Hamburg Wilhelmsburg: Proteste gegen die Neue Mitte

Ankündigung Veranstaltung WilhelmsburgHamburg Wilhelmsburg galt lange Zeit als „Hinterhof“ Hamburgs und war vor allem als Ort von Kampfhundattacken, Jugendbanden und Kriminalität bekannt. Doch die Internationale Bauausstellung (IBA) will dies bis 2013 ändern. Ein ehrgeiziges Aufwertungsprojekt soll als „Sprung über die Elbe“ die Träume von der „Wachsenden Stadt Hamburg“ Wirklichkeit werden lassen.
Mit Kunst- und Kulturaktionen wurde schon erfolgreich am Image des Stadtviertels gefeilt. Wilhelmsburg wird jetzt Weltraum (Hamburger Abendblatt) und Neue Mitte (IBA).


Die SAGA, das öffentliche Wohnungsunternehmen in Hamburg, hat begonnen mit einem Förderprogramm für studentisches Wohnen auf der Elbinsel Wohnungen in Wilhelmsburg und Veddel gezielt und günstig an Studierende zu vermieten. Bisher blickt die SAGA zufrieden auf das Programm zurück:

Auf der Veddel ist das Programm ein Erfolgsmodell: Bis heute haben sich 300 Studenten für die Veddel entschieden. 165 Wohnungen wurden insgesamt angemietet. Damit ist die Fördersumme in Höhe von 1 Mio. Euro bereits jetzt ausgeschöpft. Mit den Studenten kamen auch neue Geschäfte: Tapas-Bar, Galerie, Friseur und Bäckerei. Das Viertel ist lebendiger, jünger, spannender.

Ziel ist es nicht, die Wohnungsnot der künftigen Bildungselite zu lindern, sondern mit deren Ansiedlungen die Wohnviertel aufzuwerten. Kommen die Studierenden, dann wird es auch für Künstler/innen attraktiv und wenn sich erst mal eine entsprechende Szene mit der dazugehörigen Infrastruktur etabliert hat, dann wird das Viertel auch für Leute mit richtig viel Geld interessant – so ungefähr die Intention der Vermietungskampagne. Dass dies zumindest für den ersten Teil der These wirklich aufzugehen scheint, zeigt die Wirklichkeit wie hier eine Diskussion auf dem Webblog junger Hamburger/innen (www.plastiksuhl.de):

Ein erster Erkundungsspaziergang durch Veddel und das Wilhelmsburger Reiherstiegviertel bei Regen und Dämmerung endete mit einem deutlichen Punktsieg für Wilhelmsburg. Dieser Stadtteil hat zwar die größere Distanz zu Hamburgs zentraleren Stadtteilen, ist aber die größte Flussinsel Europas, etwas belebter und “gewachsener” als die Veddel und bietet auf dem ersten Klick die verwegeneren Plastikstuhlmotive. Also… Auf zu neuen Ufern!

Doch die offensive Aufwertungsrhetorik von IBA und Co. sind auch den Bewohner/innen in Wilhelmsburg nicht ganz unbemerkt geblieben. Verschiedene, noch kleine Initiativen versuchen die aktuellen Entwicklungen einzuschätzen, eigene Forderungen zu formulieren und Strategien zu entwickeln. Für alle, die der IBA-Propaganda skeptisch gegenüberstehen gibt es die hübsche und empfehlenswerte Seite IBAfluessig.net. Initiativen für konkreten Protestaktion werden eher auf wilhelmsburg.blog.de diskutiert. Diese Gruppe hat kürzlich auch eine mit etwa 80 Leuten gut besuchte Veranstaltung zum Austausch von Erfahrungen in Stadtteilmobilsierungen organisiert. Eine Ankündigung für die Veranstaltung gab es in der taz („Es gibt bereits Protest“) und einen Bericht in der jungen welt („Wilhelmsburg verträgt kein Gucci“).

Jetzt müssen die Diskussionen nur noch bei den Wilhelmsburger Nachbar/innen ankommen…

8 Gedanken zu „Hamburg Wilhelmsburg: Proteste gegen die Neue Mitte

  1. Hallo

    hochinteressant. Würden Sie auch gewisse Vorgänge rund um Barmbek-Dulsberg (Abriß Heiligengeistkirche, dafür Wohnungen im höherpreisigen Segment, ETWs, soweit ich weiß, Abriß Gymnasium Barmbek-Uhlenhorst, dafür vermutlich ebenfalls Wohnungen, ggfls ETW, Neuplanung des Platzes am Museum der Arbeit etc) als Gentrifizierung deuten?

    Können Sie vermutlich auf die Schnelle nicht beurteilen.

    Zu ihren Bemerkungen darüber, wie sich Studenten, Künstler, die (brrrr!) „Szene instrumentalisieren lassen: Ich hege die Befürchtung, dass Sie Recht haben

    mfg aus Hamburg Barmbek

  2. Hartmut schrieb:
    „Zu ihren Bemerkungen darüber, wie sich Studenten, Künstler, die (brrrr!) “Szene instrumentalisieren lassen: Ich hege die Befürchtung, dass Sie Recht haben“

    Was bleibt den Künstlern denn anderes übrig, als sich instrumentalisieren zu lassen?
    Künstler sind meist arm und brauchen Geld. Förderungen werden in Hamburg meist an Stadtentwicklung gekoppelt – wenn man sie wahrnimmt, ist man Aushängeschild. Wenn man es ohne Förderung schafft, dann heißt es: seht Ihr, die Künstler brauchen keine Förderung, da können wir ja die Mittel streichen.
    In Hamburg gibt es schon lange keine „L’Art pour l’Art“-Förderung mehr.

  3. @TvN: soll das n Witz sein?

    Was Künstlern anderes übrig bleibT? Ganz einfach:

    Nein sagen! Ganz einfach:
    N
    E
    I
    N

    Noch Fragen?

    Ich kann verstehen, denn ich bin selber so, dass wir alle Schwächen und Nücken haben. Wir alle sind dann irgendwo sagenwirmal „käuflich“. Okay. Nur: Sich kaufen lassen und dann lauthals verkünden, man sei so elementar bei sich selbst, man sei so ganz authentisch, und wer das bestreite, sei ein innerlich verklemmter neurosenhansel…das kann ich nicht leiden. Ich habe mich in meinem Leben auch schon mal unterworfen, denn ich hatte kleine Kinder und keine Kraft tum kämpfen.

    Aber es fällt mir nicht ein, mir und anderen diese Unterwerfung zur souveränen Lebensgestaltung, zum authentischen dasein umzulügen.

    Wer, weil sonst zu teuer, billig auf der geförderten Veddel wohnen will – okay! Keine Einwände. Ich würds, wenn 15 jahre jünger, vermutlich auch tun. Aber ich will mir kein Hölderlin-Heidegger-schwangeres Gelalle über das authentische Leben des Künstlers anhören! Hier geht es nicht um Authentizität, hier geht es um Geschäfte.

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