Seit Jahren hält sich in den Beschreibungen von Prenzlauer Berg hartnäckig das Gerücht der hohen Geburtenraten. Tatsächlich liegt die Zahl der neugeborenen Kinder dort höher als in anderen Bezirken der Stadt. Doch Grund ist nicht eine höhere Geburtenrate, sondern der ungewöhlich hohe Anteil von Haushalten im Alter zwischen 25 und 45 Jahren. Da es kaum deutschsprachige Artikel gibt, die dies beschreiben, hier ein älterer Beitrag aus der New York Times: „Falling German Birthrate Dispels Baby Miracle Myth“
The baby miracle of Prenzlauer Berg seems indisputable in the rush of children on bicycles, playing basketball, or digging in a sandbox. This enclave with many artists and professionals, would be an appealing spot to find the hope of a nation, apparently more so than the immigrant-heavy Neukölln neighborhood that Mr. Klingholz says has the highest birthrate in the city. Many children live in Prenzlauer Berg, even though the birthrate is below the average for the city, the country and the continent. But the number is really explained by the rush of young people who moved into the neighborhood over the past two decades and stayed put.
Doch Grund ist nicht eine höhere Geburtenrate, sondern der ungewöhlich hohe Anteil von Haushalten im Alter zwischen 25 und 45 Jahren.
Der Grund dafür jedoch liegt an der zum Teil „rustikalen“ Vertreibung derer über 45, von denen ein großer Teil in diesem Bezirk geboren und aufgewachsen ist – mehrere Generationen und deren Kinder. Man sehe den 73 jährigen, der seit seiner Geburt in der gleichen Wohnung wohnt und nur durch seine Schwerstbehinderungen inklusive eines so genannten Ostmietvertrages noch nicht dem Crashflow zum Opfer fiel. Der nicht zahlen könnende schnöde Rest besteht meist aus überzeugten und renitenten Wirtschaftsflüchtlingen aus dem Rest der Welt und Künstlern deren Werke kaum jemand kauft, die aber alle in den letzten Hinterhof-Oasen unwissend in die Zukunft schauen und eigentlich nur auf den Tag warten, wo irgendeine Filmschnepfe aus ihrem schwarzen Porsche aussteigt, ihr verzogenes Wanst auf das Fahrrad packt und beim „mal eine Runde drehen“ in den ach so urbanen Hinterhof tritt und den ersten Schlechtesten nach der Telefonnummer des Vermieters fragt, um anschließend grußlos von hinnen zu ziehen – das geile Loft im Kopf, sowie die Kalkulation für die zu erwartenden 35,–Euro pro Quadratmeter für einen „netten“ Laden im noch bestehenden Spätkauf. Die neue Kleine-Stalinallee in den „Schweizer Gärten“ – wo sich keine Gärten mehr befinden und die anderen wie Krebs wuchernden Nobelgetthos künden von der asozialen Zukunft dieses ehemals geruhsamen Fleckchens. Jedem das eigene Gefängnis. Ich lebe seit 5 Jahren im permanenten Baulärm umgeben von sonntaglichen Reisebussen voll mit Scheinzockern, welche ihre Steuerhinterziehungsgelder für schlechteste Bestandssanierung aus meinem Fenster werfen wollen und dann kommt dieser Typ von einer dieser Firmen, welche sich unser ganzes Viertel unter den Nagel gerissen haben, und sagt, mir seine Hand kollegial auf die Schulter legend: „Mensch, wir machen es doch nur schön für Euch!“
In meiner Straße befanden sich in den 20iger Jahren über 30 Geschäfte – davon über 15 Arbeiterwohnzimmer, Schuster, Kohlenhändler, Metzgereien und alles für den tägliche Bedarf, inklusive einer gewachsenen sozialen Struktur. Heute eine hohe Fluktuation der Schnickschnackläden, Mieten in unerklärlicher Höhe – natürlich für Läden, welche schon seit Jahren leer stehen und habe ich das unbestimmte Gefühl am Set für einen sehr merkwürdigen Film zu leben und dabei ziemlich störend für das Bild zu sein. Entschuldigung, dass ich hier lebe. Wenn schon ein falsch parkender Exilbayer entrüstet und ungestraft verlangen kann, dass der Rollstuhlfahrer, den er mit seiner geleasten Scheisskarre am Überqueren der Straße hindert und welcher seinen steuerbegünstigen Abgasdreck einatmen muss, doch bitte schön 300 Meter weiter zur nächsten Kreuzung fahren möchte, dann erschrecke ich. Man kann behaupten, dass der Prenzlauer-Berg eine Zuflucht für soziale Schwache geworden ist. Das Problem dabei sind nicht diese Menschen, sondern dass die das Umfeld ausgleichenden sozial Starken vertrieben werden. Hier kauft man nicht mehr raus, sondern schmeisst raus.
PS: Danke für Deine Arbeit
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