen die Neuvertragsmieten bis zum Jahr 2016 jährlich um 3% bis 4,5% nach oben treiben werden. (Immobilien Zeitung, 1.12.1011, S. 7)

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Lesetip: Gentrification-Debatte neu aufgelegt

Seit sich die Gentrification zum Modebegriff des Feuilletons entwickelt hat, habe ich mehrfach die damit einhergehende Banalisierung des Erklärungsmodells für städtische Inwertsetzungsprozesse und ihre Folgen kritisiert. Umso höher sind die Versuche einzuschätzen, sich tiefergehender und auch auf einer theoretischen Basis mit den Erklärungsansätzen der Gentrification-Forschung zu beschäftigen.

In den letzten Monaten hatte ich die Gelegenheit gleich in zwei unterschiedlichen Kontexten über die Reichweite von Gentrification-Theorien zu diskutieren.

Die entgrenzt (Studentische Zeitschrift für Geographisches) hat sich in ihrer zweiten Ausgabe unter dem Titel „Burn, Bonze, Burn! – soziale und ökologische Aspekte der Gentrifizierung im 21. Jahrhundert“ (pdf) dem Thema der umkämpften Räume in den Städten zugewandt. Darin enthalten ein relativ ausführliches  Gespräch mit Jan Glatter und mir:

  • Jan Glatter & Andrej Holm: Wir sollten uns nicht damit zufrieden geben, wenn städtische Veränderungen als ganz natürlicher Zyklus der Stadtentwicklung beschrieben werden (S. 5-17)
  • Stephan Diesel: Das liberalisierte Recht auf Stadt (S.18-25)
  • Cosima Werner: Grüner Daumen gegen graue Stadt – urbane Gärten und urbane Landwirtschaft (S.26-36)
  • Noah Quastel: Understanding Neighborhood Gentrification as Socio­-Ecological Processes (S. 37-43)

Die zweite Diskussion hat sich an einem Vortragstext der Gruppe Jimmy Boyle zur Gentrification (Juni 2006) entwickelt. Im Mittelpunkt der Argumentation steht eine eher polit-ökonomische Erklärung von Gentrificationprozessen. Weil die Autor/innen sich explizit auf einige meiner Beiträgen bezogen, habe ich über einen Kommentar zum Vortrag einige Argumente versucht noch einmal zu schärfen. Jimmy Boyle haben mit einer Antwort auf meinen Kommentar und einer überarbeitetet Fassung des Ursprungsbeitrages die Diskussion fortgeführt, so dass sich eine ziemlich spannende Debatte über die Grundlagen der Gentrification entwickelt haben.

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Zürich: „Seefeldisierung“ als Wort des Jahres knapp gescheitert

Auch in der Schweiz wird seit 2003 ein Wort des Jahres gewählt. Eine Jury aus Literat/innen, Musiker/innen und Journalist/innen wählte auch dieses Jahr aus über 1.000 Vorschlägen das Wort des Jahres. Auf dem ersten Platz 2011 landete das Wort „Euro-Rabatt“ – doch schon kurz dahinter der hierzulande kaum bekannte Begriff der „Seefeldisierung„. Im Tagesanzeiger heißt es zur Begründung:

Das Gremium bestimmte zusätzlich zwei weitere wichtige Begriffe: Der eine ist «Seefeldisierung» als Schweizer Pendant zur englischen «Gentrification», dem Phänomen, dass ganze Stadtviertel durch Zuwanderung von reichen Bewohnern zu für bereits Ansässige unerschwinglichen Luxusquartieren mutieren.

Zürich Seefeld gilt seit längerem als Paradebeispiel der Gentrifcation und auch im Gentrificationblog wurde schon darüber berichtet: Zürich: Sind Hausverkäufer verantwortlich für die  Gentrification?

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Berlin: Wanderungsgewinne verstärken Verdrängungsdruck

Berlin ist immer beliebter! Wanderungsgewinne von über 80.000 Personen seit 2006

Das Amt für Statistik Berlin Brandenburg hat gerade die aktuellen Zahlen der Wanderungsbewegungen nach, aus und in Berlin veröffentlicht. Allein im ersten Halbjahr 2011 sind etwa 17.000 mehr Personen nach Berlin gezogen als von hier fort. Damit wird der Trend der vergangenen Jahre nicht nur bestätigt sondern übertroffen. Bereits seit 2005 blicken die Statistiker auf durchgehend positive Wanderungsbilanzen von 10.000 bis 17.000 Personen pro Jahr zurück. Diese Zahlen werden nun bereits in der Halbjahresbilanz 2011 erreicht:

In den ersten sechs Monaten des Jahres 2011 zogen 69 500 Personen nach Berlin, demgegenüber standen Fortzüge von 52 100 Personen. Ausschlaggebend für den daraus resultierenden hohen Wanderungsgewinn war die positive Bilanz mit dem Ausland (10 200 Personen) und den alten Bundesländern (5 400 Personen).

Ursächlich für die Entwicklung in diesem Jahr sind den Statistiken zufolge die Wanderungsbewegungen über den Landesgrenzen hinweg. Die Zahl der Zuzüge aus dem Ausland übersteigt die Fortzüge deutlich. Noch in den vergangenen Jahren war es umgekehrt und es waren mehr Umzüge aus Berlin ins Ausland, als aus dem Ausland nach Berlin zu verzeichnen.

Zielbezirke der Zuwanderungen sind die Innenstadtbezirke – der dort steigende Nachfragedruck löst massive Umzüge in die Randbezirke der Stadt aus.

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Berlin: Die Angst des Quartiersmanagements vor der Gentrification

Bild via Exportable

Kaum zu glauben: Die ganze Stadt spricht mittlerweile von Gentrification. Die ganze Stadt? Nein, ein kleines Dorf im Schatten des Mauerparks leistet entschiedenen Widerstand… Nicht gegen die Aufwertung und Verdrängung, aber immerhin gegen den Begriff der Gentrification. Die vom Quartiersmanagement Brunnenviertel herausgegebenen Kiezzeitung verbannte einen Beitrag, der sich mit den aktuellen Aufwertungstendenzen auseinandersetzt aus der aktuellen Ausgabe.

Auslöser war ein eher harmlos geschriebener Artikel „Es wird besser. Aufwertung ohne Verdrängung? Das Brunnenviertel im Mitte-Ortsteil Gesundbrunnen verändert sich.“ von der Journalistin Dominique Hensel. Ursprünglich für das Kiezmagazin Brunnenviertel geschrieben, erschien der Beitrag mittlerweile im privaten Weblog (planet wedding) der Autorin. In einer Anmerkung unter dem Text heisst es:

Dieser Artikel sollte im Kiezmagazin des Brunnenviertels erscheinen. Die Redaktion hat sich entschieden, ihn nicht zu publizieren. Nun steht der Beitrag hier.

Soweit ich erfahren habe, ging es nicht um die journalistische Qualität des Beitrages oder falsche Fakten, sondern darum, dass die Arbeit des Quartiersmanagements überhaupt im Zusammenhang mit der Gentrification gebracht wurde. Die Angst des Quartiersmanagements vor der Gentirification  wird so richtig erst nach der Lektüre des Beitrages deutlich. Kurz zusammengefasst schreibt Dominique Hensel, dass auch im Wedding über Gentrification diskutiert wird, dass dabei das Brunnenviertel mit seiner Nähe zu den Aufwertungsgebieten in Prenzlauer Berg und Mitte einer besonderen Gefährdung ausgesetzt sein könnte, aber die Bewohner/innen bisher noch keine  Angst vor Mietsteigerungen und Verdrängung haben und sich über die Aufwertungen in der Nachbarschaft freuen. Harmloser geht es kaum.

Grund für die Zensur des Beitrages ist also nicht die publizistische Zuspitzung („Die beobachteten Veränderungen werden als willkommene Verbesserung wahrgenommen – und nicht jede Aufwertungsmaßnahme führt zur Gentrifizierung“) sondern kann sich allein auf die Thematisierung einer Aufwertungsgefahr beziehen. Wie schon in den Stadterneuerungsdebatten der 1990er Jahre wird Gentrification wieder zum Tabu-Begriff.

Das ist schade, denn gerade die innerstädtischen Quartiersmangements sollte die Augen vor den Verdrängungsgefahren in ihren Nachbarschaften nicht verschließen.

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Berlin: Mieter/innen fordern den Senat heraus

Am Dienstag Vormittag besuchte eine Delegation von Mieter/innen verschiedener Häuser in Berlin die Koaltionsverhandlungen von SPD und CDU. Der Termin war passend gewählt, denn die künftige Regierung hatte das Thema der Stadtentwicklung auf die Tagesordnung gesetzt.

Nach längerem Ausharren  im Treppenhaus des Roten Rathauses wurde ein Dossier mit exmplarischen Beispielen des angespannten Wohnungsmarktes und den Forderungen der Mieter/innen an die beiden Verhandlungsführer Christian Gaebler (SPD) und Bernd Krömer (CDU) überreicht (siehe Pressemitteilung der Mieter/innen). Mit ihrer Geduld und ihrem Verhandlungsgeschick gegenüber der Polizei erzwangen die Mieter/innen eine offizielle Übergabe der Forderungen. Die Wohnungspolitik der künftigen Regierung wird sich daran messen müssen, inwieweit es ihr gelingt die im Dossier beschriebenen Probleme zu lösen.

UPDATE: Bei Heinrichplatz TV  gibt es inzwischen sogar eine kleine Video-Dokumentation der Dossier-Übgergabe: „Mieterinitiativen setzen den Koalitionären im roten Rathaus eine 100-Tage-Frist!“

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Die Übergabe des Dossier trägt dazu bei, dass die Mietenfrage auch in Zukunft ein zentrales Them der Stadtpolitk bleiben wird. Auch wenn die Parteien bei der Formulierung konkreter Vorschläge noch sehr zurückhaltend sind – zumindest die Berline Medienlandschaft hat die Initiative der Mieter/innen aufgegriffen  und ausführlich über die Aktion und das Dossier berichtet.  Hier ein erster Überblick:

Berlin: Steigende Mieten im Handgepäck – Das Geschäft mit den Ferienwohnungen

In den vergangenen zwei Jahren hat die Berliner Stadtdebatte ein neues Lieblingthema entdeckt: Die Touristen (1 / 2 / 3 ). Mehr als 20 Millionen Übernachtungen dieses Jahr sorgen für klingende Kassen des Gast- und Fremdenverkehrsgewerbes und mancherorts für Unmut wegen des Lärms und Drecks den größere Menschengruppen regelmäßig machen bzw. hinterlassen. Mit einem vernünftigen Konzept für besonders beliebten Orte und Platze sowie ein paar zusätzlichen Mülltonnen und öffentlichen Toiletten ließen sich diese Probleme gut in den Griff bekommen. Schwieriger schon scheint es, die wohnungswirtschaftlichen Auswirkungen des Tourismusbooms zu bändigen.

Nach Schätzungen der Berliner MieterGemeinschaft gibt es zur Zeit in Berlin etwa 12.000 Ferienwohnungen mit ca. 50.000 Übernachtungsmöglichkeiten – in der Regel sind es ehemalige Mietwohnungen, die zum Zwecke der höheren Verwertung als Ferienwohnungen angeboten werden.

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Berlin: Erinnerungen an Hartmut Häußermann

Hartmut Häußermann (1943 - 2011) (Bild: www.hertiestudie.de)

Der Tagesspiegel hat es gerade gemeldet: Hartmut Häußermann ist gestorben. Eine kurze Meldung, ein paar Zeilen und ein Bild, Nachruf folgt…

Ich habe es gestern am Telefon erfahren und es hat mich ziemlich mitgenommen. Wir haben uns in der letzten Zeit nicht mehr oft gesehen, er war schon längere Zeit schwer krank. Mal eine kurze Begegnung am Institut, mal eine Mail und ab und zu ein Anruf. Trotzdem geht mir die Nachricht nahe. Kein Wunder: Hartmut Häußermann hat mich die letzten 15 Jahre durch das Studium, die ersten Forschungsprojekte und meine wissenschaftliche Arbeit begleitet. Wir waren nicht immer einer Meinung, wir haben uns ab und an sogar gestritten – aber wir haben uns gegenseitig in unserer Arbeit immer respektiert. Mit seinen prägnante Statements und streitbaren Positionen wird er uns fehlen.

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