… dies jedenfalls glaubt der Tagesspiegel: Neukölln verkauft sich gut. Ob Rütli-Schule, preisgekrönte Spielfilme („Knallhart“ von Detlef Buck) oder Kurt Krömer – Neukölln ist zumindest zu einer vielgenutzten Marke geworden. Und jetzt gibt es auch noch „Luxuswäsche – Made in Neukölln“ (Berliner Morgenpost).
In Nordneukölln scheint dieser symbolische Imagegewinn sich auch in den stadträumlichen Strukturen niederzuschlagen. Gleich mehrere Medien bejubelten in der vergangenen Woche den Aufstieg des Problemviertels. n-tv.de konstatiert in einem Bericht über den Reuterkiez in Nordneukölln noch sachlich einen Wandel: Berlin-Neukölln im Wandel. BILD zeigt uns die neuen, schönen Seiten von Neukölln: Neukölln zieht immer mehr Kreative an. Der Problem-Kiez wird zum Szene-Viertel:
Studenten und Kreative kommen, erobern den heruntergekommenen Stadtteil mit neuen Cafés, Szeneclubs, Ökoläden und Designershops. Mit Galerien fing es an! Wegen des hohen Leerstands und der Verwahrlosung waren sie im Reuter- und Schiller-Kiez als Zwischennutzung gedacht. … Viele Künstler blieben. „Sie nähren sich vom Labor-Charakter der Kieze, kommen aus ganz Europa“, sagt Künstleragentin Barbara Müller (48). Lebten hier im Jahr 2000 gerade mal 60 Künstler, sind es heute 300. Auch Soziologe Thomas Braun (52) zog in den neuen In-Stadtteil, sagt: „Ich wollte weg von zu viel Kommerz, diesem elitär überzogenen Gehabe und den inzwischen viel zu hohen Mieten.“ Karawanen-Schicksal: Trends sprechen sich schnell rum. Während in Neukölln eine Miete von weniger als fünf Euro üblich ist, sind‘s im Reuter-Kiez jetzt schon mindestens sechs Euro!
Stadtplaner Sigmar Gude hingegen hält die Aufwertungswirkung Künstler-Karawane für überschätzt und hofft auf die positiven und stabilisierenden Effekte einer sozialen Mischung:
Nach der Gentrifizierungstheorie braucht es diese »Raumpioniere« mit ihren Kneipen, Boutiquen und sonstigem kulturellen Angebot, um ein Gebiet aufzuwerten. Dieser Prozess funktionierte bilderbuchhaft am Kollwitzplatz. In Kreuzberg 36 gibt es diese Boutiquen auch, aber sie dominieren das Gebiet nicht. Dies ist ein Mangel der Gentrifizierungstheorie – dass sie nicht erklären kann, warum diese Prozesse manchmal auf einer bestimmten Ebene stagnieren. Dies war und ist in Kreuzberg 36 so. Selbst wenn die GeWoBe im Wedding leere Ladenlokale mit Künstlern besetzt, führt das nicht automatisch zu einer Aufwertung. Dies wird auch in Nord-Neukölln nicht gelingen. Denn gerade der Zuzug der eher einkommensschwachen Studenten führt zu einer Stabilisierung des Stadtteils, weil sie für eine positive Mischung sorgen. Diese Gegenentwicklungen werden von den Gentrifizierungstheoretikern immer unterschätzt. Eine Großstadt ist wie ein Tanker, der 20 Seemeilen braucht, um die Richtung zu ändern.
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