In der aktuellen Ausgabe der Straßenzeitung „Novy Prostor“ (Neuer Raum), die in vielen tschechischen Städten von Obdachlosen verkauft wird, gibt es ein Interview mit mir. Titelgebend war ein etwas überspitztes Zitat aus dem Interview: „Berlín míří k Paříži“ (Berlin auf dem Weg nach Paris).
Die deutsche Fassung des Interviews gibt es hier zu lesen:
Berlin Auf dem Weg nach Paris
Interview mit Andrej Holm („Novy Prostor“ Ausgabe 335, August 2009)
1. Kann man sagen dass heute in Berlin durch Gentrifizierung neue Mauern entstehen?
Gentrification ist ja ein Stadtentwicklungstrend, der baulichen und ökonomischen Aufwertung von Stadtvierteln, der mit sozialen Verdrängungsprozessen einhergeht. Insbesondere innerstädtische Wohngebiete – die lange Zeit die Wohnorte von ärmeren Haushalten und vielen migrantischen Communities waren – werden dabei von den besserverdienenden Mittelschichten als attraktive Wohnorte „entdeckt“ und entsprechend umgestaltet. In der Folge werden Altbauten Modernisiert, teuere Neubauten errichtet und Mietwohnungen in Eigentumswohnungen umgewandelt. Insbesondere in den Ostberliner Altbaugebieten in Mitte, Prenzlauer Berg und Friedrichshain wurden umfassende Modernisierungsarbeiten durchgeführt, die zu einem fast vollständigen Bevölkerungsaustausch geführt haben – nur nach 20 Prozent der ursprünglichen Bevölkerung leben noch in diesen Gebieten. Nach der Wende (Anfang der 1990er Jahren) lebten in diesen Gebieten vor allem ärmere Bevölkerungsgruppen, die einkommen im Gebiet lagen bei etwa 70 Prozent des städtischen Durchschnitts – heute zählen die Wohnungen dort zu den teuersten der Stadt und die Gebebietseinkommen liegen bei fast 140 Prozent des städtischen Durchschnitts. In der Westberliner Innenstadt konzentrieren sich die Aufwertungsprozesse vor allem auf die Bezirke Kreuzberg und Teile von Neukölln – insbesondere im Wedding sind verfestigte Armutsmilieus zu Beobachtungen. Eine hohe Konzentration migrantischer Haushalte, 40 Prozent transferabhängige Haushalte und eine hohe Arbeitslosigkeit prägen die Quartiere dort. Das führt zu der Situation, dass der ehemalige Mauerverlauf zwischen Mitte/Prenzlauer Berg und Wedding heute ein der schärfsten sozialen Grenzen in der Stadt darstellt. Berlin hat sich dort von der „geteilten“ zur „gespaltenen“ Stadt entwickelt.
2. Man sagt, dass auch in anderen deutschen Städten die gleichen Prozesse verlaufen, aber Berlin wird oft als ein „Sonderfall“ beschrieben. Warum?
Zum einen gibt es wegen der Geschichte der Stadt einige Besonderheiten, zum anderen ist Berlin als Hauptstadt und Dienstleistungsmetropole für viele Zuziehenden ein attraktives Ziel. Durch die jahrzehntelange Teilung der Stadt haben sich Stadtentwicklungsprozesse in Berlin langsamer als in anderen westdeutschen/westeuropäischen Metropolen entwickelt. Innerstädtische Altbaugebiete hatten in West- und Ostberlin durch die Mauer eine Randlage und wurden nicht als privilegierte Wohnorte der Mittelschichten entwickelt. Auch die für viele Städte typischen Suburbanisierungsprozesse waren in Berlin nur sehr eingeschränkt möglich. Nach der Wende und dem Zusammenschluss der beiden Stadthälften waren nachholende Entwicklungsprozesse zu beobachten. Am Stadtrand entstanden neue Wohnsiedlungen und die Innenstädte in Ostberlin wurden aufwendig saniert. Durch diesen Bauboom und eine starke politische Regulation in den 1990er Jahren blieben die Mieten auch in den neugebauten und modernisierten Wohnungen vergleichsweise günstig. Erst durch den verstärkten Zuzug von Besserverdienenden in die Stadt haben die Preise nun angezogen. Insbesondere aus einer westdeutschen und internationalen Perspektive erscheint der Wohnungsmarkt in Berlin immer noch relativ preiswert. Dies ist für viele, die hier einen Job bekommen ein zusätzlicher Grund, nach Berlin zu ziehen. Im Vergleich zu den geringen Durchschnittseinkommen in Berlin können viele Zuziehenden auch mehr Geld für ihre Wohnungen ausgeben, so dass es zu den bereits beschriebenen Verdrängungsprozessen kommt.
3. Wie sehen Sie die Zukunft der Stadt. Werden sich homogene Wohnviertel herausbilden, in denen das Gehalt zum Kriterium des Zugangs wird?
Ja, der Trend weist deutlich auf zunehmende Segregationstendenzen hin. Vor allem in den Ostberliner Innenstadtgebieten entwickeln sich Inseln des Luxuswohnens. Schon jetzt finden Hartz-IV-Haushalten (Hartz IV ist das deutsche Modell von sozialen Transferleistungen) keine Wohnungen mehr. In Westberliner Innenstadtbezirken und auch in den Großsiedlungen am Stadtrand hingegen konzentrieren sich die ökonomisch benachteiligten Bevölkerungsgruppen. Noch gibt es in Berlin keine Pariser Verhältnisse (reiche Innenstadt/ausgegrenzte Banlieues), aber ohne politische Eingriffe und eine Rückkehr zu einer sozialen Stadtpolitik geht die Entwicklung in genau diese Richtung.
4. Was sind die Möglichkeiten, wie man sich dagegen verteidigen kann? Welche finden Sie am besten?
Es gibt vor allem in den Altbauvierteln viele Mieter- und Nachbarschaftsinitiativen, die sich gegen konkrete Neubaupläne, Umwandlungen in Eigentumswohnungen und Luxussanierungen organisieren. Die Erfahrungen der letzten Jahre zeigen, dass insbesondere kollektive Strategien von Mieter/innen durchaus Erfolg haben können. Das Mietrecht in Deutschland gibt Mieter/innen relativ gute Schutzmöglichkeiten insbesondere bei Modernisierungsplänen – leider werden sie nicht immer genutzt. Deshalb spielen auch die Mieterorganisationen mit ihren Rechtsberatungen eine wichtige Rolle.
Insbesondere durch die relativ populären Proteste gegen das Großprojekt MediaSpree (Bebauung des Spreeufers in Friedrichshain/Kreuzberg) gibt es aber auch wieder eine allgemeine öffentliche und politische Aufmerksamkeit für Stadtentwicklungsthemen. Fast alle Parteien im Berliner Abgeordnetenhaus beispielsweise erarbeiten zurzeit wohnungspolitische Programme. Das machen die nicht freiwillig, sondern weil sie um das Thema durch den Protest auf der Straße und die mediale Aufmerksamkeit nicht herumkommen.
5. In Berlin wurden in den letzten Wochen immer wieder Autos angezündet. Was denken Sie über solche Aktionen. Kann das erfolgreich sein?
Nutzungskonflikte in Städten wird es geben, solange Ausgrenzung und Konkurrenz die Stadtentwicklung bestimmen. Dass tatsächliche oder auch vermeintliche Symbole von Aufwertungsentwicklungen dabei in den Mittelpunkt von Protesten gestellt werden, lenkt oft von den eigentlichen Ursachen dieser Entwicklung ab. Das Problem der Gentrification sind ja weniger die Aufwertungspioniere und Gentrifier mit ihren mehr oder weniger teuren Autos, sondern die kapitalistische Organisation des Wohnungsmarktes und die unsoziale Stadt- und Wohnungspolitik in Berlin. Statt sich also an den Symptomen abzuarbeiten, sollten politische Initiativen verstärkt versuchen, die ökonomischen und politischen Rahmenbedingungen der Stadtentwicklung zu verschieben.
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