Berlin: FDP will Soziale Mischung durch Gentrification fördern

Die stadtpolitische Orientierung an der „Sozialen Mischung“ war bisher vor allem der Sozialdemokratie vorbehalten. Die vage Hoffnung, dass eine räumliche Nähe zu Besserverdienenden die Lebensbedingungen der Armen irgendwie verbessern würde, geistert seit vielen Jahren durch die stadtpolitischen Programme der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung. Hier ein bisschen Aufwertung durch das Quartiersmanagement, dort ein paar neue Baugruppen: so ungefähr sahen die Konzepte der Vergangenheit aus.

Jetzt  entdeckt überraschenderweise auch die FDP die Stadtpolitik in der Hauptstadt. Auch sie argumentiert mit der ‚Sozialen Mischung‘ – hat aber ganz eigene Vorstellungen, was damit gemeint sein könnte. In einem etwas sperrige betitelten Antrag der Abgeordnetenhausfraktion (Drucksache 16/3135) wagen sich die Liberalen aufs Parkett der Stadtpolitik: „Für mein vielfältiges und tolerantes Berlin, gegen Segregation und Stillstand – Revitalisierung als Motor für eine zukunftsfähige Metropole“ (pdf)

Vielfältig, tolerant und gegen Segregation – das klingt erst einmal nach wohlmeinenden Schlagworten. Doch während die meisten anderen Parteien zumindest rhetorisch bemüht sind, die Verdrängungsdynamiken zu dämpfen oder aufzuhalten, positioniert sich die FDP ganz offen als Partei der Gentrifier.

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Berlin: Verzogene Eltern im Kinderparadies Prenzlauer Berg

Helmholtzplatz, April 2010 (Aachen-Blog 7uhr15.ac)

Der schier unendliche Mythos vom Kinderparadies Prenzlauer Berg wird offenbar vor allem von touristischen Außenbetrachtungen genährt. Auf dem „Aachen-Blog 7uhr15.ac“ findet sich ein typisches Beispiel für die Fremdwahrnehmung. Unter der Überschrift „Prenzlauer Berg – so viele Kinder!“ verarbeitet ein ‚erfahrener Vater‘ aus der Provinz seinen Hauptstadtbesuch:

Ich kann behaupten, als erfahrener Vater schon so manchen Spielplatz in so mancher Stadt, manchem Ort, manchem Kaff und auch sonstwo kennengelernt zu haben. (…) Aber das, was ich heute am Helmholtz-Platz in Berlin, also am Prenzlauer Berg gesehen habe, übertrifft „allet bislang Dajewesene“. Kinder und ihre Gefährte, wohin das Auge reicht, Kinder, überall Kinder. Und Eltern, so viele Eltern auf einmal! Und darunter sogar Väter, ganz beachtlich viele Väter, nicht alle orientiert am Geschehen und Geschrei des Nachwuchses, sondern vielfach im iPhone vertieft, dem Rest der Welt entrückt. (…) Und wo findet man dergleichen in Aachen? Hallo!? Wie gesagt, ich habe schon viel gesehen…

In einem Kommentar zum Eintrag wird noch angefügt:

Der Prenzelberg, ja, lieber Stefan, ist bei mir genauso hängengeblieben, wie Du ihn auch beschreibst. Mir hat vor allem die Lässigkeit gefallen, mit der die jungen Familien da unterwegs sind. Und mit welcher Selbstverständlichkeit man miteinander umgeht.

Ein völlig andere Perspektive auf die lieben Kleinen präsentiert uns der Langzeitbewohner von Prenzlauer Berg  Stefan Strauss in einer Glosse der Berliner Zeitung. Unter dem Titel  „Die neue Arroganz“ beschreibt er die gar nicht so ‚lässige‘ Arroganz der zugezogenenverzogenen Eltern:

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Berlin: Stadtpolitik für die Mittelklasse

Anfang des Jahres habe ich hier die ersten Beiträge einer Artikelserie in der Berliner taz vorgestellt, die sich in lesenswerter und informativer Weise mit vielen aktuellen stadtpolitischen Themen beschäftigt: „Berlin: Die (Re)Thematisierung der Wohnungspolitik„.

Die neuen Beiträge der Serie beschäftigen sich mit Fragen der Mietentwicklung und der sozialen Spaltung in arme und reiche Stadtviertel ebenso wie mit dem Quartiersmanagement und Luxuswohnprojekten. Herausgekommen ist also eine buntes Kaleidoskop der Berliner Stadtentwicklung.

Hier wieder eine kurze Zusammenfassung der Beiträge:

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London: ‚Super-Gentrification‘ statt Social Mix

In der Frankfurter Rundschau von heute gibt es einen ausführlichen und sehr lesenwerten Artikel von Werner Girgert zu den aktuellen Aufwertungsdynamiken in London: „Leben in London: Angriff auf das Zentrum„. Als ‚Super-Gentrifcation‘ wird dabei die Verdrängung selbst gutverdienender Mittelschichtshaushalte durch „eine Gruppe von superreichen Globalisierungsgewinnern“ beschrieben. Das dichte Nebeneinander von Arm und Reich führe dabei jedoch nicht zu neuen Formen der Integration, sondern verstärke die sozialen Spaltungen durch die alltägliche Konfrontation der verschiedenen Lebensstile.

 

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Mythos Soziale Mischung

Durch die  Gentrification- und Stadtdebatten geistert der Begriff der „Sozialen Mischung“ mit schöner Regelmäßigkeit durch die Argumentationen. Während die einen den Verlust in Folge von Aufwertungsmaßnahmen befürchten, wollen andere  die  ’soziale Mischung‘ durch gezielte Aufwertungen herbeiführen oder sichern. Kaum ein Begriff, der in stadtpolitischen Diskussionen so oft und mit so unterschiedlichen Motiven strapaziert wurde/wird.

In der lesenswerten Ausgabe 01/2009 des Forum Wissenschaft gibt es einen Schwerpunkt „Wo leben wir eigentlich? Städte: Planung, Entwicklung, Innenleben“, in dem ich einen Beitrag zum Mythos der Sozialen Mischung beitragen konnten. Für alle die Interesse daran haben, gibt es Beitrag hier nun auch online:

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„Am liebsten würde ich wegziehen“ – Endstation Großsiedlung?

Gentrification und Verdrängung werden meist in innerstädtischen Altbauviertel verortet. Insbesondere dann, wenn große Teile der Innenstadt von solchen Aufwertungsprozessen erfasst werden, sind Wohnungssuchende auf preiswerte Wohnungsbestände in den Großsiedlungen angewiesen. Ein Radiofeature bei Deutschlandradio Kultur beschäftigt sich mit den Situationen in Großsiedlungen: „No Future – Das Leben in deutschen Großstädten“ [direkt hören (mp3)].

Mit Beispielen aus Potsdam Drewitz, Berlin Kottbusser Tor und Brauchschweig-Weststadt werden sehr unterschiedliche Stimmungen aus drei Plattenbauquartieren  eingefangen. Insbesondere die Stimmen aus Potsdam Drewitz und Braunschweig-Weststadt belegen, dass insbesondere Wohnsiedlungen am Stadtrand  problematische Entwicklungstendenzen aufweisen und zum Abschieberaum für Einwander/innen und aus den Innenstädten Verdrängten werden. Langfristig – so das Fazit des Beitrages – wird nur eine gesamtstädtische und soziale Wohnungspolitik die Probleme der Großsiedlungen lösen… Weiterlesen

Neue Soziale Mischung in Prenzlauer Berg?

Heute Abend war im Deutschlandfunk das Feature von Anselm Weidner zu hören:Brunnenviertel/Marthashof.Der „soziale Äquator“ als neue Grenze. Am Beispiel des früheren Mauerstreifens an der Bernauer Straße werden die neuen sozialen Spaltungslinien von Berlin eindrücklich beschrieben:

Im Brunnenviertel auf der früheren Westseite im Wedding geht die Angst um, ob das Geld für eine warme Mahlzeit am Tag reicht, ob die Miete im nächsten Monat bezahlt werden kann oder Vattenfall morgen den Strom abstellt. Die Menschen auf der anderen Seite der Bernauer Straße treibt die Sorge um, wie in den Pent Houses und Town Villas des „Urban Village“ Marthashof ein „Wohnen ohne Kompromisse“ (so die Werbung) zu organisieren ist, ob mit einer Duschterasse aus Naturkieseln oder aus fugenlosem Feinsteinzeug in Erdtönen.

Zu hören ist das Feature hier.

Inhaltlich wird das Thema der Aufwertung im Feature nicht von den quartierlichen Verdrängungseffekten aufgerollt, im Zentrum steht vielmehr eine gesamtstädtische Perspektive der sozialräumlichen Neuordnungen in der Stadt. Während die politischen Zielstellungen der Berliner Stadtpolitik ungebrochen am Leitbild der Sozialen Stadt und einer sozialen Mischung festhalten, verdeutlicht das Feature einen Ausschnitt der längt etablierten Spaltungslinien. Ludwig Stoffel, Geschäftsführer von Stoffanel, dem Projektträger des Luxuswohnprokjektes Marthashof in Berlin Prenzlauer Berg kommt zu Wort und darf erklären wie die neue Mischung von Prenzlauer Berg aussehen wird:

Top-value heißt Werte, wir wollen Werte schaffen, und wir sagen, meine Frau hat’s vorhin gesagt, intelligenten Luxus. Wir wollen in unseren Projekten eine Mischung haben von middle-class,upper-middle-class, von Menschen die einfach eine Atmosphäre, ein Gefühl suchen. Die Lebensqualität, das ist Wert, das ist top-value.