Berlin: Alles muss man selber machen…

Der Countdown läuft. Mieterorganisationen und Stadtteilinitiativen rufen für den 3. September | 14 Uhr | Hermannplatz zu einer Demonstration „Jetzt reichts! Gegen Mieterhöhung, Verdrängung und Armut in Berlin auf.

Der Tagesspiegel widmete sich in einem längeren Beitrag ausführlich den wachsenden Widerständen gegen die verfehlte Wohnungspolitik in Berlin: Protest gegen steigende Mieten. Die neue Apo im Kiez. Im Text erklärt sich der auf den ersten Blick schwerfällige Titel:

Gegen steigende Mieten formiert sich eine Berliner Protestbewegung. Von etablierten linken Parteien fühlen sich die Aktivisten im Stich gelassen. Sie legen Wert auf die Bezeichnung „außerparlamentarisch“.

Diese außerparlamentarische Orientierung der Mietproteste ist keineswegs nur auf die ideologischen Positionen der Aktiven zurückzuführen, sondern die Konsequenz eines wohnungspolitischen Versagens in den vergangenen Jahren:

Der Stadtforscher und Soziologe Andrej Holm beobachtet seit etwa drei Jahren ein wachsendes Interesse an „sozial- und mietenpolitischen Themen in der linken Szene“. Anders als bei den Hausbesetzer-Bewegungen der Achtzigerjahre und der Proteste in den Neunzigern gebe es heute „keinen Ansprechpartner im parlamentarischen Raum“. Die Linke ist beteiligt an der Regierung. Die Grünen hätten sich das Thema „nicht konsequent zu eigen gemacht“. So sei ein „Vakuum in der Wohnungspolitik“ entstanden.

Alles muss man selber machen… Erst recht den politischen Druck für eine andere Wohnungs- und Stadtpolitik. Weil steigende Mieten nicht auf einzelnen Quartiere beschränkt bleiben, sondern weite Teile der Stadt erfasst haben, wird an nicht weniger als 14 verschiedenen Orten eingeladen, um gemeinsam an der Demonstration teilzunehmen.

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Berlin: Innenstadt als Hartz IV freie Zone

Erst kürzlich habe ich hier ein modifiziertes Verkehrsschild mit einen Warnhinweis zur Verdrängungsgefahr in Prenzlauer Berg vorstellen können. Per Mail wurde ich nun auf ein ähnliches Motiv in Friedrichshain aufmerksam gemacht.

Aufkleber gegen Verdrängung, Samariterstraße (Berlin Friedrichshain), 2011

Der Hartz-IV-freier Innenstadtring ist dabei nicht nur eine polemische Zuspitzung,  sondern spiegelt die Struktur der aktuellen Mietangebote in Berlin wider.

Eine Auswertung von Wohnungsangeboten bei ImmoScout24 ergab für das Segment von Ein- und Zweiraumwohnungen, dass unter den 1.321Angeboten innerhalb des S-Bahnrings nur für 183 Wohnungen die Mieten unterhalb der Bemessungsgrenzen für die im SGB II festgelegten ‚Kosten der Unterkunft‘ lagen. Der Großteil dieser Wohnungen (119) wurde in Wedding, Tiergarten und Neukölln angeboten – im gesamten Rest der Innenstadt stehen fast 800 Wohnungsangeboten nur 64 ‚angemessene‘ Wohnungen gegenüber.

Unter Berücksichtigung von Konkurrenzsituationen mit anderen Haushalten, die auf preiswerte Wohungen angewiesen sind (Studierende, Niedrigverdiener/innen etc.) bleibt die Hartz-IV-freie Innestadt leider nicht auf die Polemik von Protestaufklebern beschränkt. Spitzenreiter der Exklusion ist übrigens neben den ‚üblichen Verdächtigen‘ Prenzlauer Berg (7 von 191 Wohnungsangeboten) und Alt-Mitte (2 von 120 Wohnungsangeboten) Alt-Treptow (0 von 15 Wohnungsangeboten).

Berlin: Berlusconi lässt die Mieten steigen

Die korrupte und manipulative Politik des italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi hat Berichten von Spiegel Online zu Folge eine regelrechte Auswanderungswelle ausgelöst. Viele – so der Beitrag „Berlino gegen Berlusconi“ – der regierungsfeindlichen Italiener/innen zeiht es nach Berlin. Knapp 15.000 seien es offiziell – realistische Schätzungen sprechen von 50.000. Beliebteste Wohngebiete seien Friedrichshain, Kreuzberg und Mitte:

In Berlino, wie die Italiener die Stadt nennen, hat sich eine Art Exil-Opposition gegen die Regierung Berlusconi gebildet. Es sind Schauspieler und Schriftsteller, Restaurantbesitzer und Ladenverkäufer, die nicht nur italienisch essen und reden, sondern wollen, dass sich endlich etwas ändert. (…)

„Viele junge Leute fliehen vor Berlusconi nach Berlin“, sagt die Künstlerin Giovanna Salabè. Es kommen neue Studenten und auch Touristen, die länger bleiben.

So verständlich die Abneigung gegen Berlusconi ist, so aufwertungsaffin liest sich die Aufzählung der italienischen Regierungsfeinde: Schauspieler, Schriftsteller, Studierende, Tourist/innen, die länger bleiben wollen – das klingt wie eine typische Beschreibung von Gentrification-Pionieren.

Eine erst jüngst veröffentlichte Wohnungsmarktstudie verwies als Beleg für den immobilienbwirtschaftlichen Aufschwung in Neukölln ausgerechnet auf eine Italienerin:

Bezahlt werden die hohen Mieten vor allem von Neuberlinern, die in der Stadt eine Beschäftigung finden. Viele seien aus anderen Ballungsgebieten hohe Mieten gewohnt, so der IVD. Ein Beispiel: Eine Italienerin schrecke auch nicht vor 8,50 Euro Miete pro Quadratmeter in der Leinestraße von Neukölln zurück. Dies zeige, dass die Kreuzberger Mischung aus Off-Kultur und Multikulti zu einer Art Immobilien-Mehrwert auch in Teilen von Neukölln geführt habe.

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Berlin: Gentrification im Sozialen Wohnungsbau?

Bild: http://waehltvera.wordpress.com

In den letzten Monaten sorgten Mietsteigerungen, Proteste und sogar ein Todesfall im Zusammenhang mit auslaufenden Förderprogrammen im Sozialen Wohnungsbau in Berlin für Schlagzeilen. Mieterinitiativen wie das ‚Bündnis Steigende Mieten Stoppen‚ befürchten sogar eine „Turbo-Gentrification“(pdf)  in ehemaligen Sozialwohnungen und das MieterEcho widmet dem Thema eine Schwerpunktausgabe: „MieterEcho 339: Extreme Mieterhöhungen im sozialen Wohnungsbau“  (pdf)

In der Kreuzberger Fanny-Hensel-Siedlung wurden den Bewohner/innen trotz schlechten Bauzustandes („Schimmelhäuser“) Mieterhöhungen von 30 bis 50 Prozent zugestellt. Die Quadratmetermieten erhöhen sich damit von 5,33 Euro/qm auf 9,62 Euro/qm (Tsp: Sozialmieter müssen draufzahlen – oder ausziehen).

Auch in der Schöneberger Akazienstraße 6 / Belziger Str. 13 erhielten die Bewohner/innen Ende letzten Jahres Mieterhöhungen von etwa 30 Prozent und sollen seither Mieten Nettokaltmieten zwischen 7 und 8 Euro/qm zahlen. Bei Zahlungsverzug – so die Drohung der Hausverwaltung – wird die Mieterhöhung rückwirkend ab dem 1.Januar 2008 erhoben.

Steigende Mietpreise in Schimmelhäusern? Mieterhöhungen weit über den nach Mietgesetz zulässigen Erhöhungen von 20 Prozent? Rückwirkende Mietzahlungsforderungen?

Das klingt nach Manchester-Kapitalismus und Eigentümerwillkür, spielt sich aber im hier und heute ab und zwar im Sozialen Wohnungsbau. Im ehemaligen Sozialen Wohnungsbau, um genauer zu sein, in Häusern, die jahrzehntelang mit öffentlichen Mitteln gefördert wurden.

In beiden Fällen ist den Mieterhöhungen ein Eigentümer- oder zumindest Verwalterwechsel vorausgegangen. Die alten und neuen Eigentümer klingen nach Anlagegeschäften und nicht nach Wohnungsunternehmen: In der Akazienstraße 6 / Belziger Str. 13 wechselte der Hausbesitz im Oktober 2009 von der BBK Grundstücksgesellschaft mbH & Co. Vierte Verwaltungs KG zur Akazien-Belziger GbR, vertreten durch Tom Granobs & Dr. Ing. Heinz-Dieter Adomeit. In der Fanny-Hensel-Siedlung wechselte von Anlegern mehrere geschlossener Immobilienfonds (Hausverwaltung: R&W Immobilienanlagen GmbH) zum Immobilienfonds „Elfte EMC Asset Management GmbH & Co. KG„.

Um zu erfahren, was diese Eigentümer mit dem Sozialen Wohnungsbau verbindet und um das Paradox der unsozialen Mieterhöhungen im vormals Sozialen Wohnungsbau zu verstehen, lohnt sich ein Blick auf die Systematik und Geschichte des Förderprogramms.

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Hamburg: Proteste gegen Mieterhöhungen bei der SAGA

Die SAGA ist Hamburgs kommunale Wohnungsbaugesellschaft und vermietet rund 130.000 Wohnungen in der Stadt. Mit fast 15 Prozent am gesamten Wohnungsbestand der Stadt eigentlich eine gute Ausgangslage für eine soziale Wohnungspolitik. Eigentlich. Denn wie in anderen Städten auch orientiert sich die kommunale Wohnungsbaugesellschaft längst an den unternehmerischen Vorgaben der Finanzverwaltung und agiert vielerorts als Preistreiber der Wohnungsmieten. Die MoPo berichtet darüber und weckt erhebliche Erwartungen an den Protest: „SAGA-Mieter proben den Aufstand!

Die SAGA steht schon lange nicht mehr für günstiges Wohnen“, sagt Steffen Jörg von der AG Mieten des neuen Bündnisses „Recht auf Stadt“. So sind die Mieten beim städtischen Unternehmen in den vergangenen Jahren viel stärker geklettert als im Hamburger Durchschnitt – 33 statt 17 Prozent.

Die Hamburger SAGA hat im vergangenen Herbst – kurz nach der Veröffentlichung des neuen Mietspiegels – für 23.000 Wohnungen Miererhöhungsforderungen rausgeschickt. Nun regt sich der Protest. Die taz kritisiert die steigenden Mieten als „Sondersteuer für Arme“ und die MoPo schreibt gleich den Aufstand herbei und veröffentlicht die Protesttermine. Das Recht-auf-Stadt-Bündnis und Mieter Helfen Mieter wollen weitere Mietsteigerungen verhindern und rufen zu einer öffentlichen Versammlung auf:

SAGA-Mieter/innen-Versammlung:
Donnerstag, 25. März, 19 Uhr Centro Soziale (Sternstraße 2)

Bereits in einem Offenen Brief an die Hamburger Stadtentwicklungssenatorin Anja Hajduk vom 17.12.2009 forderte das Recht auf Stadt Bündnis einen „Mietenstopp sofort!„. In dem Text werden die drohenden Mietsteigerungen den SAGA-Konzerngewinnen vün über 100 Mio. Euro (2008) gegenübergestellt.

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Berlin: Verdängungsnormalität

Mieterinitiativen in Berlin versuchen seit langem gegenüber der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung einen differenzierten Blick auf die Mietentwicklung der Stadt durchzusetzen. Statt mit pauschalen Durchschnittsgrößen preiswerter Mieten und verfügbarer Wohnungen alle Kritik an der Stadtentwicklung abzuwiegeln, verwiesen die Stadtteilinitiativen vor allem auf die klaren Aufwertungs- und Verdrängungsindizien in einer Reihe von innerstädtischen Vierteln. Nun zeigt der GSW-Wohnungsmarktreport 2010 (pdf), dass die Berliner Wohnungsmarktentwicklung doch als stadtweiter Trend bezeichnet werden kann: In allen Bezirken (mit der Ausnahme von Spandau) steigen die Mieten.

In der aktuellen Ausgabe der Tageszeitung Neues Deutschland gibt es ein kurzes Interview mit mir zu diesen Entwicklungstendenzen nachzulesen: Verdrängung wird Normalfall (siehe unten). Aufhänger für das Gespräch waren Aktivitäten einer Stadtteilinitiative in Alt-Treptow, die in den letzten Monaten zunächst gegen den Neubau von Eigentumswohnhäusern durch Baugruppen mobilisierten und aktuell gegen die Mieterhöhungen durch die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft „Stadt und Land“. Ebenfalls im Neuen Deutschland gab es einen Beitrag zu den Protesten in Alt-Treptow: Kunger-Kiez droht zu kippen.

»Stadt und Land« erklärte ND, bei insgesamt 332 Wohnungen im Kunger-Kiez die Netto-Kaltmiete zum 1. April zu erhöhen. Von einigen Mietern verlangt die Gesellschaft 11 Prozent Aufschlag, von anderen 20 Prozent. Ein älterer Mann ist erbost, dass »Stadt und Land« mehr Geld ohne Gegenleistung fordere: »Unser Hausflur vergammelt, da blättert die Farbe ab.« Seit der letzen Mieterhöhung sei dort nichts geschehen. Wer sich jedoch weigert zu zahlen, dem droht die Gesellschaft mit Klage.

Das selbst in einem bisher eher unscheinbaren Wohnquartier wie Alt-Treptow Mieterhöhungen durchsetzbar sind und Eigentumswohungsprojekte  dort realisiert werden können, zeigt wie umfassend der Trend der Aufwertung und Verdrängung mittlerweile die Berliner Innenstadt ergriffen hat. Statt der früheren Luxusenklaven stellen mittlerweile   Wohngebiete mit stagnierenden Mietpreisen die Ausnahme dar: Verdrängung ist Normalfall.

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Berlin: Gentrification als „Kampf um den Raum“

'Kampf um den Raum' in NY, 2008

Hartmut Häußermann, ehemaliger Professor für Stadt- und Regionalsoziologie an der Humboldt-Universität zu Berlin war gestern zum Grünen Mietenkongress geladen und und durfte dort das Impulsreferat halten. Wesentliche Argumente sind auch in den Zeitschrift des Landesverbandes der Grünen „Stachlige Argumente“ nachzulesen (Leider noch nicht online verfügbar).

Er interpretiert darin die aktuellen Aufwertungsprozesse in Berlin als einen „Kampf um den Raum“  (Stachlige Argumente 177, 1/2010, 4-7) und beschreibt das Problem der Gentrification als eine Ungleichzeitigkeit räumlicher und sozialer Prozesse. Er versteht darunter die gleichzeitige Nachfrage von bestimmten Innenstadtquartieren durch Gruppen „mit ähnlichen Lebensstilen aber unterschiedlicher Finanzausstattung“. Den Kern dieser Prozesse bezeichnet Häußermann als Verdrängung:

„Verdrängung“ heißt dass hier ein Machtkampf stattfindet, das heißt, dass eine Konkurrenz um Wohnmöglichkeiten in einem Quartier zwischen Hauhalten mit ungleichen Ressourcen besteht. In einer Marktwirtschaft entscheidet dann vor allem die Verfügung über Geld, wer zu den Gewinnern und wer zu den Verlierern zählt.

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