Berlin: Broken Windows als Werbestrategie?

Berliner Medien berichteten, es sei in Reaktion auf die Räumung der Liebigstraße 14 in Freidrichshain-Kreuzberg, aber auch anderen Stadtteilen zu Protesten, Auseinandersetzungen und mutwilligen Zerstörungen gekommen (BZ: Chaoten auf Randale-Tour durch Mitte | Tagesspiegel: Autonome attackieren Boutiquen in Mitte)

Im Auguststraßenblog sind einige Bilder der Zerstörung dokumentiert. Doch die gesprungenen Schaufensterscheiben in Berlin Mitte lasssen sich kaum von den stadtaffinen Werbestrategien der Modebranche unterscheiden.

Finde den Unterschied:

Schuhladen, Alte Schönhauser Straße (via auguststrasse)

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Berlin: Post-Gentrification-Protest in Prenzlauer Berg

Neue Protestwelle in Prenzlauer Berg: "Nein zur Zerstörung der Kastanienallee!"

Gentrification wird in den stadtpolitischen Auseinandersetzungen immer mal wieder als ‚Kampfbegriff“ beschrieben. Kein Wunder, geht es doch auch um einen von verschiedenen Interessen und Gruppen umkämpften Raum. Insbesondere die drohende Verdrängung von Bewohner/innen mit geringeren ökonomischen Ressourcen löst regelmäßig Mobilisierungen der Betroffenen aus. Die breitangelegten Wir-Bleiben-Alle-Mieterproteste Anfang der 1990er Jahre in Prenzlauer Berg dürften als Prototyp solcher Anti-Verdrängungs-Mobilisierungen gelten.

Doch mit der Aufwertung der Quartiere und dem Austausch der Bewohnerschaft verschieben sich nicht nur die Anforderungen der Bewohner/innen an ihre  Nachbarschaften, sondern die Konfliktstrukturen städtischer Proteste. Stadtteilbezogene Proteste – ihre Themen, ihre Artikulationsformen und nicht zuletzt die Zusammensetzung der Aktiven – können dabei als Indikator für die Veränderungsprozesse selbst gelten.

In den aktuellen Protesten gegen die bezirklichen Umbaupläne der Gehwege in de Kastanienallee wird dies exemplarisch deutlich. Das Bezirkamt argumentiert mit den erneuerungsbedürftigen Gehwegplatten und einer mehr als unbefriedigenden Verkehrssituation insbesondere für den Fahrradverkehr. Anwohner/innen und Gewerbetreibende sehen in den Umbauplänen vor allem eine Verkleinerung der Gehwegflächen, befürchten den Verlust der einzigartigen Atmosphäre der Straße und kritisieren die mangelnde Beteiligung an den Umbauplänen.

Mit  dem Slogan der Kastanie21 versuchen die Aktiven sich zumindest rhetorisch in die Nähe der Bahnhofsproteste in Stuttgart zu stellen. Die taz greift diese Selbstdarstellung ironisch auf und berichtet über den Bürgersteigaufstand in der Castingallee. Auch die Berliner Abendschau berichtet in einem Beitrag über die Proteste in Prenzlauer Berg: Streit in der Kastanienallee.

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Geschäft mit dem Leerstand

Am kommenden Samstag (23. Oktober 2010, 13 Uhr Uni-Campus) ruft ein breiter Unterstützungskreis in Hamburg zur einer Demonstration „Leerstand zu Wohnraum!“ auf. Alle, die es wollen, können sich sogar auf facebook mit der Initiative befreunden. Im Aufruf heisst es:

Die Mieten in Hamburg steigen kontinuierlich. In den innerstädtischen Vierteln ist es kaum noch möglich, eine Wohnung unter 10 Euro/qm zu finden. Gleichzeitig stehen zahlreiche Gebäude leer, der Leerstand an Büroflächen beträgt momentan 1,17 Mio. Quadratmeter und trotzdem wird immer mehr Büroraum gebaut.

Hamburg ist damit kein Einzelfall. Trotz wachsender Leerstandszahlen in Bürogebäuden sind in vielen Städten immer noch Neubauprojekte gewerblicher Immobilien zu beobachten. Zum Teil sind die Neubauprojekte sicher von der Hoffnung getragen, den aktuellen Bedarfen einer modernen Büronutzung besser zu entsprechen und deshalb gegenüber bestehenden (älteren) Büroanbietern konkurrenzfähig zu sein. Der Umfang der Leerstände in den lokalen Büroimmobilienmärkten verringert sich dadurch natürlich nicht. Viele fragen sich: Wäre es nicht sinnvoll, statt des Leerstandes wenigstens eine kleine Einnahme aus einer preiswerteren Nutzung zu erzielen?

Doch das Geschäft mit den Immobilien fragt – wie alle anderen Kapitalverwertungsstrategien – nicht nach dem Sinn eine Unternehmung, sondern nach deren Zweck. Und der besteht in der Rendite. Mit fatalen Folgen für die Stadtentwicklung – denn einer unkomplizierten Umwidmung in beispielsweise preiswerte Wohnräume stehen eine Reihe von wirtschaftlichen Barrieren gegenüber. So absurd es klingen mag: im Vergleich zu einer preiswerten Vermietung lohnt sich der Leerstand.

Vier Gründe dafür seien hier aufgeführt…

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München: Latte-Macchiato-Gemeinschaft im Glockenbachviertel

In der Süddeutschen hat Jonathan Fischer einen ausführlichen Artikel über die Entwicklungen im Münchener Glockenbachviertel geschrieben: „Mir gärtnerplatzt der Kragen!„. Der Text beschäftigt sich u.a. mit den Folgen der zunehmenden Homogenisierung im Viertel. Ob die dort entstehenden Latte-Macchiato-Gemeinschaften die soziale Mischung wirklich vermissen, kann der Beitrag nicht klären.

Fischer beschreibt die Veränderungen am Beispiel der Läden und Kneipen im Viertel.

Im Münchner Glockenbachviertel, einer der renditeträchtigsten Immobilienlagen in der Stadt mit den höchsten Immobilienrenditen ganz Europas, eröffnen im Wochentakt neue Läden. Von den Schicksalen der Vormieter erfährt man selten viel. Nur als sich 2008 der Wirt des ‚Salzburger Grill‘ erhängte, erinnerten ein paar Nächte lang Blumensträuße und Kerzen an einen, der für das Viertel überflüssig geworden war, einen Gentrifizierungsverlierer. Dem Wirt wurde gekündigt, weil er die Renovierungsauflagen der Verpächter nicht erfüllen konnte.

Der Wandel vom „Schwulen-, Arbeiter- und Studenten-Viertel“ in eine Nachbarschaft der „wohlsituierte Kreative und Kleinfamilien“ gehe mit einer schleichenden Verdrängung einher:

Still verlassen Unterschicht, Handwerker und Kleingewerbe die Gegend. Die Übriggebliebenen sitzen in den verbliebenen Pilsstuben, während die umliegenden Wohnblöcke von Spekulanten entmietet, mit Fußbodenheizungen und Marmorbädern ausgestattet, gestückelt und als Anlageobjekt von Kunden in Madrid oder Moskau gekauft werden.

Der Austausch von Gewerbe und Bevölkerung wird nicht nur als unmittelbare physische Verdrängung beschrieben, sondern vor allem als die Entstehung von Parallelwelten innerhalb des selben Viertels. Fischer stellt uns für die Seite der Gentrification-Gewinner eine Ladenbesitzer vor, der früher die Schließung der Tante-Emma-Läden bedauerte und nun vom neuen Publikum profitiert.

Nun bevölkern Jungmütter, Nachtclub-Betreiber und Freiberufler mit Laptop seine Bar. Welcher neue Laden wo aufmacht gehört hier zum Tagesgespräch.

Auf der anderen Seite:

Die Gentrifizierungs-Verlierer haben andere Sorgen: Sie kämpfen nicht nur gegen steigende Mieten und Wohnungsnot, sondern um ihre mit dem Viertel eng verwobene Identität. Es gibt sie nämlich immer noch, die Handwerker in Blaumann oder Schürze. Die Alteingesessenen, die in der Turnhalle an der Auenstraße (…) boxen.

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Berlin-Wedding: Im Schatten der Aufwertung

Anti-Gentrification-Torte, VoKü Schererstraße 8, Berlin-Wedding (Bild: annalist)

Am Donnerstag Abend fand unter der Frage „Gentrifizierung im Wedding?“ eine Veranstaltung im Polit-Cafè im Hausprojekt Schererstraße 8 im Wedding statt. Die gut besuchte Veranstaltung (etwa 70 Leute) diskutierte nach einer kleinen Einführung, ob und welche Aufwertungsanzeichen im Wedding zu beobachten sind. In einer kleinen Einführung zu den aktuellen Aufwertungsdynamiken in Berlin hatte ich vorgeschlagen, folgende Auslöser bzw. Motoren der Aufwertung zu unterscheiden:

  • Politisch initiierte Gentrification (z.B. Sanierungsgebiete oder gezielte Quartiersaufwertungen)
  • Symbolische Aufwertung durch Enklavenbildungen von Pioniernutzungen
  • Mietsteigerungen durch Umzüge aus anderen Aufwertungsgebieten (Umzugskettenaufwertung)
  • Aufwertung durch Nachbarschaftseffekte von Neubauprojekten

In der anschließenden Diskussion wurden entlang von diesen Aufwertungsaspekten viele Beobachtungen und Einschätzungen aus verschiedenen Stadtteilen zusammengetragen. Auch wenn eine solche Diskussion sicher nicht den Charakter einer repräsentativen Untersuchung hat, wurden Aufwertungsindizien für alle Bereiche vorgetragen.

Auf dem nächsten Treffen am 10. Juni (Donnerstag) soll über Strategien diskutiert werden, wie Mietsteigerungen und Verdrängungseffekte im Wedding möglichst frühzeitig verhindert werden können.

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Berlin: Verzogene Eltern im Kinderparadies Prenzlauer Berg

Helmholtzplatz, April 2010 (Aachen-Blog 7uhr15.ac)

Der schier unendliche Mythos vom Kinderparadies Prenzlauer Berg wird offenbar vor allem von touristischen Außenbetrachtungen genährt. Auf dem „Aachen-Blog 7uhr15.ac“ findet sich ein typisches Beispiel für die Fremdwahrnehmung. Unter der Überschrift „Prenzlauer Berg – so viele Kinder!“ verarbeitet ein ‚erfahrener Vater‘ aus der Provinz seinen Hauptstadtbesuch:

Ich kann behaupten, als erfahrener Vater schon so manchen Spielplatz in so mancher Stadt, manchem Ort, manchem Kaff und auch sonstwo kennengelernt zu haben. (…) Aber das, was ich heute am Helmholtz-Platz in Berlin, also am Prenzlauer Berg gesehen habe, übertrifft „allet bislang Dajewesene“. Kinder und ihre Gefährte, wohin das Auge reicht, Kinder, überall Kinder. Und Eltern, so viele Eltern auf einmal! Und darunter sogar Väter, ganz beachtlich viele Väter, nicht alle orientiert am Geschehen und Geschrei des Nachwuchses, sondern vielfach im iPhone vertieft, dem Rest der Welt entrückt. (…) Und wo findet man dergleichen in Aachen? Hallo!? Wie gesagt, ich habe schon viel gesehen…

In einem Kommentar zum Eintrag wird noch angefügt:

Der Prenzelberg, ja, lieber Stefan, ist bei mir genauso hängengeblieben, wie Du ihn auch beschreibst. Mir hat vor allem die Lässigkeit gefallen, mit der die jungen Familien da unterwegs sind. Und mit welcher Selbstverständlichkeit man miteinander umgeht.

Ein völlig andere Perspektive auf die lieben Kleinen präsentiert uns der Langzeitbewohner von Prenzlauer Berg  Stefan Strauss in einer Glosse der Berliner Zeitung. Unter dem Titel  „Die neue Arroganz“ beschreibt er die gar nicht so ‚lässige‘ Arroganz der zugezogenenverzogenen Eltern:

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München: Champagner zur Currywurst

In der Süddeutschen Zeitung schreibt Beate Wild eine Kolumne über das Münchener Nachtleben (After Eight), in der sie seit ein paar Monaten das Ende des Glockenbachviertels betrauert. Artikel wie Requiem für ein Viertel (14.01.2010) und Der nächste Todesstoß (25.03.2010) stehen für die Wahrnehmung einer urbanen Apokalypse des ehemaligen Szeneviertels.

Das Glockenbachviertel – so die Beobachtungen von Beate Wild –  verliert den Charme von Coolness und Happienes der vergangenen Jahre. Lange Zeit als Standort einer Schwul-Lesbischen-und-Nachtclubszene gefeiert schließen nun viele der angesagten Clubs und Kneipen. Stattdessen etabliere sich im Viertel ein schnöder Vergnügungskommerz. Aufhänger ihrer Geschichte ist die neue Speisekarte einer Currywurstbude, die unter anderem eine kleine Flasche Champagner für 59 Euro empfiehlt.

Curry heißt der Laden schlicht. Weniger schlicht ist das Angebot. Und genau hier liegt das Problem. Champagner in einer Currywurst-Bude? Und das im wahnsinnig lässigen Glockenbach, dem Szeneviertel Münchens schlechthin? Das ist der Anfang vom Ende dieses Viertels. Das Ende der Coolness, das Aus für die Subkultur, das Amen für die In-Lokale.

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Berlin: Bio-Paradies Prenzlauer Berg

Mauren Kennedy and Paul Leonard (2001) haben in ihrer sehr allgemeinen Definition Gentrification beschrieben als:

„the process by which higher income households displace lower income residents of a neighborhood, changing the essential character and flavor of that neighborhood.“

Die Veränderungen der Sozialstruktur sind dabei relativ klar zu ‚messen‘ – aber welche Indikatoren stehen für den ‚grundlegenden Wandels des Nachbarschaftscharakters‘? Unter dem Titel „Gentrification ist Geschmackssache“ wurde hier bereits über spezifische Konsumgewohnheiten  (z.B. Cup-Cakes) diskutiert. Ein Beitrag der Deutschen Welle zeigt, dass auch die Vorsorgungsdichte von Bioläden ein guter Gradmesser für die Durchsetzung milieuspezifischer Lebensweisen ist. Gerade mit dem Ausbau des Bio-Angebotes in konventionellen Lebensmittelketten, wird der Gang in den Bioladen zu einem Statement des Lebensstil.

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Im Berliner Aufwertungsbezirk Prenzlauer Berg gibt es allein entlang der Schönhauser Alle und ihrer Umgebung über 10 Bio-Läden bzw. Bio-Supermärkte. Trotz der Krise konnten die Umsätze im vergangenen Jahr um 15 Prozent gesteigert werden. Selbst kleine Klitschen erreichen trotz der Konkurrenz der preiswerteren Bio-Supermärkte einen millionenschweren Jahresumsatz.

via: Jenz Steiner

Berlin: Die (Re)Thematisierung der Wohnungspolitik

Berlin erlebt gerade sowas wie die Rückkehr der Wohnungspolitik. Nein, nicht dass die regierenden Parteien oder verantwortlichen Senatsverwaltungen eine solche entwickeln würden – deren Vorschlägen bleiben allenfalls rhetorisch. Aber im Schatten der medialen Aufregung um angezündete Autos und Hassplakate hat sich eine fundierte (Re)Thematisierung der Stadtpolitik in die Zeitungsspalten der Hauptstadtpresse zurückgeschlichen.

Vorneweg dabei die taz, die unter dem etwas kontrafaktischen Titel „Soziale Stadt“ eine Serie zu Gentrification und Verdrängung in verschiedenen Stadtteilen Berlins gestartet hat. Bisher wurde fünf gut recherchierte und lesenswerte Artikel in der Reihe veröffentlicht:

Dazu gibt es noch einen engagierten Beitrag von Gereon Asmuth: Linke Gewalt und verbale Aufrüstung in Berlin: Das Jahr des Feuers (31.12.2009), der zu mehr Gelassenheit im Umgang mit Autobrandstiftungen aufruft und statt der Distanzierungsorgien ein Bekenntnis für eine soziale Wohnungspolitik einfordert. Sehr schön. Peinlich allenfalls das angebliche Partyinterview mit einem Autobrandstifter

Hier gibt es kurze Zusammenfassungen der Beiträge – die Lektüre der ganzen Artikel sei aber ausdrücklich empfohlen: Weiterlesen

Hamburg: Gentrificationgegner sollen die Stadt retten

Der Vormarsch des lange gemiedenen und teilweise inkriminierten G-Worts hält an. In der gestrigen Ausgabe der Süddeutschen Zeitung gibt es einen ausführlichen Artikel zu den Aufwertungsprozessen und Protesten im Hamburger Schanzenviertel: „Jenseits der Krawalle„. In der Unterzeile begrüßt Autor Till Briegleb den sich formierenden Widerstand gegen die Aufwertungspläne:

Hamburg will das Schanzenviertel in eine Shoppingmeile verwandeln – endlich formieren sich auch zivile Gegner

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