Die Berichterstattung in der Jungle World war in der Vergangenheit von einer relativ großen Skepsis gegenüber städtischen Bewegungen getragen. Jetzt hat die Theorie AG der Wir-Bleiben Alle-Kampagne den Ruf der Berliner Freiraumbewegung gerettet. Wo ‚Theorie‘ draufsteht und auch ‚grundsätzliche Fragen‘ diskutiert werden sollen, da ist die Jungle World nicht weit. Da es beim Workshop selbst auch noch um die Überwindung einer ‚verkürzten Gentrificationkritik‘ ging, gibt es nun sogar einen nahezu liebevollen Artikel: „Die Theorie zur Aktion“:
Workshops während der Berliner »Action Weeks« richteten sich gegen verkürzte Gentrifizierungskritik und das schlichte Feindbild »Yuppie«. Wie so häufig bei dem Thema gingen radikale Kritik und Reformismus Hand in Hand. (…) Für die Workshops am Samstag konnte die Theorie-AG die einschlägige Prominenz gewinnen, darunter Andrej Holm und David Harvey (Danke für die Blumen!). Die Einführungsveranstaltung war mit an die 60 Interessierten, vom aufstrebenden Jungakademiker über die punkige Hausprojektbewohnerin bis zum älteren Szenehasen, gut besucht. Diese teilten sich dann auf die im Anschluss stattfindenden Workshops in den Räumen des ehemals besetzten Mehringhofs auf. Dort wurde den Koryphäen auf dem Gebiet des urbanen Raums nicht nur andächtig gelauscht, sondern auch rege nachgefragt und diskutiert. Der Stadtsoziologe Holm referierte über Legitimationsmythen und Rechtfertigungsstrategien im Zusammenhang mit städtischen Aufwertungsprozessen.
Dass die Sache mit den städtischen sozialen Bewegungen und ihre Forderungen jedoch so etwas wie Neuland für die beiden Artikelschreiber/innen ist, zeigt die postitive Überraschung, dass es dabei grundsätzlich doch sowas wie eine Kritik am Kapitalismus gibt.
Ziel der Gentrifizierungskritik sei es nicht, »arme Viertel« um jeden Preis zu erhalten. Kaum jemand hat eine Vorliebe für vermüllte Gehwege, schlecht isolierte Wohnungen und allgegenwärtiges Elend. Armut ist nicht sexy. Vielmehr gehe es darum, gutes Wohnen für alle zu ermöglichen. Langfristig sei, Holm zufolge, die Lösung des Problems nur durch eine »Dekommodifizierung« des Wohnungsmarkts erreichbar, der Herauslösung des Wohnraums aus der Warenform. Womit wir wieder bei der Abschaffung des Kapitalismus wären.
Ja, was denn sonst? Leider hat sich in linken Szenediskussionen sowas wie ein Bekenntniszwang etabliert, der in konkreten stadtpolitischen Auseinandersetzungen eine parolenhafte Kapitalismuskritik einfordert und konkrete Forderungen als sozialdemokratisch oder reformistisch diskreditiert.
David Harvey kam hingegen in der Jungle World nicht ganz so ungeschoren davon. Seine Analyse und Kritik an der „Enteignungsökonomie“ wurde offenbar als Staatsgläubigkeit missverstanden.
Unter »Akkumulation durch Enteignung« versteht Harvey Prozesse, in deren Verlauf sich das Kapital immer weitere Bereiche des gesellschaftlichen Lebens einverleibt – zum Beispiel städtischen Raum –, um sich auf diese Weise relativ sichere Einkommensquellen zu sichern. Gentrifizierung begreift Harvey als ein Moment dieser Entwicklung. Von »Enteignung« zu sprechen, wenn vormals staatliche Wohnungen oder Infrastruktureinrichtungen in den Besitz von privaten Investoren übergehen, ist allerdings befremdlich und legt eine nicht unerhebliche Staatsgläubigkeit nahe.
Aus der polit-ökonomischen Perspektive jedoch ist die Privatisierung und Ökonomisierung ehemals öffentlichen Eigentums sehr wohl als Enteignung zu verstehen, da es einen bisher marktfernen Bereich der gesellschaftlichen Wertschöpfung und Reproduktion betrifft. Wie bei der ursprünglichen Akkumulation (siehe Marx) werden außerhalb des Marktprinzips stehende Bereiche den Verwertungslogiken untergeordnet, also enteignet. Eine Künstlerkritik an den autoritären Strukturen staatlicher Verwaltung ist davon unbenommen, bewegt sich jedoch auf einer anderen Ebene.