Belagerungszustände und Landnahme

Jörg Schleicher von der AnliegerIinitiativeMarthashof (AIM) hat ja in seinem Kommentar unter den letzten Blogeintrag bereits auf den Prenzlauer Berg Artikel in der New York Times hingewiesen: In Berlin, a Gentrifying Neighborhood Under Siege. Der Blick von ‚außen‘ erscheint dabei klarer als die oftmals verworrenen Diskussionen hierzulande. In dem Beitrag heisst es als Erklärung für die Gentrificationannahme u.a.:

Prenzlauer Berg has gone from being one of the cheapest neighborhoods in Berlin to one of the most expensive, with rents increasing tenfold.

Passend zum Thema und eher Landnahme als Belagerung will ich kurz auf einen Beitrag im Auguststraßenblog (wie immer mit vielen und tollen Bildern!) aufgreifen.  Im Zusammenhang mit der Schließung der Buchhandlung Starick am Rosenthaler Platz wird dort auf den Neubau von immer neuen Hotel- und Hostelanlagen in Berlin Mitte verwiesen. Dieser Boom an Tourismusindustrie, so liest sich die Vermutung,  stehe in einem linearem Verhältnis zu den steigenden  Mieten in den Wohnungen der umliegenden Nachbarschaften.  Längst ist von einer Touristifizierung die Rede und Alexa Kaufhof formuliert in einem Kommentar durchaus zynisch:

Das ist doch ein wunderbares Beispiel dafür, wie der freie Markt alles regelt. Zwar steigen in solchen Gebieten die Wohnungsmieten, aber dafür werden die Hotelzimmer durch die Konkurrenz so billig, daß bald alle ins Hotel ziehen können.

Gentrification in Ostberlin: dass ist international nicht wirklich umstritten, Anwohner/innen machen ihre Witze darüber oder versuchen mit Bewohnerinitiativen zu retten was noch zu retten ist. Soweit, so  klar, so eindeutig. Viel Datenmaterial dazu habe ich in meinem Buch Die Restrukturierung des Raumes. Stadterneuerung der 90er Jahre in Ostberlin zusammengetragen, dennoch habe ich kürzlich erst von einer Soziologieprüfung bei einem ansonsten von mir durchaus geschätzen Kollegen gehört, in der die Beschreibung der Gentrification in Prenzlauer Berg als unbewiesenen Behauptung zurückgewiesen wurde.

Es ist und bleibt erstaunlich, wie sehr sich die Wahrnehmungsweisen zu den Veränderungen in den Ostberliner Sanierungsgebieten unterscheiden. Insbesondere internationalen Gästen reicht oft eine Tour durch die Viertel um zu einem Gentrificationbefund zu gelangen, auch gegenüber langjährigen Bewohner/innen käme es mir eher repetitiv vor, die Aufwertungsprozesse wieder und wieder darzustellen und zu beschrieben. Doch nicht so in der deutschsprachigen Fachdebatte: hier wird auf den Zweifel hohe stücke gehalten, jedenfalls wenn es um Gentrification gibt. Ist doch alles nicht bewiesen. Wer will denn wirklich wissen, ob nicht auch Leute freiwillig ausgezogen sind? Wie soll den Verdrängung stattgefunden haben, wenn doch der Staat mit Abfederungsprogrammen in den Sanierungsgebieten bereits stand?

Ja, vielleicht ist der Ausstausch von etwa 80 Prozent der Bevölkerung ein Prozess des ’normalen Wandels‘ und auch die Mietentwicklungen von etwa 65 Prozent des Berliner Durchschnitts 1993 auf ca. 140 Prozent (2007) gibt es sicher andere Erklärung als eine Aufwertungs- und Verdrängungsprozess. Doch bisher gibt es keine Studie, die eine ebensolche andere Interpretation der Entwicklung ernsthaft darzustellen versucht – was bleibt, sind die kaum verhallenden Kritiken an Gentrificationbeschreibungen…

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