Im Wiener Journal gibt es einen spannenden Beitrag über den kleinen Boom von Trendquartieren in der österreichischen Hauptstadt: Griss um die Trendviertel. „Griss“ bedeutet dabei so viel wie Andrang:
Der Traum von jungen Wienern in urbanen Bildern: Frühstücken vor der Haustür am Naschmarkt, gegen Sonnenuntergang Abendessen auf der eigenen Dachterrasse mit Blick über Wien. Keine Frage, in Wien gibt es mit Naschmarkt, Karmelitermarkt, Yppenplatz und Spittelberg gefragte Stadtviertel.
Die Beschreibung der Wiener Pionierzonen städtischer Aufwertung klingt wie solche Entwicklungen in hunderten internationalen Studien beschrieben werden:
Diese Pioniere setzen Kulturinitiativen, gründen Lokale oder übernehmen Geschäfte. Nach einiger Zeit werde dieser Stadtteil dann entdeckt, „wodurch die Immobilienpreise steigen und die ‚Pioniere‘ letztlich verdrängt werden“.
Christoph Reinprecht, Soziologieprofessor an der Wiener Universität spricht mit Blick auf den 7. Bezirk sogar von einem „Verdrängungswettbewerb“, deutet aber eine Besonderheit der Wiener Aufwertungsprozesse an:
„Überwiegend leben am Spittelberg heute jüngere, urbane und kaufkräftigere Schichten, die proletarische Bevölkerung gibt es nicht mehr. Aber wir haben am Spittelberg ein eigenartiges Phänomen: Die Sanierung der alten Gebäude war durch die Gemeinde hoch gefördert, wodurch die Mieten günstig sind, teilweise ist die Gemeinde selbst Eigentümerin. Obwohl es einen Austausch der Bevölkerung gab, führte es nicht dazu, dass dort heute nur die sehr Reichen wohnen.“
Vor allem die früheren Bewohner/innen hätten keinen Mehrwert in der Altbaulage gesehen und sich in den engen, feuchten und dunklen Wohnungen auch nicht wohlgefühlt. Die Rhetorik der Gentrificationverharmlosung – so ein bisserl Aufwertung kann doch nicht schaden – ist auch in Bezug auf das Ottakringer Brunnenviertel anzutreffen. Die Veränderungen hier seien zwar sichtbar, aber verdrängt wurde auch hier niemand. Stadtforscher Udo Häberlin begleitete über viele Jahre eine Kulturinitiative in der Nachbarschaft:
„Wir haben das Forschungsprojekt ‚Kunst macht Stadt‘ gemeinsam mit der Wohnbauforschung der Stadt Wien durchgeführt. Unsere Frage war: Welche Auswirkungen haben SoHo in Ottakring und drei andere Kunstprojekte auf die Stadtstruktur? Immerhin gab es noch vor 20 Jahren im Brunnenviertel einen sehr hohen Leerstand an Wohnungen und Lokalen, es lebten viele alte Menschen dort und das Viertel hatte ein schlechtes Image“, berichtet Udo Häberlin. Ein Ergebnis war: Niemand wurde verdrängt, sondern durch Dachgeschoßausbauten wurde neuer Wohnraum geschaffen.
Nun ist der baulicher Ergänzungscharakter von Dachgeschossen oder Neubauten noch kein Beweis für eine sozialverträgliche Stadterneuerung, doch der Text gibt wichtige Hinweise auf einige spezifische Rahmenbedingungen der Wiener Stadtentwicklung.
In London, Paris, New York und Mexiko City gibt es Beispiele, wo ganze Viertel von Immobilienhaien aufgekauft und teuer verkauft werden. „Im Gegensatz zu anderen europäischen Städten gibt es einen Kündigungsschutz und eine Mietpreisbindung an das Kategoriezins- und Richtwertsystem. In anderen Städten bestimmt nur das Kapital“, sagt Udo Häberlin, Stadtforscher der Stadt Wien. (…) Zudem sind in Wien 26 Prozent aller Wohnungen Gemeindewohnungen. Weitere 13 Prozent fallen ebenso unter sozialen Wohnbau.
Neben diesen wohnungspolitischen Instrumente erscheint mir aber auch der Hinweis auf ein gezielte planerische Strategie einer Dezentralisierung von Pioniernutzungen interessant. Statt weniger Leuchtturmprojekte, in der Innenstadt werde versucht, die kulturellen und symbolischen Aufwertungen räumlich stärker zu streuen. Johannes Gielgle von der Wiener Stadtverwaltung dazu:
„Wir beobachten, dass die Aufwertung am Gürtel, der traditionell baulich und sozial eine Trennlinie war, bereits in die Außenbezirke hinausreicht. Es ist eine Leistung der Wiener Stadterneuerungspolitik, dass weniger konzentrierte, dafür großflächige Erfolge zu sehen sind.“ (…)
„Wenn sozial bedürftige Gruppen aus Trendvierteln verdrängt werden, dann konzentrieren sie sich in anderen Vierteln. Die Stadt achtet darauf, solche Benachteiligungen zu vermeiden.“
Ob diese Strategie tatsächlich Aufwertungs- und Verdrängungsprozesse vermindern oder letztendlich eben auch zu einer Vervielfältigung von Verdrängungskulissen führen kann, kann ich nicht wirklich einschätzen. Allein die Tatsache, dass sich Stadtverwaltungen um die stadträumlichen Effekte von Pionierphasen Gedanken machen und diese nicht nur mit der rosa-roten Brille der Attraktivierung von Nachbarschaften betrachten, könnte Anregungen für die Debatten in anderen Städten bieten.
Insbesondere die Idee einer gezielten Streuung und Dekonzentration bestimmter städtischer Trends könnte beispielsweise auf die Berliner Diskussionen um die Baugruppen übertragen werden. Vergleichbar mit dem Gürtel in Wien umgrenzt in Berlin der S-Bahn-Ring die Innenstadt. Vielleicht sollten landeseigenen Grundstücke an Baugruppen nur noch außerhalb des Rings vergeben werden. Die vielfach betonte Funktion als ’soziale Anker‘ hätte dort möglicherweise tatsächlich Sinn und die innerstädtischen Flächen könnten als Aufwertungspuffer für einen preiswerten Mietwohnungsbau vorgehalten werden…
(Dank @Udo Häberlin für den Hinweis)
Freiwillig in den 7.? An den Spittelberg mit dem hässlichsten Weihnachtsmarkt von ganz Wien? Doch nicht mal für Geld. Am besten lebt sich’s in Wien immer noch im 1. Nicht zuletzt dank Uschi Stenzel.
Lebensqualität ist in Wien auch außerhalb der Innenstadt vorhanden. Natürlich lebt’s sich im 1. gut und wohnt sich teuer. Das hat aber wenig bis gar nichts mit der genannten Dame zu tun, sondern mit den Menschen, die die City auch außerhalb der Büro- und Geschäftszeiten beleben.
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Also der Vergleich zwischen Wiener Gürtel und Berliner Innenstadt, der taugt glaube ich nicht so recht. Der eine hat nen Durchmesser von 5-7km, wenn ich mich nicht täusche, und der andere von 10-15km. Das wäre also locker die vierfache Fläche, umd die es sich in Berlin dreht. Und deswegen würden sich das viele Kreativlinge auch sicher nicht gefallen lassen, wenn man sie städtischerseits aus dem S-Bahn-Ring heraus dislozieren wollte – und zwar nicht nur nach kurz hinterm Ring, sondern breit gestreut nach außerhalb…
Und: Mit dem Link is was nicht in Ordnung.
Ach so, wenn ich mich recht erinnere, waren in Österreich die Förderungen des sozialen Wohnungsbaus ewig lang daran gebunden, dass die MieterInnen österreichischer Staatsbürgerschaft sind – praktizierte Ausgrenzung von MigrantInnen also. Erst die EU-Grundregeln sollen dies schließlich gebrochen haben. Erst seit 2006 ist diese Regelung schließlich gefallen.
Wenn also ein so hoher Anteil an Gemeindewohnungen und sozialem Wohnbau ins Felde geführt wird, um wenig Verdrängung zu begründen, so trifft dies nur begrenzt zu. Denn ein Großteil derjenigen, die sozial am schlechtesten da stehen, hatten bis vor kurzem gar keine Chance in den Genuss der sozialen Errungenschaft des sozialen Wohnungsbaus zu kommen.
Erst recht würde sich dieser Umstand erklären – ich kenne die Hintergründe aber nicht – wenn die in den 70ern/80ern sanierten Altbauten zuvor in privater Hand waren und mit Mitteln des Sozialbaus modernisiert worden wären. Dann hätte dies nämlich das Herausdrängen von MigrantInnen aus einem für sie zuvor wichtigen Marktsegment bedeutet. (Ist nur ne These aus der Ferne, Zerrupfen durch Fachkundige erwünscht!)
hm, diesen artikel hat wohl wieder mal die magistratsabteilung 19 in auftrag gegeben. gentrifizierung erfolgt sicher aufgrund des gemeindebauanteils nicht ganz so massiv wie in berlin, ist aber trotzdem v.a. im siebten, zweiten und in sohoottakring zu beobachten. freunde von mir sind aus dem 7. geflüchtet, ihr haus wurde jahrelang ohne rücksicht auf die mieter „veredelt“, die hausverwaltung machte terror, ihr ehemaliger nachbar wurde schließlich delogiert, weil er, als gebrechlicher pensionist, es ohne ihre hilfe nicht mehr geschafft hat, die eingeschriebenen briefe der hausverwaltung abzuholen und adäquat zu beantworten… heute ist es fast unerschwinglich im 7. zu wohnen, aber auch der zweite ist sehr teuer…