Berlin: Warum die Mieten steigen

Berlin: Fette-Mieten-Party als Protest gegen Gentrification

In den inzwischen populär gewordenen Bezugnahmen zu Gentrification-Theorien wird regelmäßig ein Bild des kulturell induzierten Wandels beschworen: „Erst kommen die Künstler/innen und Alternativen, dann steigen die Mieten…“. In den wissenschaftlichen Debatten hingegen werden politische und ökonomische Faktoren der Stadtentwicklung als zentrale Ursachen von Aufwertungsprozessen ausgemacht. Drei Meldungen aus den letzten Tagen verweisen auf die tatsächliche Relevanz solch einer polit-ökonomischen Perspektive.

Mietsteigerungen und Verdrängungsprozesse sind – so mein Argument – kein natürlicher Effekt der Stadtentwicklung, sondern unmittelbarer Ausdruck von politischen Entscheidungen und ökonomischen Interessen. Das klingt wie ein Allgemeinplatz („Wussten wir doch alles schon“) formuliert aber einen Anspruch, der in den wohnungspolitischen Debatten nur selten eingelöst wird. Wer nicht nur teuren Mieten in der Innenstadt haben will, wird sich vor allem mit der Stadtpolitik und der Wohnungswirtschaft auseinandersetzen müssen.

Die von mir ausgewählten Beiträge verweisen auf eine Dreieck von Stadtpolitik, Wohnungswirtschaft und steigenden Mieten:

Die Fakten: flächendeckende Mietsteigerungen in der Innenstadt. Die taz berichtet in ihrem Berliner Lokalteil über den drastischen Anstieg von Neuvermietungsmieten seit 2007: Neukölln, jetzt 23 Prozent teurer. Eine Auswertung von Wohnungsangeboten auf dem Online-Immobilienportal ImmoScout24 (hier als pdf) weist für die Wohnungsangebote im Innenstadtbereich zwischen 2007 und 2010 eine Steigerung um durchschnittlich 14 Prozent auf. In einigen Quartieren liegen die Werte deutlich darüber. Die Entwicklungen können als relativ deutlicher Gentrifcation-Indikator verstanden werden, weil sich die lokalen Wohnungsmärkte für ärmere Haushalte zunehmend schließen.

Was hat die Politik mit steigenden Mieten zu tun? Ein aktuelles Beispiel: Der Tagesspiegel berichtet wie fast alle anderen Berliner Zeitungen auch über die Entscheidung des Bauausschusses im Berliner Abgeordentenhaus, mit einem sogenannten „Wohnraumgesetz“ den Sozialen Wohnungsbau in Berlin faktisch abzuschaffen: Trotz Expertenkritik: Wohnraumgesetz angenommen. Im Kern ginge es, so der Tagesspiegel, darum

…dass Eigentümern von Sozialbauten Schulden erlassen werden, wenn sie vorzeitig Kredite der landeseigenen Förderbank zurückzahlen. Im Gegenzug sollen sie Teile der Sozialwohnungen weiterhin zu günstigen Mieten anbieten.

Die Sozialwohnungen mit den ‚weiterhin günstigen Mieten‘ beschränken sich im Entwurf des Gesetzes auf maximal 50 Prozent der jetzigen Bestände und ‚günstig‘ bezieht sich auf die gerade deutlich angestiegenen Mietspiegelwerte der jeweiligen Baualterklassen. Die Option die Mietpreis- und Belegungsbindungen für momentan noch 160.000 Sozialwohnungen zur gezielten Versorgung von Haushalten mit geringen Einkommen zu nutzen, wird so quasi ohnen Gegenleistung aus der Hand gegeben. Statt dessen wird insbesondere in den attraktiven Innenstadtlagen der Verdrängungsdruck steigen. Schon jetzt sind in ehemaligen Sozialwohnungsanlagen drastische Mieterhöhungen, gezielte Verdrängung der Altmieter/innen und Umwandlungen in Eigentumswohnungen zu beobachten. Gentrification hat hier unmittelbare (wohnungs)politische Ursachen.

Was hat der Immobilienmarkt mit den steigenden Mieten zu tun? Aufschluss darüber gibt die Immobilienzeitung. In einem Bericht werden die aktuellen Anlagestrategien eines österreichischen Immobilienunternehmens (conwert) beschrieben: Berlin ist attraktiver als Wien. Während das Geschäft mit den Wiener Zinshäusern höchstens 3 Prozent Rendite pro Jahr einbringt, verspricht sich Volker Riebel von conwert Immobilien Invest in Berlin Gewinne von bis zu 8 Prozent. Ein klarer Anreiz für den Wechsel des Rennpferdes. In Wien soll fast die Hälfte des Immobilienvermögens verkauft werden um neuen Investitionsspielräume für Berlin zu öffnen.

Genau das ist der Grund, warum sich conwert von einem guten Teil der Zinshäuser in Österreich trennen will und auch schon getrennt hat: Der Verkaufserlös steigerte sich im ersten Quartal 2011 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 44% auf 65,3 Mio. Euro. Zudem ist von Januar bis März ein Verkaufserlös in Höhe 99,3 Mio. Euro erzielt worden, der erst im zweiten Quartal ergebniswirksam wird. In Deutschland hat das Unternehmen dagegen Anfang des Jahres bereits zugeschlagen und 1.700 Wohnungen in Berlin erworben. Sie würden eine Rendite von 7,9% bringen, so Riebel. Zudem geht er davon aus, dass der Leerstand von 9% schnell reduziert werden kann. Immerhin habe man vor allem in nachgefragten Westberliner Bezirken sowie „ein wenig am Prenzlauer Berg“ eingekauft.

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Mietsteigerungen sind also weniger ein Effekt von veränderter Nachfrage der Wohnungssuchenden, sondern vor allem Ergebnis der Gewinnerwartung von Eigentümer/innen und institutionellen Anlegern.

18 Gedanken zu „Berlin: Warum die Mieten steigen

  1. „In Wien soll fast die Hälfte des Immobilienvermögens verkauft werden um neuen Investitionsspielräume für Berlin zu öffnen.“

    Da wissen wir ja, was kommen wird.

    ah,
    was mich interessieren würde, wäre deine Ansicht zur Rolle der Linkspartei in Sachen Wohungspolitik und Gentrifizierung. Bemerkenswert ist ja, dass die Gentrifizierung immer mächtiger wird, obwohl rot-rot seit zehn Jahren regiert und die auf kommunaler bzw. auf Länderebene schon eine Menge Spielräume hätten. Mir geht es jetzt nicht so sehr um die Fehlentscheidungen, die sich die PDS (beispielsweise mit dem Verkauf der GSW) geleistet hat und die auch parteiintern mittlerweile mehrheitlich kritisiert werden, wenn ich das richtig sehe, sondern um die aktuelle Politik.

    Die SPD spielt da ihre übliche neoliberale Rolle, aber wie sieht es bei der Linkspartei aus? Kommt da Widerstand? Sind die inkompetent? Haben sie die falschen Ressorts? Das Thema Mietsteigerungen/Gentrifizierung ist mittlerweile ein großes, auch Zeitungen wie der Tagesspiegel berichten regelmäßig darüber, die Kommentarspalten sind voll. Warum greift die Linkspartei das nicht offensiver auf? Ich halte das für ein echtes Manko, denn wenn nicht mal die den Arsch hochkriegen, kann man es auf der parteipolitischen Ebene komplett vergessen. Oder traust du den Grünen da mehr zu?

    Danke und Gruß

  2. Pingback: mois-Blog - Die Häuser denen, die drin wohnen!

  3. Hallo Andrej,

    ich lese Deinen Blog schon seit dem Start. Obwohl ich Deinen Schlussfolgerungen selten zustimme hielt ich Deine Problembeschreibungen und Erörterungen meist für schlüssig, nachvollziehbar und gut durchdacht. Man könnte diskutieren, ob eine Preissteigerung von 14% nun „viel“ ist oder „wenig“ – das hängt vom Vergleichsmasstab ab und der jeweiligen Perspektive darauf. Aber es gruselt mir wie Du, ausgerechnet ein Sozialwissenschaftler, im „wissenschaftlichen Diskurs“ sämtliche soziodemographischen Faktoren die sich auf den Wohnungsmarkt auswirken einfach ignorieren willst. Wie schaffst Du es nur zu vergessen, dass sich die soziale Zusammensetzung (nicht nur) der Berliner Bevölkerung dramatisch verändert und die Wohn- und Lebensformen und der resultierende Bedarf an Wohnraum sich dem anpasst? Hat man Dir denn beispielsweise nicht von dem Erfolg der feministischen Bewegung erzählt die bewirkt hat das Frauen heutzutage nicht mehr das Hausfrauendasein im Einfamilienhaus am Stadtrand als erstrebenswert erachten sondern Karriere machen und im Loft wohnen wollen? Oder wie sieht es mit der konstant abnehmenden Anzahl der Kinder aus und dem höheren Alter der Eltern bei der Erstgeburt was sich wiederum auch in deren Wohnungspräferenzen spiegelt? Die Migranten mit ihren unterschiedlichen Kultur- und Wohnvorstellungen? Die alternde Gesellschaft mit dem Bedarf nach barrierefreiem Wohnen? Der Wandel von der Industrie- zur Dienslteistungswirtschaft mit allem was sich daraus ergibt?

    Wie kann man behaupten, dass die Entwicklung in Quartieren wie dem Prenzlauer Berg nicht von der veränderten Nachfrage getrieben sind? Die Häuser und die Wohnungen sind dort oftmals einhundert Jahre alt und älter – und wurden erst wieder „interessant“ als sich der gesellschaftliche Trend nach der Wende weg vom Kollektivismus und hin zum Individualismus bewegte, als die Kleinfamilie nicht mehr das ideale Lebensmodell war und die Distanz zur Shoppingmeile wichtiger wurde als die Distanz zum Industriegebiet . Eine zentrale Lage hatte der Ort auch schon als er noch in Ost-Berlin war – aber die Nähe zu Erich war wohl nicht ganz so beliebt wie die Nähe zu Angie. Die Veränderungen der Nachfrage sind nicht nur ein Faktor sondern der wichtigste Faktor in diesen ganzen Entwicklungen überhaupt! Zu DDR-Zeiten waren die Plattenbauten sehr begehrt und nur per Warteliste zu bekommen und die Altbauten des Prenzlauer Berg standen leer und waren dem Verfall preisgegeben. Jetzt gibt es Warteschlangen für Altbauwohnugen und die sozialistischen Plattenbausiedlungen sind selbst bei Sozialisten unbeliebt. Wie kann man das alles nur übersehen?

    Noch nie war in Deutschland das Verhältnis von Angebot und Nachfrage auf dem Wohnungsmarkt (für Nutzer) günstiger als heute. Die Wohnfläche pro Kopf steigt kontinuierlich und jedes Jahr wird ein neuer Rekord erreicht. Gleichzeitig waren aber die Mieter noch nie so kompromisslos bei den Präferenzen für bestimmte Wohnungen und Orte. Das Problem ist nicht, dass das Angebot knapper wird – die Ansprüche der Mieter steigen jedoch schneller als der Wohnungsmarkt jemals mithalten könnte. Heute beklagen sich Sozialverbände darüber dass Hartz IV Empfänger nur den kläglichen Anspruch auf eine 45m² Wohnung haben und das dies ja furchtbar unsozial sei – zu DDR Zeiten waren die realexisiterenden 28m² pro Person scheinbar irgendwie weniger kläglich und viel sozialer. 😉

    Der Städtebau entwickelt sich über Jahrhunderte und Wohnbauten werden für geplante achtzig Jahre Nutzungsdauer errichtet. Wie kann man da angesichts der stattfindenden gesellschaftlichen Umwälzung und deren Auswirkungen auf die Nachfrage ernsthaft behaupten der Wohnungsmarkt werde von der Angebotsseite bestimmt?

    Grüße,

    Andreas

  4. „Mietsteigerungen sind also weniger ein Effekt von veränderter Nachfrage der Wohnungssuchenden, sondern vor allem Ergebnis der Gewinnerwartung von Eigentümer/innen und institutionellen Anlegern.“

    Also, ich finde, der Satz ist dumm formuliert und lässt sich auch nicht aus den zuvor dargelegten Fakten herleiten.

    Seit wann können Eigentümer die Mieten ganz alleine bestimmen? Die Frage ist doch, warum sich höhere Gewinnerwartungen über Mietsteigerungen überhaupt durchsetzen lassen. Und an der Stelle spielt das immer ungünstigere Nachfrage-Angebot-Verhältnis doch eine entscheidende Rolle.

  5. Lieber Andreas, lieber DJ Tüddel,

    vielen Dank für eure engagierten und ausführlichen Kommentare. Ich hätte gar nicht gedacht, dass meine Momentaufnahme von Zeitungsartikeln der letzten Tage solch grundsätzliche Reaktionen hervorruft. Aber gut so, haben wir wenigstens ein gemeinsames Thema.

    @Andreas Ich finde die allermeisten deiner Argumente extrem sinnvoll und zutreffend und habe die grundsätzlichen Veränderungen von Arbeitsbedingungen und Lebenssstilen ja selbst in vielen meiner Texten beschrieben. Mit dem Blogeintrag ging es mir auch nicht so sehr darum, die gesamtgesellschaftlichen Veränderungen zu leugnen, sondern ein Argument gegen die Naturalisierungsperspektiven einer angeblich kulturell induzierten Aufwertung zu formulieren.

    Die von dir beschriebenen Befunde zeigen ja auch, dass die Mieten nicht steigen, weil Studierende, Künstler/innen und Alternative ein Viertel „interessant“ gemacht haben, sondern weil es ökonomische Veränderungen in der Welt der Arbeit gibt und sich der Kapitalismus im Zeitalter der Wissenökonomie eine eigene und passende räumliche Struktur gibt. Die Analyse von Zusammenhängen der Produktionsverhältnisse und der Urbanbisierung sind ja auch ein klassisches Feld der Politiökonomie. Mit ein bisschen mehr Rechercheaufwand hätte ich da vielleicht auch noch einen aktuellen Beitrag finden können (hab ich aber nicht gemacht).

    Doch ohne eine Analyse der wohnungswirtschaftliche und politische Rahmenbedingungen ist die Stadtentwicklung trotzdem nicht zu verstehen. Die von dir angeführte Aufwertung von Prenzlauer Berg z.B. ist eben nicht nur Ergebnis einer veränderten Nachfrage, sondern ist ganz wesentlich auf Sanierungsgebietssatzungen, Steueranreize und Fördermittel (im Gesamtumfang von 1 Mrd. Euro in 15 Jahren Stadterneuerung) und die Veränderung der mietbezogenen Regulationen (Kürzung der Mod/Inst. Förderprogramme und Einstellung der Mietobergrenzen) zurückzuführen. Damit will ich keinesfalls sagen, mit der Wohnungswirtschaft und der Stadtpolitik sei alles zu erklären – aber ohne sie eben auch nicht.

    @DJ Tüddel Du fragst zurecht, seit wann die Eigentümer/innen die Mieten ganz allein bestimmen können, deshalb habe ich ja mit dem Beispiel des ‚Wohnraumgesetzes‘ explizit auf einn Aspekt der politischen Regulation der Wohnungsversorgung verwiesen. Mietrecht, baurechtliche Auflagen und Nutzungsgebote usw. spielen für die Bildung des Mietpreise eine sicherlich entscheidende Rolle – die Realität des freien Spiels von Angebot und Nachfrage gibt es doch in der Realität gar nicht (und ich würde sagen, dass ist grundsätzlich auch in Ordnung so). Die Gewinnerwartungen von Anlegern wie Conwert werden eben nicht nur von einer Nachfrageeinschätzung getragen, sondern eben auch von Zinssätzen der Kapitalfiannzierung, der Breitschaft von Anleger/innen in Berlin und eben nicht in Wien zu investieren, von Einschätzungen der künftigen Wohnungspolitik in der Stadt etc. etc.
    Kritische Wohnungswissenschaftler/innen habe Ende der 1980er Jahre übrigens die These vertreten, dass der Wandel der Eigentümerstruktur das effektivste Instrument der Wohnungspolitik sei, weil sich unterschiedliche Gewinn- und Renditeerwartungen eben doch auf das Vermietungsverhalten und die Bestandsentwicklung auswirken. Und ohne die Wohnverhältnisse in Häusern von Kleineigetümer/innen zu idealisieren, macht es doch einen Unterschied, ob sich Häuser in der dritten Generation im Familienbesitz befinden und eine regelmäßige Rente in Höhe der aktuellen Zinssatzes abwerfen sollen oder ob in der Bewirtschaftung die Renditeerwartungen institutioneller Anleger wie Conwert erfüllt werden müssen.

    Noch ein bisschen weitergedacht, sind ja auch Organisationsformen der Wohnungsversorgung denkbar, die sich gar nicht an den Marktprinzipien der Renditemaximierung orientieren. Dein Angebot-Nachfrage-Argument setzt also gewinnmaximierenden Eigentümer/innen voraus und insofern finde ich die Formulierung, dass die ‚Mietsteigerungen ein Ergbenis von Gewinnerwartungen‘ sind gar nicht so dumm…

    Recht habt ihr beide sicherlich darin, dass es mir im Blogpost-Format nicht immer gut gelingt, übergreifende Gedanken in der eigentlich notwendigen Komplexität darzustellen. Insofern an dieser Stelle mal eine DICKES DANKESCHÖN für das häufige Kommentieren, Fragen und Meckern – denn genau das macht (zumindest für mich) die Lebendigkeit des Bloggens aus.

    AH

    • Hallo,

      leider war diese Position in Deinem Ursprungsposting nicht so erkennbar. Genau das hatte mich auch so überrascht und befremdet.

      Ich stimme Dir zu, dass es auch nicht die „Kreativen“ sind die an der Problematik schuld sind – ihnen kommt da eher die Rolle des Trüffelschweins zu: d.h. sie erkennen günstige Angebote und versuchen nur daraus individuell zu profitieren und werden dabei von kaufkräftigen Dritten beobachtet. Gleichzeitig sehe ich aber auch nicht die von Dir kritisierten Investoren in der Schuld – sie sind diese Dritten und sie betreiben lediglich das selbe wie die „Kreativen“: sie versuchen ebenfalls nur aus der vorhandenen Situation zu profitieren.

      Verursacht wird die Problematik meines Erachtens nach durch die fortwährend steigenden Ansprüche an den Wohnraum. Ein Wohlstandsphänomen welches sich durch sämtliche sozialen Schichten zieht. Das Phänomen wird in der Architekturdiskussion unter dem Begriff Wandel des Wohnens auf und abdekliniert. Während es in der Architektur darum geht aus Trends und Entwicklungen zukunftsfähige Lösungen abzuleiten, so kann man die soziale Problematik aber aus einer Rückbetrachtung ableiten. Betrachtet man beispielsweise die Publikation „Die Wohnung für das Existenzminimum“ vom CIAM Kongress 1929 und die darin zugrundegelegten Sozialstandards, dann sieht man wie sehr die Abweichung zu gegenwärtigen Wohnvorstellungen ist. Damals wurden rund 12-15m² pro Person als auskömmlich angenommen. In den Wohnungen die damals für 6-8 Personen konzipiert wurden leben heute 2-4 und die allseits beliebten Zweieinhalbraumwohnungen für Dinks und Singles waren einst Familienwohnungen für 4 Personen. Die Standards im Sozialwohnungsbau der 60er sahen noch eine Wohnflächenobergrenze von 65m² für eine Familie mit zwei Kindern vor.

      Während sich die individuellen Flächenansprüche im Laufe der letzten achtzig Jahre von ca 10-15 auf ca 40 m² verdreifacht haben ist dem Angebot in innerstädtischen Lagen natürlich eine Grenze vorgegeben die durch die geltenden Restriktionen im Bau auch noch künstlich verengt wurden. In der Industrialisierung hatten die hochverdichteten Wohnlagen GFZ Werte von 3-5. Spätestens seit dem Neuen Bauen, CIAM und der Charta von Athen wurde die Reduktion der Innerstädtischen Bebauung als soziales Ziel etabliert und in Bauauflagen gefestigt.

      Es sind diese gegenläufigen Entwicklungen die auf dem Markt eine Situation herbeiführen die Vergleichbar ist zu der „Peak-Oil“ Theorie auf den Energiemärkten: der Preisexplosion infolge des ungebremsten Bedarfes einer finiten Ressource. Als Liberaler ist man natürlich geneigt diese Situation den Kräften des Marktes zuzuschreiben und auf deren Auflösung hierdurch zu hoffen, allerdings birgt diese Lösung ein erhebliches Konfliktpotential und Kostenrisiko in anderen Zusammenhängen und ist daher politisch heikel.

      Wenn man in dieser Gleichung aber die Preisanpassung als politisch unvermittelbar betrachtet, berücksichtigt dass eine nennenswerte Angebotsexpansion aufgrund von geltenden und nur träge zu ändernden Bauvorschriften faktisch schwer bis unmöglich ist und die Senkung der individuellen Wohnqualität nicht durchsetzbar ist (siehe die 2010er Diskussion um die beabsichtigte 25m² Regelung für HartzIV) dann ist die Problematik überhaupt nur über eine Minderung der Nachfrage zu entschärfen.

      Die von Dir angeführten Eingriffe der öffentlichen Hand haben keine der grundlegenden Entwicklungen verursacht, bestimmt oder verhindert – lediglich das Tempo der Gesamtentwicklung und die Reihenfolge der Orte sind hiervon beeinflusst. Meines Erachtens nach ist die Problematik der Mitnahmeeffekte bei allen von Dir genannten Massnahmen höher als deren Auswirkung auf den Verlauf der Stadtentwicklung – andernfalls müssten Deiner Theorie nach ja die Gegenden ausserhalb der Planwerksbereiche und der Förderzonen nicht betroffen sein, was ja eindeutig nicht zutrifft.

      Auch der direkte Eingriff des Staates in den Markt als Bauherr öffentlicher Wohnungsangebote oder als Käufer von Beständen würde keine Lösung herbeiführen. Die Ergebnisse der aktiven Baupolitik lassen sich in den Plattenbausiedlungen Ost wie West eindrucksvoll beobachten und eine Neuauflage des selben Instrumentes würde nur zu ähnlichen Ergebnissen führen. Das Risiko von Entmischungseffekten überwiegt da eindeutig und eine Kleinteiligere Herangehensweise wäre unpraktikabel und viel zu teuer. Ebenfalls unbezahlbar teuer wäre das Aufkaufen von Wohnungsbeständen in innerstädtischen Lagen. Hier würde sich eine öffentliche Wohnungspolitik zu einem preistreibenden Faktor machen und dementsprechend die Verdrängungseffekte eher bestärken als bekämpfen. Ausserdem dürfte es eine Goldgrube für findige Investoren sein die mit einer modifizierten Fassung der Rieger-NPD-Masche (siehe: http://npd-blog.info/2007/09/21/moglicher-npd-bluff-bringt-gemeinde-an-den-rand-des-ruins/ ) die öffentliche Hand zum Kauf zu erpressen um einem Verkauf an andere Investoren zuvorzukommen. Zu guter letzt würde sich der Staat bei einem Aufkaufen von Bestandswohnungen zudem noch selber in ein unkalkulierbares Kostenrisiko begeben – denn die EnEV mit dem Sanierungsfahrplan 2050 dürfte da eine sprichwörtlich nachhaltige Wirkung auf die öffentlichen Kassen haben.

      Die effektivsten Ansätze für eine politische Steuerung der Urbanisierungstendenz sind daher diejenigen die auf die Nachfrage wirken. Insbesondere die Pendlerpauschale hat die deutsche Version der amerikanischen „drive till you qualify“ Vorortsmentalität befördert. Hier wurde mit vergleichsweise geringem Aufwand die Wohnortentscheidung von Vielen beeinflusst. Eine Ausweitung dieses Instrumentes oder ähnliche Alternativen dürften den Urbanisierungsdruck spürbar mindern. Wie gut die Nachrfageseite auch über andere Umwege gesteuert werden kann zeigt sich in Berlin eindrucksvoll anhand der Schuleinzugsgebiete: Am Beispiel der Degewo Wohnungen im Brunnenviertel kann man gut ableiten wie alleine die Aussicht darauf seine Kinder an einer multikulturell bereicherten Schule einschreiben zu dürfen sich auf die Nachfrage am Wohnungsmarkt auswirkt. 😉

      viele Grüße,

      Andreas

  6. Pingback: Montag News – KW 25 » Widerstand Berlin

  7. Conwert und Berlin, das konnte man vor zwei Tagen auch in der österreichischen Zeitung „der Standard“ lesen. Die Wortwahl ist dort eindeutiger als bei unseren Medien:
    Zitate:
    „Der Berliner Wohnimmobilienmarkt ist für Investoren derzeit ein gefundenes Fressen. … “

    „In Berlin sei die doppelte Wiener Rendite zu erzielen, erklärte der neue Conwert-Vorstandschef Volker Riebel, ein gebürtiger Deutscher, die neue Strategie. Wie das funktioniert, wurde bei einer Rundfahrt zu mehreren Conwert-Zinshäusern in Berlin klar. …“
    http://derstandard.at/1308679573985/Conwert-in-Berlin-Freuen-uns-im-Moment-ueber-jede-Kuendigung

  8. zu Mieterhöhungen kann ich nur sagen, dass ich langsam nicht verstehe ob die Verantwortlichen sich bewusst sind, dass dadurch mehr und mehr Armut herrscht? warum steigen die Gehälter nicht oder Arbeitslosengeld? sollen Menschen nur für die Miete arbeiten gehen? wo bleibt dann, Lebensmittel kaufen, Kinder versorgen und alles was man im Leben braucht.

    Es ist so schlimm wenn man sich gegen das Gesetz nicht wehren kann, weil die die das alles entscheiden, genug Geld haben für sich.

    • Hallo Andreas,

      die Verantwortlichen, damit meine ich die, die die Mieterhöhungen ´“bestimmen“. Wieso bestimmt man nicht (Staat oder Politiker), dass auch Gehälter demensprechen erhöht werden? Den Menschen dürfen wohl laut Gesetz, Kosten erhöht werden, aber dass ihr Verdienst immer der selbe bleibt ist egal.. damit meine ich, dass auch durch diese Erhöhungen auch Armut herrschen wird irgendwann. LG

      • Hallo Zara,

        ach so. Ich dachte Dein Ärger wäre auf Grund eines bestimmten, aktuellen Ereignisses. Falls doch, so solltest Du wissen, dass eine Mieterhöhung erst dann Gültigkeit erlangt wenn Du als Mieterin ihr zugestimmt hast. Ich will und darf hier keine Rechtsberatung geben, aber diese Zustimmung musst Du nicht immer und erst recht nicht sofort geben. Die Leute bei Deinem örtlichen Mieterbund e.V. haben eine Liste von Anwälten mit denen sie schon einmal gute Erfahrungen gemacht haben falls Du da genauere Informationen brauchst.

        viele Grüße,

        Andreas

  9. Hallo genova68,

    wie kommst Du darauf ich sei ein u-Boot von der FDP – ich könnte doch genausogut eines von den Grünen sein 😉

    Im Ernst, ich wäre in ziemlich schlecht getarntes u-Boot, gebe ich meine Ansichten doch viel zu leicht zu erkennen: ein Liberaler mit Hang zum Zynismus und Ironie der schon mal Marx gelesen hat und sich dennoch lieber an Churchill orientiert. Als solcher bin ich zum schleichenden Infiltrieren als politisches u-Boot absolut unfähig.

    Ich lese den Blog weil ich mich aus anderem Blickwinkel auch mit dem Thema beschäftige, gerne meinen Horizont erweitere und den pointierten und charismatischen Schreibstil von Andrej mag. Ich schreibe meine Kommentare weil ich lieber Widerspruch als Zustimmung höre und ich vermute auch Andrej betreibt den Blog unter Anderem weil er gerne sehen will was passiert wenn er seine Thesen gegen den Wind hält.

    Natürlich ist es leichter im Kreis von Gleichgesinnten Zuspruch und Lob zu ergattern, doch diese intelektuelle Inzucht bringt einen nicht wirklich weiter. Insofern freue ich mich über Deine kritische Haltung gegenüber meinen Ausführungen, wäre Dir allerdings dankbar wenn Du etwas detaillierter artikulieren könntest welche Argumente Du weshalb als falsch erachtest.

    vielen Dank und viele Grüße,

    Andreas

  10. Andreas,
    nö, mit deinem Geschreibsel gebe ich micht nicht ausführlich ab, das kostet ja alles Zeit.

    Aber nur um zwei Belege für deine sinnlosen Ausführungen zu bringen:

    „Auch der direkte Eingriff des Staates in den Markt als Bauherr öffentlicher Wohnungsangebote oder als Käufer von Beständen würde keine Lösung herbeiführen. Die Ergebnisse der aktiven Baupolitik lassen sich in den Plattenbausiedlungen Ost wie West eindrucksvoll beobachten und eine Neuauflage des selben Instrumentes würde nur zu ähnlichen Ergebnissen führen.“

    Wenn der Staat baut, baut er Plattenbauten. Aha. Kommt mir vor wie eine PR-Broschüre der FDP. Völlig sinnlos, es steckt kein Argument drin, sinnlose Zuschreibungen und Verallgemeinerungen.

    Dann forderst du allen Ernstes die „Ausweitung“ der Pendlerpauschale, damit noch mehr Siedlungsbrei entsteht?

    Dann noch die Phrase der „multikulturell bereicherten Schule“, typisch neurechtes Rassistengeplapper. Da sind „Liberale mit Hang zum Zynismus“ bekanntlich anfällig.

    Weswegen liest du nochmal diesen Blog? Um deinen Horizont zu erweitern? Na, nur zu!

  11. Hallo Genova,

    Zitat:“Wenn der Staat baut, baut er Plattenbauten. Aha. Kommt mir vor wie eine PR-Broschüre der FDP. Völlig sinnlos, es steckt kein Argument drin, sinnlose Zuschreibungen und Verallgemeinerungen.“

    Was soll daran sinnlos sein? Bislang wurde ausnahmslos bei jedem großangelegten Wohnungsbauprojekt ein ökonomisch günstiges Typenbautensystem verwendet – im Westen wie im Osten und in den USA wie auch in der UDSSR wurden die vorfabrizierte Großtafelbauweise (Platte) angewandt. Die Gründe hierfür sind:
    1. die Planung muss weitgehend ortsunabhängig stattfinden.
    2. um der Gleichheit (Gerechtigkeit) zu dienen werden daher Wohnungstypen entwickelt die einem vorab definierten Standard entsprechen.
    3. die Realisierung muss schnell erfolgen und kostengünstig sein.

    Seit Mitte des vergangenen Jahrhunderts hat sich die Tafelbauweise mit Betonfertigteileementen international hierfür besonders bewährt. Selbstverständlich würde ein neues Wohnbausystem nicht im hässlichen DDR-Waschbetonlook gestaltet werden – wie ich hörte sind WDVS Systeme mit Kunsthartzputz in Pastelltönen gerade in Mode.

    Sämtliche großangelegte Wohnbauprojekte weltweit sind seit dem zweiten Weltkrieg zu diesen oder sehr ähnlichen Lösungen gekommen. Ich behaupte, dass ein künftiges Wohnbauprogramm in Dtl. aufgrund der genannten Gründe mit einem Stahlbetontypensystem mit hohem Vorfertigungsgrad in Tafelbauweise realisiert werden würde. Es ist eine Frage von Zeit und Geld und beide Ressourcen sind knapp.

    Du sagst dies sei „sinnlos“. Kannst Du Deinen intellektuell übersichtlichen Dissens auch etwas präziser begründen?

    viele Grüße,

    Andreas

    PS: und was die „Zersiedlung“ angeht, so ist diese das praktische Gegenteil der Urbanisierung und wirkt somit unmittelbar der Gentrifizierung entgegen. Ich halte die Pendlerpauschale daher für ein durchaus geeignetes Steuerungsinstrument.

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