Gewerbestrukturen und die Aufwertung von Nachbarschaften waren lange Zeit ein nur wenig beachtetes Thema in der Gentrificationdebatte. Wenn Veränderungen der Verkaufsangebote und gastronomischen Einrichtungen in Aufwertungsvierteln Beachtung fanden, dann meist als Indikator für der Austausch der Bewohnerschaft und die Hegemonie neuer Lebensstile und Konsumweisen. In der Berliner Spandauer Vorstadt – also der Gegend rund um den Hackeschen Markt – beklagen die Gewerbetreibenden der zweiten Aufwertungsgeneration mittlerweile den nochmals gestiegenen Druck auf die Gewerbemieten und verlagern zum Teil ihre Geschäfte nach Prenzlauer Berg.
Der Tagesspiegel berichtet unter dem Titel „Abschied von der Szene“ mit einem sonst seltenen Alarmismus. Sogar der im Zusammenhang mit Aufwertungsprozessen meist gemiedene Verdrängungsbefund wird ausgesprochen:
Schluss mit billig: Rund um den Hackeschen Markt werden kleine Geschäfte und Lokale verdrängt. Die Besitzer können sich die horrenden Mieten nicht mehr leisten.
Abgesehen davon, dass von wirklich „billig“ nicht die Rede sein kann, fällt es schwer, diese dritte Welle der Gewerbeaufwertung als Anpassung an die veränderten Bewohnerstrukturen zu deuten. Vielfach in den Debatten unterbelichtet, haben Gewerbestrukturen oftmals ein verstärkende Rolle bei der Veränderung der Nachbarschaften und können sich zu einer eigenständigen Inwertsetzungsstrategie entwickeln.
Insbesondere in den Frühphasen von Aufwertungsprozessen haben die ersten Galerien, Szenekneipen und Geheimtip-Locations regelrecht die Funktion von Brückenköpfen der symbolischen Aufwertung. Als angesagte Orte des Besonderen übertragen sie das ihnen zugeschriebenen symbolische Kapital auf die gesamte Nachbarschaft. Diese Pionierphase der Aufwertung könnte als eine erste Welle der Gentrification bezeichnet werden. Für die Gewerebstrukturen sind Szenekneipen, temporäre und improvisierte Partylocations sowie selbstorganisierte Ausstellungs- und Veranstaltungsorte typische Formen dieser Phase.
Als die zweite Welle der Aufwertung wird gemeinhin der Zuzug von Besserverdienenden beschrieben, die die inzwischen aufwendig und teuer sanierten Wohnungen in der entsprechenden Nachbarschaft beziehen. Die Gewerbestruktur ist in dieser zweiten Phase der Aufwertung durch eine Formalisierung und Kommerzialisierung der Angebotsstrukturen gekennzeichnet. Insbesondere höherwertige Restaurants, Spezialitätengeschäfte und etablierte Kultureinrichtungen können als typisch für diese zweite Welle angesehen werden. Statt der Angesagtheit des Geheimtips aus der Pionierphase steht die Gewerbestruktur nun für die Distinktionsrendite des lokalen Konsumangebots. Hier auszugehen, bzw. hier einzukaufen erhält den Ruf des Besonderen und Erlesenen.
Die dritte Welle der Aufwertung wird in der internationalen Debatte teilweise als Super- oder Ultragentrification bezeichnet und geht von einer nochmaligen Verdrängung durch ökonomisch noch stärkere Gruppen aus. In Berlin könnte die Umwandlung von bereits sanierten und teuer vermieteten Wohnungen in Eigentumswohnungen in ein solches Bild eingeordnet werden. Auch die aktuell auf Brachflächen geplanten Luxusappartements wie etwa das Projekt Marthashof von der Stofanel Investment AG stehen für diese Aufwertung in bereits gentrifizierten Nachbarschaften. Bezogen auf die Gewerbestrukturen ist eine solche dritte Welle der Aufwertung oftmals mit dem Übergang zu nicht nur spezialisierten, sondern exklusiven Angeboten verbunden, die für ihre hochpreisige Vermarktung auf den exklusiven Ruf der Nachbarschaft angewiesen sind. Nicht mehr die Geschäfte und ihr Angebot verändern der Charakter der Nachbarschaft, sondern der Ruf und das Image eines Quartiers werden zur Voraussetzung für eine bestimmte Form des Hochpreiskonsums. Die steigenden Gewerbemieten sind ein Ausdruck dieses veränderten Zusammenhanges von Gewerbe und Nachbarschaft. Aus der Perspektive vieler Hauseigentümer/innen geht es dann nicht mehr nur darum, ein möglichst angenehmes Umfeld für die gewünschten zahlungskräftige Bewohnerschaft zu sichern – bei Gewerbemieten von 100 Euro pro Quadratmeter werden die Gewerberäume selbst zu einem nicht unerheblichen ökonomischen Faktor der Bewirtschaftungsstrategien.
Die vergangenen 15 Jahre haben gezeigt, dass der Aufwertung insbesondere im Gewerbebereich kaum Grenzen gesetzt sind. Immer wenn sich eine neue Generation von noch luxeriöseren Restaurants und Läden etabliert hatte, glaubten viele, dass eine Steigerung kaum noch möglich sei. Doch die Entwicklungen rund um den Hackeschen Markt lehren uns anderes…
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Die STOFANEL Investment AG plant ein weiteres Projekt. Das mit ca. 300 alten Bäumen bewachsene Grundstück des ehemaligen Campingplatzes am Naturschutzgebiet Bäkewiese in Berlin-Wannsee soll mit 53 Luxusvillen bebaut werden. Ca. 100 der alten Bäume sollen Luxusvillen weichen.
Leider stehen auch hier wieder einmal finanzielle Interessen vor Umweltinteressen.
Bestimmt eine wichtige These. Ich hoffe, der Blog bleibt an der Geschichte dran?! Im Bekanntenkreis vergeht keine Party, wo das nicht Gesprächsthema ist. Tschöö, Serafine Nachtigall