Berlin: Gutsherren der Gentrification

Bei den Versuchen, den Gentrification-Begriff ins Deutsche zu übertragen, brachte Anna Fischhaber in der Süddeutschen Zeitung (Teuer, teurer, München) den Begriff der Veradelung ins Spiel. Diese wörtliche Übersetzung des Wortspiels mit den ‚gentry‘ (niederer Adel), die in die Städte zurückkehren, hat sich bisher nicht durchsetzen können. Zwei aktuelle Entwicklungen im Berliner Aufwertungsgebiet Prenzlauer Berg ziegen nun, dass mit der Gentrification tatsächlich eine quasifeudale Gutsherrenmentalität Einzug gehalten hat.

Die taz berichtet in ihrer aktuellen Ausgabe über die Klage von Wohnungseigentümern in einer neugebauten Wohnanlage gegen den seit über Jahren dort ansässigen Knaack Klub (Früher Clubber – heute Kläger)  und die Umwandlung des seit 1980 nachbarschaftlich organisierten und genutzten Hirschhofs in Privatgärten von Wohnungserwerber/innen (Anwohner wollen Park für sich). In beiden Fällen leiten die (überwiegend) neuzugezogenen Wohnungserwerber/innen aus ihren Eigentumstiteln einen auf die Wohnumgebung bezogenen Gestaltungsanspruch ab, der in den Beispielen langgewachsene (Knaack Klub) und kollektiv erkämpfte (Hirschhof) Strukturen der Nachbarschaften in Frage stellt. Gereon Asmuth fordert in einem engagierten Kommentar daher völlig zurecht die Enteignung der Neueigentümer/innen (Enteignet die Spinner!).

UPDATE: Inzwischen wurden weitere Berichte in Berliner Tagsezeitungen zur Hirschhof-Privatisierung veröffentlicht.

Berliner Zeitung: Gericht sieht im Hirschhof keine Grünfläche mehr

Tagesspiegel: Hofgericht in Prenzlauer Berg

Ruhe bitte!

Der Knaack Klub in der Greifswalder Straße  darf nach Anwohnerklagen aus neugebauten Eigentumswohnungen keine laute Musik mehr spielen und muss umziehen. Das Oberverwaltungsgericht (OVG) entschied nach zwei Jahren Rechtsstreit, dass im Knaack in Zukunft Musik nur noch auf Zimmerlautstärke gespielt werden darf.  Einspruch ausgeschlossen. Noch die erstinstanzlichen Entscheidungen hatten die Klagen der Anwohner/innen zurückgewiesen und es als „rücksichtslos“ bezeichnet, in der Nähe eines stadtweit bekannten Veranstaltungsortes Wohnungen zu errichten. Diese überraschende Sichtweise wurde nun vom OVG revidiert und das Primat des Eigentums in der Rechtsprechung ist wieder ordnungsgemäß hergestellt. Die Betreiber des Knaack Klubs führen -. so die taz (Früher Clubber – heute Kläger) – die drohenden Schließung des Klubs auf die veränderte Bevölkerungszusammensetzung in Prenzlauer Berg zurück:

Beschwerden von Anwohnern habe es in der Geschichte des Knaack immer mal wieder gegeben, sagte sein Kollege Matthias Harnoß. Dass die Situation nun eskaliert sei, liege an den Bewohnern eines Neubaus in der angrenzenden Heinrich-Roller-Straße. „Dort sind Menschen eingezogen, die gerne in einem Kulturzentrum leben wollten, aber wohl nicht wussten, dass lebende Kultur auch Lärm macht.“

Lutz Leichsenring von der Clubcommission Berlin hält entsprechend die „Gentrifizierung des Prenzlauer Bergs (für) das eigentliche Problem in diesem Streit“:

Der Verband der Berliner Club-, Party- und Kulturereignisveranstalter hat regelmäßig mit ähnlichen Problemen auch in anderen Bezirken wie Kreuzberg oder Friedrichshain zu tun. „Die Clubs stehen auf der Abschussliste der Neubesiedler“, sagt er. Man habe große Sorge, dass der Wegzug des Knaacks zum Präzedenzfall werde. „Wenn sogar das Knaack mit seiner über 50-jährigen Geschichte keinen Bestandsschutz genießt, wer dann?“

Mein Haus, mein Garten, meine Stadt

Ganz ähnlich gelagert ist die Konstellation im so genannten Hirschhof, einer seit den 1980ern kollektiv organiserten Parkanlage im Dreieck zwischen Oderberger Straße,  Kastanienallee und Eberswalder Straße. Kristin Ruckschnat erinnert in der taz (Anwohner wollen Park für sich) an die Geschichte die Oppositionellen der 19080er Jahre, die mit ihren Aktionen den Abriss der Oderberger Straße verhinderten und einen Teil der Höfe in eine selbstorganiserte Parkanlage umwandelten. Heute klagen Wohnungseigentümer auf ihren privaten Gartenanteil.

Zu DDR-Zeiten hatten Anwohner die Höfe verschiedener Häuser zu dem grundstücksübergreifenden Park zusammengelegt. Nun ziehen heutige Wohnungseigentümer vor Gericht, weil sie ihr Stück vom Garten für sich haben wollen. (…) Wohnungseigentümer aus einem der angrenzenden Häuser haben gegen das Bezirksamt Pankow geklagt. Sie wollen den Garten hinter ihrem Haus. Eingezäunt. Am heutigen Freitag kommt das Verwaltungsgericht zu einer Ortsbesichtigung. „Die Anwohner haben Gartenanteile zusammen mit den Wohnungen erworben und wollen sie auch dementsprechend nutzen“, erklärt der Anwalt der Eigentümergemeinschaft, Frank Boermann.

Der Konflikt um den Hirschhof wirft nicht nur ein grelles Licht auf die sich neu etablierenden Eigentümermentalitäten in Prenzlauer Berg sondern steht 20 Jahre nach der Wende für die quasikoloniale Struktur der Vereinigung: Was den Abrissbirnen des Unrechtsstaates in den 1980er Jahren abgetrotzt wurde, wird nun von den Gerichten der neuen Ordnung für beendet erklärt. Schade nur, dass die Anwohner/innen bei diesem zeithistorischen Anschauungsunterricht auf der Strecke bleiben…

10 Gedanken zu „Berlin: Gutsherren der Gentrification

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  2. Sind das nicht die gleichen Spinner, die den Wochenmarkt auf dem Kollwitzplatz abschaffen wollen? Die machen ja Samstagfrüh immer so einen Lärm, das geht ja gar nicht…

    Kann man diese zugezogenen Landeier aus Süddeutschland nicht einfangen und schleunigst zurücksenden nach Stuttgart, Böblingen & Co.? Dann sind wir sie endlich wieder los.

  3. Wie immer gibt es nicht nur eine Wahrheit. Ich finde es legitim das Leute, wenn Sie eine Wohnung gekauft/gebaut haben, auch den Garten für sich nutzen wollen.

    Die Stadt / Das Land / Der Bund der die Wohnungen genehmigt hat, sah es anscheinend nicht als wichtig an den Park in seiner jetzigen Form zu erhalten. Die Wut sollte sich wohl daher eher gegen den Bauträger wenden. Die neuen Anwohner einfach „zurückschicken wo sie herkommen“, das ist doch eine arg menschenfeindliche und faschistisch.

    Die Sache mit dem Club Knaack kann ich hingegen ganz und gar nicht verstehen. Man weiss, das dort ein Club ist, zieht dorthin und beschwert sich dann über den Lärm. Das sind die selben Leute die neben eine Kirchen ziehen und sich dann über das Läuten der Glocke beschweren (Wobei Kirchen wieder ein ganz anderes Thema sind 😉

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