Berlin: Warum die Mieten steigen

Berlin: Fette-Mieten-Party als Protest gegen Gentrification

In den inzwischen populär gewordenen Bezugnahmen zu Gentrification-Theorien wird regelmäßig ein Bild des kulturell induzierten Wandels beschworen: „Erst kommen die Künstler/innen und Alternativen, dann steigen die Mieten…“. In den wissenschaftlichen Debatten hingegen werden politische und ökonomische Faktoren der Stadtentwicklung als zentrale Ursachen von Aufwertungsprozessen ausgemacht. Drei Meldungen aus den letzten Tagen verweisen auf die tatsächliche Relevanz solch einer polit-ökonomischen Perspektive.

Mietsteigerungen und Verdrängungsprozesse sind – so mein Argument – kein natürlicher Effekt der Stadtentwicklung, sondern unmittelbarer Ausdruck von politischen Entscheidungen und ökonomischen Interessen. Das klingt wie ein Allgemeinplatz („Wussten wir doch alles schon“) formuliert aber einen Anspruch, der in den wohnungspolitischen Debatten nur selten eingelöst wird. Wer nicht nur teuren Mieten in der Innenstadt haben will, wird sich vor allem mit der Stadtpolitik und der Wohnungswirtschaft auseinandersetzen müssen.

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Berlin: Innenstadt als Hartz IV freie Zone

Erst kürzlich habe ich hier ein modifiziertes Verkehrsschild mit einen Warnhinweis zur Verdrängungsgefahr in Prenzlauer Berg vorstellen können. Per Mail wurde ich nun auf ein ähnliches Motiv in Friedrichshain aufmerksam gemacht.

Aufkleber gegen Verdrängung, Samariterstraße (Berlin Friedrichshain), 2011

Der Hartz-IV-freier Innenstadtring ist dabei nicht nur eine polemische Zuspitzung,  sondern spiegelt die Struktur der aktuellen Mietangebote in Berlin wider.

Eine Auswertung von Wohnungsangeboten bei ImmoScout24 ergab für das Segment von Ein- und Zweiraumwohnungen, dass unter den 1.321Angeboten innerhalb des S-Bahnrings nur für 183 Wohnungen die Mieten unterhalb der Bemessungsgrenzen für die im SGB II festgelegten ‚Kosten der Unterkunft‘ lagen. Der Großteil dieser Wohnungen (119) wurde in Wedding, Tiergarten und Neukölln angeboten – im gesamten Rest der Innenstadt stehen fast 800 Wohnungsangeboten nur 64 ‚angemessene‘ Wohnungen gegenüber.

Unter Berücksichtigung von Konkurrenzsituationen mit anderen Haushalten, die auf preiswerte Wohungen angewiesen sind (Studierende, Niedrigverdiener/innen etc.) bleibt die Hartz-IV-freie Innestadt leider nicht auf die Polemik von Protestaufklebern beschränkt. Spitzenreiter der Exklusion ist übrigens neben den ‚üblichen Verdächtigen‘ Prenzlauer Berg (7 von 191 Wohnungsangeboten) und Alt-Mitte (2 von 120 Wohnungsangeboten) Alt-Treptow (0 von 15 Wohnungsangeboten).

Berlin: Testballon im Hochpreissegment

Per Mail bin ich auf eine Wohnungsannonce aufmerksam gemacht worden. Die stadtweit agierende Immobilienfirma Lion bewirbt demnach bei ImmobilienScout24 eine Wohnung in der Silbersteinstraße in Neukölln. Der Umstand an sich ist nicht erstaunlich – doch der dort angegebene Preis der top-sanierten Altbauwohnung hat es in sich: Das möblierte Luxusapartment von 62 qm soll schlappe 1.400 Euro im Monat kosten. Das sind 22,50 Euro/qm (netto kalt)!

Wenn sich Berlin auf dem Weg in die  Wohnungsnot befindet –  so ungefähr könnte sie sich anfühlen. Aber auch der ganz normale Mietenwahnsinn in der Stadt sollte Anlass genug geben, eine Wohnungspolitik für Berlin einzufordern. eine Gelegenheit gibt es dazu am kommenden Samstag (16.04.2011) auf der „Wohnungspolitischen Konferenz“ der Berliner MieterGemeinschaft:

Vorsicht Wohnungsnot! Die Politik hat versagt! – Welche außer parlamentarische Gegenbewegung brauchen wir?

Sonnabend, dem 16. April 2011
Leuschnersaal des DGB Hauses
Keithstraße 1/3, 10787 Berlin
(Schöneberg, Nähe Wittenbergplatz)
Beginn: 10:30 Uhr – Ende: ca. 18:00 Uhr

Für alle, die noch unentschieden sind, ob sie sich gegen steigende Mieten und eine drohende Wohnungsnot engagieren sollten, hier eine kleine Entscheidungshilfe:

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Berlin: Schöner Wohnen in Räumen der Benachteiligung

Eine Woche unterwegs in Österreich habe ich die RBB-Abendschau und ihre Reihe „Schöner Wohnen in Berlin“ verpasst. Täglich wurde ein „Aufsteiger-Kiez“ vorgestellt, der von den Redakteur/innen als kommendes Wohnquartier der jungen Kreativen ausgemacht wurde.

Prenzlauer Berg, Mitte, Kreuzberg und Friedrichshain sind bevorzugte Wohngegenden. Junge Kreative und Intellektuelle wollen hier leben. Aber es gibt kaum noch erschwinglichen Wohnraum und so entstehen dort neue In-Kieze, die bisher nicht als gute Wohnlage galten. In dieser Woche stellen wir Ihnen die „Aufsteiger-Kieze“ vor.

Die für die Reportagen ausgewählten Quartiere lesen sich wie ein Stadtplan von Gentrification-Verdachtsgebieten:

Merkwürdig nur, dass bis auf eine Ausnahme alle hier beworbenen „Aufsteiger-Kieze“ in oder direkt angrenzend an die erst kürzlich ausgerufenen Aktionsräume Plus liegen und als besonders benachteiligt gelten:

Die Ergebnisse des jährlichen „Monitoring Soziale Stadtentwicklung“ haben gezeigt, dass die Bewohnerinnen und Bewohner dieser Gebiete in ihren Lebens- und Arbeitsbedingungen im Vergleich zu anderen Gebieten Berlins benachteiligt sind. Hier gibt es überdurchschnittlich hohe Anteile an Arbeitslosen sowie Empfängerinnen und Empfänger staatlicher Unterstützungsleistungen; die Bildungs- und Gesundheitschancen für Kinder und Jugendliche sind vergleichsweise niedrig.

 

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Berlin: Berlusconi lässt die Mieten steigen

Die korrupte und manipulative Politik des italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi hat Berichten von Spiegel Online zu Folge eine regelrechte Auswanderungswelle ausgelöst. Viele – so der Beitrag „Berlino gegen Berlusconi“ – der regierungsfeindlichen Italiener/innen zeiht es nach Berlin. Knapp 15.000 seien es offiziell – realistische Schätzungen sprechen von 50.000. Beliebteste Wohngebiete seien Friedrichshain, Kreuzberg und Mitte:

In Berlino, wie die Italiener die Stadt nennen, hat sich eine Art Exil-Opposition gegen die Regierung Berlusconi gebildet. Es sind Schauspieler und Schriftsteller, Restaurantbesitzer und Ladenverkäufer, die nicht nur italienisch essen und reden, sondern wollen, dass sich endlich etwas ändert. (…)

„Viele junge Leute fliehen vor Berlusconi nach Berlin“, sagt die Künstlerin Giovanna Salabè. Es kommen neue Studenten und auch Touristen, die länger bleiben.

So verständlich die Abneigung gegen Berlusconi ist, so aufwertungsaffin liest sich die Aufzählung der italienischen Regierungsfeinde: Schauspieler, Schriftsteller, Studierende, Tourist/innen, die länger bleiben wollen – das klingt wie eine typische Beschreibung von Gentrification-Pionieren.

Eine erst jüngst veröffentlichte Wohnungsmarktstudie verwies als Beleg für den immobilienbwirtschaftlichen Aufschwung in Neukölln ausgerechnet auf eine Italienerin:

Bezahlt werden die hohen Mieten vor allem von Neuberlinern, die in der Stadt eine Beschäftigung finden. Viele seien aus anderen Ballungsgebieten hohe Mieten gewohnt, so der IVD. Ein Beispiel: Eine Italienerin schrecke auch nicht vor 8,50 Euro Miete pro Quadratmeter in der Leinestraße von Neukölln zurück. Dies zeige, dass die Kreuzberger Mischung aus Off-Kultur und Multikulti zu einer Art Immobilien-Mehrwert auch in Teilen von Neukölln geführt habe.

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Berlin: Anglophone Gentrification in Neukölln

Englischsprachige Anti-Gentrification-Plakate am Herrfurthplatz in Berlin Neukölln (Herbst 2010)

Die Berliner Tourismusindustrie wird dieses Jahr voraussichtlich die 20-Millionen-Marke knacken. Fast die Hälfte der Besucher/innen kommen aus dem Ausland. Auch unter Studierenden, jungen Akademiker/innen und Künstler/innen erfreut sich Berlin einer internationalen Beliebtheit. Stadtentwicklung in Berlin ist zunehmend durch Zuzüge und temporäre Anwesenheiten eines internationalen Erlebnispublikums und Bildungsbürgertums gekennzeichnet.

Auch die Gentrification ist von einer wachsenden Zahl internationaler Aufwertungspioniere geprägt. Neukölln wurde lange Zeit als Beispiel für eine Parallelgesellschaft integrationsunwilliger Migrant/innen durch die öffentlichen Debatten getrieben und als ‚Klein Istanbul‘ stigmatisiert. Die Zeiten sind offenbar vorbei: Das neue Neukölln spricht Englisch. Die New York Times wirbt auf ihren Webseiten für den ‚creative place‘, enttäuschte Wirte hinterlassen ihrem englischsprachigen Publikum eine Videobotschaft im Internet und Stadtteilinitiativen kleben ihre Aufrufe mittlerweile in englischer Sprache : „be active against gentrification“.

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Berlin: „Hartz IV geht raus aus Neukölln“

Gerade war es wieder in der Zeitung zu lesen: Nord-Neukölln ist auf dem Weg der Aufwertung. Die Gegend um den Reuetplatz ist längst als Kreuzkölln zur Vorzugslage von Immobilienmaklern erhoben worden und im Schillerkiez befürchtet die taz sogar Verhältnisse wie in Prenzlauer Berg: Willkommen in „Prenzlkölln“:

Altbauwohnungen in dem Neuköllner Viertel sind inzwischen begehrt. Vermieter nutzen die Nachfrage aus: Sie erhöhen die Mieten kräftig – und werben mit platten Schlagworten.

Die Aufwertung des Viertels wird sehr anschaulich aus der Perspektive von Immobilienmakler/innen beschrieben. Während eine Maklerin, die namentlich nicht genannt werden sollte sich über die vielen Studierenden und Künstler/innen freut, die immer höhere Preise akzeptieren, berichtet Immoblienmakler Cemal Düz von 800 Suchaufträgen von Hartz-IV-Empänger/innen, für die er keine Wohnungen mehr im Kiez findet.

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Berlin: Aufwertung und Verdrängung in der Berliner Innenstadt

Das Berliner Straßen- und Obdachlosenmagazin strassenfeger beschäftigt sich im Schwerpunkt der aktuellen Ausgabe mit „Schöner Wohnen“. Ich wurde angefragt,  einen kleinen Überblick zu den Aufwertungstendenzen in Berlin zu geben. In Berlin wird der strassenfeger u.a. in U-und S-Bahn verkauft.

Für alle anderen gibt es den Beitrag auch hier zu lesen:

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Berlin: Ausbruch aus dem Pionierdilemma?

"Flanierstraße": Neuköllner Straßenkunst via Kunstreuter.de

Fast immer wenn irgendwo über Gentrification diskutiert wird, ist die Künstler-Debatte nicht weit. Dass Kulturproduzent/innen und ihre Einrichtungen und Aktivitäten Stadtentwicklungsprozesse beeinflussen, ist dabei unumstritten – ob sie tatsächlich Auslöser und Motoren von Aufwertungsprozessen sind, nicht. Doch gerade die Ambivalenz von Kunst und Kultur sind ein beliebtes und wiederkehrendes Motiv vieler Gentrification-Reportagen. Die Räumungsdrohungen gegen einige inzwischen etablierten Kultureinrichtungen in Berlin-Mitte (Tacheles und c/o Berlin) haben das Thema mal wieder in die Schlagzeilen gebracht. Die ‚Pioniere als tragische Gestalten der Gentrification‘ sind ja auch wirklich ein dankbares Sujet für die Berichterstattung.

Bei Deutschlandradio Kultur wurde unter dem Titel „Linke gegen Künstler: Die Berliner Gentrifizierungsdebatte“ (mp3) darüber sinniert, warum das Tacheles aus der linken Szene so wenig Unterstützung gegen die Räumung bekommt.

Alles ist wie immer.  Kommerz vertreibt Kreative – ganz klar, wer moralisch im Recht ist. Doch dann geschah etwas Ungewöhnliches:  Kaum jemand solidarisierte sich mit den Mietschuldnern vom Tacheles. Das alte Bündnis zwischen Kunst und Alternativszene – auf einmal schien es aufgekündigt…“

In meiner Interpretation ist das die Quittung für 20 Jahre Ignoranz des Tacheles gegenüber den Aufwertungsprozessen in der unmittelbaren Nachbarschaft. Möglichkeiten, gegen Verdrängung und Kommerzialisierung aufzubegehren, hat es in der Vergangenheit in der Spandauer Vorstadt (das ist die Gegend rund um den Hackeschen Markt) vielfach gegeben – das Tacheles war nie dabei und hat sich als Teil der touristischen Berlin-Vermarktung eingerichtet.

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Berlin: Gefahren der Aufwertung (Interview)

Das Quartiersmanagement (QM) Körnerpark beschäftigt sich mit den Aufwertungsgefahren in Nord-Neukölln. In der aktuellen Ausgabe der Körnerpost (pdf) gibt es ein kurzes Interview mit mir. Neben verschiedenen Einschätzungen zur aktuellen Entwicklung in Nord-Neukölln waren auch die Beschränktheiten des Quartiersmanagements selbst Thema des Gespräches. Zwischen Beiträgen zur „Baumscheiben-Begrünung“ und einem Aufruf zum Frühjahrsputz („Sauberer Kiez – Mach mit!“) wirken kritsche Wortmeldungen zur Stadtentwicklung und Quartierspolitik etwas verloren… Aber im Unterschied zu den umstrittenen Projekten des QM Schillerpropmenade (Task Force Okerstraße) verzichtet das Handlungskonzept des QM Körnerpark selbst beim Ziel „Steigerung des Sicherheitsempfinden“ auf repressive Instrumente. Schade ist allenfalls, dass die als ‚Stärke des Quartiers‘ festgestellte Wohnungsversorgung mit „guten und preiswerten Altbauwohungen“ in den Zielkoordinaten des Quartiersmanagements nicht mehr auftaucht. Die Sicherung preiswerter Wohnungen wäre mit großer Sicherheit ein sinnvoller Beitrag zur angestrebten Verbesserung der Lebensqualität im Quartier.

Im Interview für die Körnerpost hab ich das auch so ähnlich formuliert:

Sie halten die Aufwertung eines Stadtteils für eine ambivalente Angelegenheit, weil neben der Erneuerung von Bausubstanz und der Beseitigung von Gewerbeleerstand häufig auch die Mieten steigen. Wie soll eine Stadtentwicklung, die die sozial schwache Bevölkerung berücksichtigt, Ihrer Meinung nach denn aussehen?

Eine Stadtpolitik, die von den Bedürfnissen der aktuellen Bewohner/innen ausgeht, sollte sich vor allem an der Verbesserung der Lebensqualität und der Schaffung von Arbeitsplätzen orientieren. Da ökonomische Ressourcen in der Gesellschaft ungleich verteilt sind, muss eine sozial orientierte Stadtpolitik immer auch eine Umverteilungspolitik sein. Ein wichtiger Aspekt für einkommensschwächere Haushalte ist dabei, dass die Miete bezahlbar bleibt.

Das ausführliche Interview gibt es auch gleich hier zu lesen:

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