Berlin: Gentrification forciert Zweiklassenschule

Zentrales Merkmal der Berliner Aufwertungsgebiete ist – neben den überdurchschnittlich hohen Wohnkosten – ein hoher Anteil von Akademiker/innen. Diese gelten gemeinhin als sehr bildungsbewusst, wenn es um die Erziehung des eigenen Nachwuchses geht. Selbstorganisierte Kindertagesstätten, Elterncafes und Kinderjoga für die Kleinsten, Privatschulen für die etwas Älteren – so sah die Realität exklusiver Bildungseinrichtungen im Ergebnis der Stadtteilaufwertung bisher oft aus. Dies soll sich nun ändern: Die Direktorin der Gustav-Falke-Grundschule in Berlin Wedding umwirbt die Mittelklasseeltern aus Alt-Mitte und Prenzlauer Berg mit Lockangeboten.

Berliner Morgenpost: Berliner Schule wirbt Schüler mit Deutsch-Klasse

Berliner Zeitung: Deutsch als Bedingung

Das klingt auf den ersten Blick vernünftig, denn nichts steht in der Berliner Stadtpolitik so hoch im Kurs wie der Mythos der Sozialen Mischung. Die Rechnung klingt zunächst auch sehr einleuchtend: kommen deutsche Kinder aus bildungsaffinen Familien an die Problemschulen, steigt das allgemeine Bildungsniveau und zieht die Schüler/innen aus benachteiligten Haushalten fast wie von selbst in eine bessere Bildungssituation. Der alte Traum von der Gentrification, die den Armen und Ausgegrenzten nützt, weil sie von den sozialen und kulturellen Ressourcen der Bessergestellten profitieren, soll nun ausgerechnet an der schärfsten sozialen Trennlinie Berlins (Bernauer Straße) verwirklicht werden.

Doch die Realität entpuppt sich bei genauerem Hinsehen doch wieder als eine neue Form der Exklusion. Denn um die deutschen Mittelklassekinder südlich der Bernauer Straße in den Wedding zu locken wird den Eltern nicht  nur garantiert, dass alle Schüler/innen in den neue eingerichteten Klassen eine Sprachtest bestehen müssen, mindestens 50 Prozent der Kinder „Biodeutsche“ sind und ab der ersten Klasse Englischunterricht erhalten sondern auch, dass die Klassenstärke auf maximal 24 (statt der sonst üblichen 28) begrenzt bleibt. Migrantische Kinder, die mit über 80 Prozent die Schule prägen, sollen also auch weiterhin weitgehend unter sich bleiben und die besseren Bildungsangebote gibt es für die Kinder aus bildungsnahen Familien. Wie mit einem solchen Zweiklassensystem des Grundschulunterrichtes die Integration gefördert werden soll, bleibt ein Geheimnis.

5 Gedanken zu „Berlin: Gentrification forciert Zweiklassenschule

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  3. „Wie mit einem solchen Zweiklassensystem des Grundschulunterrichtes die Integration gefördert werden soll, bleibt ein Geheimnis.“

    Die Bauchschmerzen sind verständlich. Nur leider hat bisher niemand Konzepte durchgesetzt(!), die die Integration nicht nur perspektivisch an Schulen fördern (Modellprojekt Gemeinschaftsschul z.B.), sondern es gibt keine Antwort auf die subjektiv als richtig eingeschätzten Forderungen nach guten Lern- und Fördermöglichkeiten von dem Teil der Eltern, die sich in der Bildungslandschaft behaupten können und die JETZT ihre Kinder zur Schule schicken.

    Die Schulen müssen sich an die Anforderungen der Eltern anpassen, sonst organisieren sich diese zu recht selbst, so wie das gerade im Bildungsbreich immer getan wurde wenn das staatliche Bildungssystem versagt – http://www.emanzipatorische-linke.de/node/142

    Insofern ist es (leider) konsequent solche Klassen einzurichten, denn dann bleiben diese Schüler dem öffentlichen Bildungssystem dennoch erhalten. „Gesamtgesellschaftlich“ wäre es jedoch falsch dies überall zu machen, im Kontext von Kiezschule (nicht der Hamburger) ist es ein Versuch etwas Richtiges im Falschen zu machen.

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  5. Hallo,

    Wenn man sehen will, wohin die Problematik bei Nichtberücksichtigung führt, lohnt sich ein kurzer Blick über den großen Teich: An amerikanischen Schulen wird beispielsweise mit „diversity“ geworben. Dort verkündet man stolz den jeweiligen Anteil an Schülern bestimmter Hautfarben (oder „Rassen“, wie es die fortschrittlichen Amerikaner zu sagen pflegen) und richtet Sonderklassen ein nach dem Tenor „Mathematik für Dunkelhäutige“. Das hat hierzulande zwar ein Geschmäckle, dient aber den Interessen der dortigen dunkehäutigen Bevölkerung und geschieht auf ausdrücklichen Wunsch derselbigen.

    Eine Schule hat sich den Wünschen und Bedürfnissen der Schüler anzupassen. Das Einrichten von Schutzräumen ist dabei gängige Praxis. Es gibt Schutzräume und Sonderkurse für Ausländer und Mädchen woimmer sie sich in der Minderheit befinden und/oder bedroht fühlen. Die Deutschen sind eine Minderheit an jener Schule und sie fühlen sich bedroht.

    Die entscheidende Frage ist also nicht warum man Minderheiten Schutzräume zugesteht – sondern warum ausgerechnet die Minderheit der Deutschen diese nicht zugestanden bekommen sollen?

    Es gilt also, auf die Wünsche der Kinder und Eltern einzugehen BEVOR Massnahmen wie die umstrittenen amerikanischen Diversity-Programme notwendig werden. Die geäußerten Wünsche der Eltern sind ja schließlich nicht Ursache des Problems sondern nur die sichtbaren Symptome.

    viele Grüße,

    Andreas

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