Die Immobilienbeilage der Berliner Zeitung von diesem Wochenende (30/31.August) wartet mit einem der Modethemen des Berliner Wohnungsmarktes auf. Unter dem Titel „Dorfleben für Großstädter“ werden sogenannte ‚Urban Villages‘ als neues Produkt des Berliner Immobilienmarktes angepriesen. Sie würden das „Beste aus Großstadt – und Landleben vereinen“ schreibt Autor Till Schröder. Im Unterschied zu den Townhouses, richten sich die ‚Urban Villages‘ jedoch nicht an die Superreichen…
Mehr zum Thema gibts in der taz, bei der Deutschen Welle und im Prenzlauer Berg Blog und auch hier im gentrificationblog.
Anne Riney, Büroleiterin beim Immobilienmakler Engel&Völkers beschreibt den Unterschied wie folgt: Die Townhouses im „Scheunenviertel, Potsdamer Platz und Friedrichstraße ziehen ein Klientel an, die ihr Geld zeigen wollen“. Die Käufergruppe der ‚Urban Villages‘ hingegen seien „Familien mit Kindern und etwas besseren Einkommen“. Mit Preisen von etwa 300.000 Euro für die 120 Quadratmeter große Wohneinheiten bewegen sich die neuen Projekte dennoch deutlich im oberen Bereich der Wohnungsangebote in Berlin. Investor Stoffel von Stofanel findet die Preise nicht zu teuer und glaubt, das Kunden mit 5.000 Euro Monatseinkommen die Angebote gerne annehmen. Für ihn keine Luxusklientel.
Als konkretes Beispiel für die neue Wohnform wird mal wieder der Marthashof in der Schwedter Straße in Prenzlauer Berg angeführt. Ludwig Stoffel erklärt die Vorzüge des geplanten Projektes:
Urban bedeutet, dort zu leben, wo das Leben ist und dies mit allen Vorzügen und Vorteilen, die eine lebhafte und kreative Stadt wie Berlin bietet. Das urbane Dorf ist ein Ort mit grünen Flächen und Natur – eine Idylle, wo Menschen sich geschützt und geborgen fühlen können.
„Ein geschlossenes Ensemble mit Dorfplatz also, aber ohne Verkehr und Gesinde“ so die Zusammenfassung von Autor Till Schroeder. Auch andere Projekte, die diese Definition erfüllen, werden im Artikel benannte: die Prenzlauer Gärten und Winsgärten in Prenzlauer Berg, die Puccini Hofgärten in Weißensee und der Brauhofgarten in Kreuzberg. In der taz ist gar von einem „Townhouse-Boom in Berlin-Prenzlauer Berg“ die Rede und Kyle James erklärt in seinem Beitrag auf dem Deutsche-Welle-Ableger dw-world dem internationalen Publikum die stadtpolitischen Folgen der Neubauprojekte: „Berlin Residents Unsettled by Wave of Gentrification„.
Doch nicht bei allen treffen die neuen Projekte auf Begeisterung. In Prenzlauer Berg hat sich bereits eine AnliegerInitiative Marthashof (AIM) gegründet, die durch Verschattungen und eingeschränkte Ausblicke einen „erheblichen Verlust der Lebens- und Wohnqualität“ befürchtet. Im Prenzlauer Berg Blog ist folgende Presseerklärung der AIM von Ende Mai zu finden:
Keine Kompromisse
Bauvorhaben auf dem »Marthashof« im Prenzlauer Berg stößt auf Widerstand der AnwohnerIm Prenzlauer Berg entsteht eine neue Wohnanlage. Die Stofanel Investment GmbH lässt sie in der Schwedter Straße, zwischen der Flaniermeile Kastanienallee und dem Mauerpark entstehen. »Don’t Compromise« verspricht das »Urban Village«, Leben im Grünen und in der Metropole, am kreativen Puls Berlins. Das Projekt – es ist das größte seiner Art im Bezirk – trägt den Namen »Marthashof«. Diesen historischen Namen trug seit der Mitte des 19. Jahrhunderts ein Heim für gefallene Mädchen vom Lande, betrieben von Kaiserswerther Diakonissen und später auch eine Schule, die 1943 zerbombt wurde. Jetzt entstehen auf dem 12.000 Quadratmeter großen Areal exklusive »Townhouses«, »Gardenhouses« und »Vertical Villas«. Der Verkaufspreis soll teilweise deutlich mehr als 3.200 Euro pro qm betragen.
Viele Anwohner der Oderberger Straße, der Kastanienallee und der Schwedter Straße sind mit dem Bauvorhaben nicht einverstanden. „Keine Kompromisse“ meinen auch sie und haben einen Verein gegründet, um ihre Interessen durchzusetzen: AnliegerInitiative Marthashof – AIM. Ihr Ziel ist es, die geplante Etagenzahl der neuen Gebäude auf dem »Marthashof« zu reduzieren, die Abstände zu ihren Grundstücksgrenzen zu vergrößern und die Belästigungen während der Bauzeit zu minimieren. Außerdem befürchten sie einen sozialen Umstrukturierungsprozess, der die Menschen, die in dieser Gegend leben, immer mehr verdrängt.
Die Bauplanung sieht folgendes vor: Das „Urban Village“ ist U-förmig und nach vorne zur Schwedter Straße offen. In der Mitte befindet sich eine Grünanlage, die am Tag für die Öffentlichkeit zugänglich sein soll. Nach hinten, etwa parallel zur Oderberger, ist der Gebäudekomplex geschlossen. Er ist 6-geschossig und befindet sich an der weitesten Stelle ca. 20 Meter von den Grundstücksgrenzen der Anwohner entfernt, an der engsten etwa fünf Meter. Im „Urban Village“ sollen 500 Menschen eine neue Heimat finden.
Wird diese Planung durchgesetzt, verlieren die Anwohner erheblich an Lebens- und Wohnqualität. Die geplanten 6-geschossigen Gebäude versperren nicht nur den Blick, sondern verschatten auch viele Wohnungen und die kleinen Gärten, die sich hinten an den Häusern der Oderberger Straße befinden.
Zustande gekommen ist diese Bauplanung im Rahmen einer Ausschreibung, die die Architekten Grüntuch Ernst gewonnen haben. Sowohl der Baustadtrat als auch die Sanierungsgesellschaft S.T.E.R.N. und die Betroffenenvertretung haben diesem Entwurf, der ursprünglich allerdings eine niedrigere Bebauung im hinteren Teil vorsah, zugestimmt. Die eigentlich Betroffenen, die Anwohner, wurden weder befragt noch informiert.
Seit einigen Wochen haben sich Vertreter von AIM mit dem Geschäftsführer und der Projektleiterin der von Stofanel eingesetzten Projektsteuerung „Citybauten“ getroffen, um eine Einigung zu erzielen. Bei den Zusammenkünften wurden, bis auf geringfügige Zugeständnisse, noch keine nennenswerten Ergebnisse erzielt.
Gelingt es nicht, einen akzeptablen Kompromiss zu finden, will AIM am 31.05., zeitgleich mit dem Verkaufsbeginn von Stofanel, eine Kampagne gegen das Bauvorhaben starten.
Die Stofanel Projektentwicklung GmbH ist aus der Zusammenarbeit des Unternehmerpaares Ludwig Stoffel und Giovanna Stefanel hervorgegangen. Der Münchener Bauentwickler und die italienische Modedesignerin, die jahrelang als Kreativdirektorin in der Firma ihres Vaters tätig war, haben neben dem »Marthashof«, Wohnanlagen und Projekte auf der Insel Santa Maria delle Grazie vor Venedig sowie seit kurzem in der Berliner Clayallee, wo sie für 20,15 Mio Euro 49 800 Quadratmeter erstanden haben.
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