Zürich: Sind Hausverkäufer verantwortlich für die Gentrification?

Unter dem Titel „Jürg Acklin ist nicht Pestalozzi“ gibt es auf dem Blog von Ronnie Grob einen spannenden Diskussionsbeitrag zur Aufwertung im Züricher Quartier Seefeld. Ausgangpunkt ist eine engagierte Reportage des Schweizer Fernsehens zu den Investitionsstrategien in Seefeld: „Vertrieben von Zuhause – Yuppisierung eines Quartiers (27 min)“.

Der Filmbeitrag beschreibt die Veränderungen im Quartier am Beispiel der Verwertungsstrategien des Investors  Urs Ledermann, dermehr als dreißig Immobilien im Gebiet bewirtschaftet (NZZ, 2006). Erzählt wird eine immer wiederkehrende Geschichte der Sanierung, des Abrisses und der Neubebauung, bei der die früheren Mietparteien ausziehen müssen und neue, solventere Bewohner/innen erschreckend hohe Beträge für luxeriöse Wohnungen bezahlen. So weit, so schlecht, so typisch für Gentrificationprozesse.

Ronnie Grob macht zurecht auf einen Zusammenhang aufmerksam, der in den meisten Gentrificationstudien unterbelichtet bleibt. Er greift eine Interviewpassage mit Jürg Acklin – einem linksliberal eingestellten Schriftsteller und Psychoanalytiker – auf, in dem dieser beschreibt, warum er großen Bedenken zum Trotze das Haus aus jahrzehntelangem Familienbesitz an den umstrittenen Investor verkauft:

Es sind zwei Seelen in der Brust, ich bin auch immer noch in der … [… sozialdemokratischen Partei der Schweiz?] Ich wechsle auch nicht die Partei, weil ich jetzt etwas Geld verdient habe. Ich bin immer noch sozial engagiert und ich glaube: Es ist halt eine kognitive Dissonanz, die man hat, dass man intellektuell und auch gewissermassen gesamtgesellschaftlich kritisch und durchaus auch, wie soll ich sagen, linksliberal ist, aber im entscheidenden Moment: Ich glaube, ich bin einfach nicht Pestalozzi. [gemeint ist Johann Heinrich Pestalozzi, ein Pädagoge, der im Schweizer Sprachgebrauch als Synonym für besonders soziales Handeln Einzug gehalten hat.]

Diesen Schwermut hat sich der gutmeinende Verkäufer mit einem etwa 1 Millionen Schweizer Franken  höheren Verkaufspreis eingehandelt. Ronnie Grob leitet daraus eine allgemeine Verantwortung der kleinen Hausbesitzer für die Quartiersentwicklung ab:

Das Wohl eines Bezirks in der Hand haben hingegen die einzelnen Besitzer, also die potentiellen Verkäufer. Gegen Verkäufer, die an Investoren verkaufen, kann die Politik nichts ausrichten, wie Bloggerin Jacqueline Badran ab 24:55 Minuten korrekt erkennt – und das ist auch richtig so. Es sind die einzelnen Besitzer, die über die Zukunft von Stadtteilen entscheiden. In dem sie verkaufen oder nicht. An wen sie verkaufen und an wen nicht. Ob sie überhaupt verkaufen. Oder ob sie sich irgendwie neu organisieren. Diese Entscheidungen bestimmen zusammengenommen einen guten Teil des Stadtbilds.

Ich glaube: Wer von Investoren erwartet, dass sie nicht nur an die Rendite denken, sondern auch an gesamtgesellschaftliche Prozesse, der sollte das genauso von den Verkäufern erwarten. Vor allem dann, wenn sie “intellektuell und auch gewissermassen gesamtgesellschaftlich kritisch und durchaus auch, wie soll ich sagen, linksliberal” (Jürg Acklin) sind.

Ein interessanter Gedanke, aber hinsichtlich der politischen Verantwortung etwas zu kurz gegriffen. Denn die Argumentation verkennt die ja auch politisch gesetzten Rahmenbedingungen für die Wohnungswirtschaft. Das gestiegene Interesse von sanierungswilligen Investoren wird ja auch durch die mangelnde Restriktionen des Bau- und Sanierungsrechts und die offenbar relativ unbeschränkten Möglichkeiten einen Mietzinz festzulegen gesteigert. Der alte Grundsatz, dass soziale Wohnungsversorgungssysteme letztlich nur durch Dekommodifizierungen zu erreichen sind, wird hier besonders deutlich. Dem Verkäufer (Jürg Acklin in diesem Falle) vorzuwerfen, wie ein echter Marktteilnehmer zu agieren, greift zu kurz, wenn es um die Suche nach Steuerungsmöglichkeiten von Stadtentwicklungsprozessen geht. Nichtdestotrotz erscheint es mir sinnvoll, die ökonomische Aufwertungskette von Eigentümerwechsel – Investitionen –  Mietsteigerung – Verdrängung auch an ihrem Anfangsglied zu unterbrechen. Appelle an ein soziales Verhalten der Alteigentümer wird da aber nicht ausreichen – denkbar wären aber beispielsweise kommunale Programme und Beratungen, die auf eine Stabilisierung von gewachsenen Einzeleigentümerstrukturen zielen.

via: Reifenwechsler

2 Gedanken zu „Zürich: Sind Hausverkäufer verantwortlich für die Gentrification?

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