Frankreich: Ghettos der Reichen

Wenn in wohnungspolitischen Debatten hierzulande von ‚französischen Verhältnissen‘ die Rede ist, denken viele zunächst an Jugendkrawalle, brennende Autos und Banlieues. Weniger bekannt dürfte das für europäische Verhältnisse ungewöhnliche Festhalten am Sozialen Wohnungsbau sein. Ein im Jahr 2000 verabschiedetes Gesetz „Solidarität und Stadterneuerung“ (Solidarité et Renouvellement Urbain) schreibt dabei allen Kommunen ab einer bestimmten Größe einen Sozialwohnungsanteil von 20 Prozent vor. Wird dieser Anteil bis 2020 nicht erreicht, werden jährliche Strafe für die Kommunen fällig. Eigentlich eine prima Idee – doch dort, wo die Reichen unter sich bleiben wollen, werden die Strafen wohl billigend in Kauf genommen. Ein Beitrag beim Deutschlandfunk (Tobias, vielen Dank für den Hinweis!) stellt sich dem Thema Wohnungsnot und setzt sich mit der Umsetzung des Solidaritätsgesetztes auseinander: Elend im Land der Eleganz.

Vor acht Jahren wurde das Gesetz „Solidarität und Stadterneuerung“ verabschiedet. Leere Paragrafen, wie sich zeigen sollte. Alle Kommunen sind verpflichtet, bis zum Jahr 2020 ausreichend Sozialwohnungen zu bauen – ein Fünftel des Bestandes soll so zu bezahlbarem Wohnraum werden. Andernfalls droht Strafe. Wer Geld hat, kauft sich frei. Neuilly-sur-Seine etwa, der reiche Pariser Vorort. Hier war Nicolas Sarkozy 19 Jahre lang Bürgermeister. Heute ist der Präsident. 60.000 Einwohner zählt Neuilly, ungezählte Prachtwohnungen gibt es, aber nur 954 Sozialwohnungen.

Anwaltskanzleien, Banken, Versicherungen. Ihre Gewerbesteuern tragen dazu bei, dass Neuilly eine der reichsten Städte in Frankreich ist. Auch die Bürger hier sind reich: Ein Fünftel aller Haushalte zahlt Vermögenssteuer. Zugleich ist Neuilly ein Spitzenreiter unter den Kommunen, die fast gar keine Sozialwohnungen bauen und damit das Gesetz „Solidarität und Stadterneuerung“ missachten. Genau das empört Lucienne Buton: Gerade eine so reiche Stadt könne es sich doch leisten, Wohnungen für alle sozialen Schichten zu bauen, sagt sie. Das wollte sie auch Nicolas Sarkozy klarmachen. Fast 20 Jahre lang saß sie dem damaligen Bürgermeister im Rathaus von Neuilly als Oppositionsführerin gegenüber.
Im Stadtrat habe ich das Problem regelmäßig angesprochen. Aber das war nicht schicklich. Herr Sarkozy wimmelte mich jedes Mal ab. Er sagte immer: „Frau Buton, in Neuilly zu wohnen, das muss man verdient haben.“

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