Filmreportage: Wohnungsnot in Europa

Das Arte-Jugendmagazin Yourope hat Gestern eine Sendung zur Wohnsituation von jungen Leuten in verschiedenen europäischen Städten ausgestrahlt: „Wie wohnen junge Europäer?

40 Prozent der Jugendlichen in Europe wohnen demnach noch mit Mitte Dreißig bei den Eltern. Der Grund sind weniger die Bequemlichkeiten im Hotel Mama, sondern die drastisch steigenden Wohnkosten in allen Ballungsräumen. Ein Wort durfte in der Anmoderation natürlich nicht fehlen:

„Schuld ist die Gentrifizierung. Klingt wie eine tödliche Krankheit, meint aber die Verdrängung…“

Mit kurzen Reportagen zu den Fetten-Mieten-Partys in Hamburg und einer Hausbesetzung von Jeudi Noir in Paris kommt auch der Widerstand gegen die Wohnungsnot in den europäischen Metropolen nicht zu kurz. Ob die Ankündigung „In Hamburg trinkt man sich die Mieten schön“ den Ansatz der Proteste wirklich trifft, sei mal dahingestellt. Im Beitrag jedenfalls dürfen Aktivisten ihre Wohnungen zeigen und ausführlich erklären, warum 4 Euro/qm ein angemessener Preis für eine Mietwohnung wären. Aber seht am besten selbst:

Hamburg: Protestfahrt gegen Slumlord-Strategie der Gagfah

Die meisten Mieter/innen wollen von ihren Hausverwaltungen in Ruhe gelassen werden und Post vom Eigentümer bedeutet oft nichts Gutes. Im Korallusviertel in Hamburg Wilhelmsburg ist das anders. Die Mieter/innen dort haben gemeinsam mit Stadtteilinitiativen und Mieterorganisationen einen Bus gemietet um bei ihrem Vermieter vorzusprechen. Der Grund: Finanzinvestor Fortress lässt die 2004 privatisierten Gagfah-Wohnungen systematisch verfallen und spart am Service und den Instandsetztungsausgaben. In der Stadtforschung werden solche Eigentümer/innen als Slumlords bezeichnet.

Die Bewohner/innen in Wilhelmsburg jedoch wollen die Vernachlässigung ihrer Wohnanlage nicht länger hinnehmen und konfrontierten die Geschäftsführung mit ihren Beschwerden. Eine Videodokumentation des AK Umstrukturierung Wilhelmsburg zeigt die gelungene Aktion:

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Hamburg: De-Attraktivierung nach Noten

 

Anti-Gentrification-Graffiti

Gentrification ist zum Dauerthema für soziale Bewegungen und städtischen Protest geworden. Während in den Analysen vor allem stadtpolitische und wohnungswirtschaftliche Gründe als Ursachen und Auslöser identifiziert werden, richten sich konkrete Kampagnen und Aktionen oft auf  die echten und vermeintlichen Gentrifier oder Yuppies und ihre Einrichtungen. Mit den Schlagworten der De-Attraktivierung oder Abwertung  wird die Abschreckung von zahlungskräftigen Wohnungsnachfragern zur Strategie gegen die Verdrängung erhoben.

Holger Burner – ein für seine Brachiallyrik bekannter Polit-Rapper aus Hamburg – liefert den Sound für solche  De-Attraktivierungs-Strategien: „St. Pauli, Schanzenviertel: jetzt wirds schmutzig!

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Trotz vieler richtiger Einschätzungen („viele Clubs, die nicht mehr da sind“, „und die ganzen Mieten die sie Spiegel sind gestiegen“) belässt es Holger Burner bei einer klassenkämpferischen Attitüde, ohne die zugrundeliegenden Verhältnisse tatsächlich aufzugreifen.

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Hamburg: Stadtplaner in Uniform feat. Haussmann

Kriminalpräventive Grünanlage oder gefährlicher Wildwuchs?

Stadterneuerung als Aufstandsbekämpfung und polizeitaktische Sanierungsmaßnahmen gelten eigentlich als Themen der historischen Stadtforschung: Im 19. Jahrhundert ließ Baron Haussmann breite Magistralen durch die Pariser Armutsquartiere schlagen um den Einsatz von Kanonen in der Stadt zu ermöglichen. Ein Stadtplanung nach militätisch-polizielichen Vorgaben von Sichtachsen und Kontrollräumen schien der Vergangenheit anzugehören.

Schien. Denn wie die Hamburger Bürgerinitiative „Projektgruppe Stadtnatur“ zusammengetragen hat, versucht sich die Hamburger Polizei unter dem Stichwort der kriminalpräventiven Stadtplanung „verstärkt und strukturiert in die stadtplanerische Arbeit einzubringen“. Statt ganze Viertel zu planieren geht es heute erst einmal um die Begrenzung der städtischen Vegetation:

Die Polizei Hamburg beteiligt sich nach eigenem Bekunden seit mehreren Jahren „strukturiert“ und „regelhaft“ an der Stadtplanung in Hamburg. Aus kriminalpräventiven Gründen ist sie offenbar an einer Ausräumung von Bäumen, Sträuchern und Hecken aus dem öffentlichen Raum interessiert. Der seit einigen Jahren unbemerkt durchgeführte Einsatz von fliegenden Überwachungs-Drohnen in Hamburg könnte diese Bestrebungen zur „Entlaubung“ der Stadt noch verstärken.

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Geschäft mit dem Leerstand

Am kommenden Samstag (23. Oktober 2010, 13 Uhr Uni-Campus) ruft ein breiter Unterstützungskreis in Hamburg zur einer Demonstration „Leerstand zu Wohnraum!“ auf. Alle, die es wollen, können sich sogar auf facebook mit der Initiative befreunden. Im Aufruf heisst es:

Die Mieten in Hamburg steigen kontinuierlich. In den innerstädtischen Vierteln ist es kaum noch möglich, eine Wohnung unter 10 Euro/qm zu finden. Gleichzeitig stehen zahlreiche Gebäude leer, der Leerstand an Büroflächen beträgt momentan 1,17 Mio. Quadratmeter und trotzdem wird immer mehr Büroraum gebaut.

Hamburg ist damit kein Einzelfall. Trotz wachsender Leerstandszahlen in Bürogebäuden sind in vielen Städten immer noch Neubauprojekte gewerblicher Immobilien zu beobachten. Zum Teil sind die Neubauprojekte sicher von der Hoffnung getragen, den aktuellen Bedarfen einer modernen Büronutzung besser zu entsprechen und deshalb gegenüber bestehenden (älteren) Büroanbietern konkurrenzfähig zu sein. Der Umfang der Leerstände in den lokalen Büroimmobilienmärkten verringert sich dadurch natürlich nicht. Viele fragen sich: Wäre es nicht sinnvoll, statt des Leerstandes wenigstens eine kleine Einnahme aus einer preiswerteren Nutzung zu erzielen?

Doch das Geschäft mit den Immobilien fragt – wie alle anderen Kapitalverwertungsstrategien – nicht nach dem Sinn eine Unternehmung, sondern nach deren Zweck. Und der besteht in der Rendite. Mit fatalen Folgen für die Stadtentwicklung – denn einer unkomplizierten Umwidmung in beispielsweise preiswerte Wohnräume stehen eine Reihe von wirtschaftlichen Barrieren gegenüber. So absurd es klingen mag: im Vergleich zu einer preiswerten Vermietung lohnt sich der Leerstand.

Vier Gründe dafür seien hier aufgeführt…

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Gentrification: Egoistische Proteste gegen die Aufwertung?

Keine Woche ohne eine neue Gentrification-Story… Auf ZeitOnline gibt es jetzt ein Interview mit mir zu lesen. Das Gespräch wurde telefonisch geführt und von mir auch ordentlich abgesegnet. Allein auf die Überschrift hatte ich keinen Einfluss: Statt differenzierter Analyse klingt es jetzt nach einseitiger Protest-Kritik: „Wir wollen hier bleiben! Alles andere ist uns egal!“. Insgesamt natürlich trotzdem großartig, dass es weiterhin ein so breites Interesse an städtischen Entwicklungen und Proteste gibt!

Im Einleitungstext heißt es:

Warum wird in Deutschland so heftig über Gentrifizierung gestritten? Ein Gespräch mit dem Soziologen Andrej Holm über das Hamburger Gängeviertel, den Wandel Neuköllns und egoistischen Protest.

Das Zitat des Titels ist dabei ein wenig aus dem Zusammenhang gerissen. Aus der der Sowohl-als-auch-Antwort im Gespräch wird dabei eine einseitige Bewegungsschelte:

ZEIT ONLINE: Werden also die eigentlichen Verlierer dieser Aufwertung – sozial Schwache und Migranten – von diesen Pionieren der Gentrifizierung instrumentalisiert?

Holm: Mit Sicherheit gibt es bei den Protesten häufig die Haltung: Wir wollen hier bleiben! Alles andere ist uns egal! In Berlin zeigt das die Debatte um „Mediaspree“: Viele der Clubs haben sich dem Protest angeschlossen, mittlerweile auch das Tacheles, das selbst von der Räumung bedroht ist. Es gibt aber auch andere Initiativen, etwa das Hamburger Bündnis Recht auf Stadt. Dort haben Künstler das Gängeviertel besetzt und sehr deutlich gesagt: Es geht uns nicht nur um uns, unsere Galerie- und Arbeitsräume, wir wollen tatsächlich eine andere Stadtpolitik und bemühen uns, auch mit anderen sozialen Gruppen in Kontakt zu kommen.

Das gesamt Interview gibt es auf ZeitOnline und auch gleich hier:

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Floridarisierung des Widerstands – Kultur in Anti-Gentrification-Protesten

Die in Wien erscheinende Zeitschrift MALMOE beschäftigt sich in ihrer Ausgabe 51 auf einer Doppelseite mit dem Spannungsverhältnis von „Kunst & Gentrifizierung. Kreative Trüffelschweine im Aufwertungsprozess“.

Bernhard Wernitznig beschreibt unter der Überschrift „Gürtelnightwalks vs. Donaukanaltreiben“ die Aufwertzungsbestrebungen der so genannten kreativen Klasse in Wien. In den Fördergebieten des Gürtelbereiches setze die Stadtverwaltung explizit auf „Rahmenbedingungen für alternative kulturelle und soziale Nutzungen“ um eine Aufwertung der Quartiere anzuregen.  In den zentral gelegenen Teilen der Leopoldstadt hingegen braucht es keine Alternativkultur um eine Gentrification in Gang zu setzen: hier übernimmt der kommerzielle Kulturbetrieb (Prater-Eventmeil, Entertainment-Schlauch Donaukanal, Sängerknaben im Augarten) die Schmiermittelfunktion und beschleunigt die Herausbildung eines Immoblilien-Tourismus-Kulturindustrie-Komplex.

Franziska Frielinghaus hinterfragt die Rolle von Kunst in in städtischen sozialen Kämpfen: „Organisiert Urban Kämpfen!“.  Am Hamburger Beispiel von ‚Park Fiction‘ diskutiert sie die widersprüchlichen Effekte von künstlerischen Interventionen (Luxuswohnbebauung verhindert vs. kulturelle Attraktivierung von St. Pauli vorangetrieben). Sie schlägt vor „Kunst- und Kulturindustrie als Teil des Unternehmens Stadt zu erkennen“ und wünscht sich eine „Kunst, die im Sinnen sozialer Kämpfe ‚weh tut'“. Dissidente Kreativität – so Franziska Frielinghaus – solle sich stärker in die Organisierung kollektiven Engagements in heterogenen Nachbarschaften einbringen.

Klaus Ronneberger wurde auch interviewt („Aktive Minenhunde“) und findet die Beschreibung von Künstler/innen als Minenhunde der Aufwertung zu simpel: „Die meisten ‚Kulturschaffenden‘ sind prekäre Selbständige, die auf preiswerten Wohn- und Arbeitsraum angewiesen sind. Der städtische Raum ist ihr Produktionsort. Die räumliche Existenz eines Künstler/innenmilieus löst nicht automatisch einen Gentrifizierungsprozess aus. Das hängt davon ab, wie der lokale Bodenmarkt reguliert ist, welche Bebauungs- und Nutzungsvorschriften existieren oder wie die jeweilige Stadtregierung in den Wohnungsmarkt eingreift.“

Auch ich durfte mich im Rahmen des kleinen Schwerpunkts zum Verhältnis von Kunst und Gentrification  einbringen („Floridarisierung des Widerstandes“)… Weiterlesen

Gentrification im Radio

Gleich zwei längere Radiobeiträge zum Lieblingsthema meines Blogs gab es in den letzten Tagen.

  • Bei Radio.Einheit durfte ich zwei Stunden mit Jochen Becker über die widersprüchliche Rolle von Kulturschaffenden in städtischen Aufwertungsprozessen und Perspektiven einer künstlerischen Intervention  diskutieren: „The Gentrification Show with Jochen Becker & Andrej Holm

Hamburg: Kündigungsgrund Aufwertungskritik?

Das städtische Wohnungsunternehmen in Hamburg, die SAGA, ist in den vergangenen Monaten vor allem durch Mieterhöhungen (Morgenpost: SAGA Mieten immer teurer) aufgefallen und in die Kritik geraten (Initiative Mietenstopp sofort!). Die Konfrontation mit den Aufwertungsgegner/innen hat nun eine neue Stufe erreicht.

Im Aufwertungsverdachtsgebiet rund um die Fährstraße in Hamburg-Wilhelmsburg kündigte die SAGA dem dortigen Infoladen.  Von der zunächst begründungslosen Kündigung zum 30.6.2010 überrascht, suchten die Aktivist/innen das Gespräch mit den zuständigen Mitarbeiter/innen des städtischen Wohnungsunternehmens. Ein Einlenken der SAGA konnte nicht erreicht werden, doch erfuhr der Trägerverein des Infoladens den Grund der kurzfristigen Kündigung:

Grund ist die IBA-kritische Haltung der Ladenbetreiber. Der Vereinsvorstand trat ins Gespräch mit dem zuständigen Kündigungsbevollmächtigten der SAGA, konnte jedoch keine positive Wendung für den Infoladen erwirken. „Die SAGA war nicht bereit, die Kündigung zurück zu ziehen. Vereine, die sich kritisch mit der IBA auseinander setzen, werden keine Flächen mehr anmieten können. (Presseerklärung des Infoladens)

Selbst die Hamburger Morgenpost schreibt: „SAGA kündigt Bauaustellungsgegnern„. Zur Erinnerung: die Internationale Bauausstellung (IBA) hat sich zum Ziel gesetzt, das bisher als soziales Problemgebiet stigmatisierte Wilhelmsburg mit einem ‚Sprung über die Elbe‚ zur ‚Neuen Mitte‚ Hamburgs zu entwickeln. Stadtteilgruppen wie der AKU Wilhelmsburg oder auch die Initiative IBAfluessig kritisierten seit längerem die einseitige Aufwertungsorientierung der IBA-Projekte (siehe „Die Insel denen, die drauf wohnen“(pdf)). Auch der Infoladen Wilhelmsburg beteiligte sich an diesen Protesten und hängte IBA-kritische Plakate in und an den Laden.

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Hamburg: Proteste gegen Mieterhöhungen bei der SAGA

Die SAGA ist Hamburgs kommunale Wohnungsbaugesellschaft und vermietet rund 130.000 Wohnungen in der Stadt. Mit fast 15 Prozent am gesamten Wohnungsbestand der Stadt eigentlich eine gute Ausgangslage für eine soziale Wohnungspolitik. Eigentlich. Denn wie in anderen Städten auch orientiert sich die kommunale Wohnungsbaugesellschaft längst an den unternehmerischen Vorgaben der Finanzverwaltung und agiert vielerorts als Preistreiber der Wohnungsmieten. Die MoPo berichtet darüber und weckt erhebliche Erwartungen an den Protest: „SAGA-Mieter proben den Aufstand!

Die SAGA steht schon lange nicht mehr für günstiges Wohnen“, sagt Steffen Jörg von der AG Mieten des neuen Bündnisses „Recht auf Stadt“. So sind die Mieten beim städtischen Unternehmen in den vergangenen Jahren viel stärker geklettert als im Hamburger Durchschnitt – 33 statt 17 Prozent.

Die Hamburger SAGA hat im vergangenen Herbst – kurz nach der Veröffentlichung des neuen Mietspiegels – für 23.000 Wohnungen Miererhöhungsforderungen rausgeschickt. Nun regt sich der Protest. Die taz kritisiert die steigenden Mieten als „Sondersteuer für Arme“ und die MoPo schreibt gleich den Aufstand herbei und veröffentlicht die Protesttermine. Das Recht-auf-Stadt-Bündnis und Mieter Helfen Mieter wollen weitere Mietsteigerungen verhindern und rufen zu einer öffentlichen Versammlung auf:

SAGA-Mieter/innen-Versammlung:
Donnerstag, 25. März, 19 Uhr Centro Soziale (Sternstraße 2)

Bereits in einem Offenen Brief an die Hamburger Stadtentwicklungssenatorin Anja Hajduk vom 17.12.2009 forderte das Recht auf Stadt Bündnis einen „Mietenstopp sofort!„. In dem Text werden die drohenden Mietsteigerungen den SAGA-Konzerngewinnen vün über 100 Mio. Euro (2008) gegenübergestellt.

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