Auf rbb-inforadio war die Mietentwicklung in Berlin heute das zentrale Thema. In einem Dossier kamen Vertreter von Mieterorganisationen und Nachbarschaftsinitiativen ebenso zu Wort wie Kreuzbergs Bürgermeister Franz Schulz, Martin Lindner von der FDP und der Senatorin für Stadtentwickung Ingeborg Junge-Reyer. In ihrem Interview „Mieterstadt Berlin – bald unbezahlbar?“ gibt die Senatorin mal wieder ihre Normalisierungsthese zum Besten: Der rasanten Mietanstieg, besonders in beliebten Bezirken wie Prenzlauer Berg, Friedrichshain oder Kreuzberg sei demnach eine normale und auch berechtigte Marktentwicklung und natürlich: der Berliner Wohnungsmarkt biete weiter für jeden Geldbeutel eine würdige Wohnung (rbb-Interview Junge-Reyer).
Doch auch der Kritik an der Berliner Wohnungsspolitik wird beim rbb Raum eingeräumt.Im Interview „Steigende Mieten – Trend zur Verdrängung? wurde mir die Gelegenheit gegeben, für die Notwendigkeit einer sozialorientierten Wohnungspolitik zu werben (rbb-Interview Holm).
Hier eine ausführliche Fassung des Interviews (gesendet wurden nur Ausschnitte):
Finanzsenator Sarrazin ist der Meinung, dass der Berliner Wohnungsmarkt noch „für jeden Geldbeutel eine würdige Wohnung biete“ – gibt es also in Berlin genug bezahlbaren Wohnraum?
Die Frage ist gleich in zweifacher Hinsicht falsch gestellt: zum einen geht es nicht um bezahlbare Wohnungen, sondern um preiswerte Wohnungen, denn gewohnt werden muss ja immer und seit Jahren steigen in Berlin die Anteile der Einkommen, die für die Miete aufgebracht werden müssen. Zum zweiten kann es in einer so großen Stadt wie Berlin nicht nur darum gehen, wie viele preiswerte Wohnungen es insgesamt gibt, sondern auch darum, wo sich diese Wohnungen befinden und in welchem Zustand sie sind. Die Berliner Mieterorganisationen verweisen zu Recht darauf, dass die etwa 100.000 leerstehenden Wohnungen nur zum Teil überhaupt vermietbar sind und viele einen sehr schlechten Zustand aufweisen.
Welche wichtigsten Entwicklungen und Tendenzen sehen Sie in Berlin?
Wir beobachten Mietsteigerungen in fast allen Segmenten des Berliner Wohnungsmarktes. Auch die Daten des Immobilienmarktes – also Anzahl und Preise der verkauften Grundstücke – zeigen eine steigende Kurve. Die Wohnungsversorgung in Berlin unterliegt also zunehmend den Marktkräften.
Nicht zuletzt auch, weil die Berliner Politik in den letzten Jahren Instrumente der Steuerung – also Förderprogramme, baurechtliche Vorgaben und öffentliche Wohnungsbestände – kontinuierlich reduziert und systematisch ausgedünnt hat.
Wenn die Wohnungsversorgung den Marktkräften überlassen wird, dann ist es wenig verwunderlich, wenn sich in den besseren Wohnlagen die Besserverdienenden konzentrieren und in den weniger attraktiven Gebieten die ärmeren Haushalte. Diese Tendenzen der sozialen Segregation, also der Ungleichverteilung im Stadtraum, die erleben wir gerade ganz massiv in Berlin. Studien zeigen, dass etwa in Teilen Neuköllns, Wedding und Moabit regelrechte Quartiere der Ausgrenzung entstehen. Aber selbst dort steigen die Mieten.
Am Prenzlauer Berg hat sich seit Anfang der 90er Jahre die Bevölkerung zu 80 Prozent ausgetauscht – droht diese Entwicklung nun auch Kreuzberg?
Die jüngsten Studien zeigen, dass es gerade in den Kreuzberger Nachbarschaften ein größeres Beharrungsvermögen gibt und die Verdrängungsquoten dort bisher nicht so deutlich sind, wie in den Ostberliner Sanierungsgebieten. Doch diese Daten stellen keine Entwarnung dar, denn auch ohne eine direkte Verdrängung sind weitere Mietsteigerungen vielen Kreuzberger Haushalten nicht zuzumuten. Wenn ein immer größerer Anteil des Einkommens für die Miete gezahlt werden muss, dann können wir von einer Verdrängung aus dem Lebensstil sprechen. Jedenfalls sollte auch dies kein Ziel der Berliner Stadtpolitik sein.
Vor welchen wohnungspolitischen Herausforderungen steht Berlin?
Wie skizziert geht es in den nächsten Monaten und Jahren vor allem darum Instrumente zu entwickeln oder auch einfach nur wieder zu benutzen, die geeignet sind, die zunehmende Ökonomisierung der Wohnungsversorgung sozial abzufedern und den Markt zu regulieren.
Wo sollte eine Mietpolitik ansetzen, die Verdrängung verhindern will?
Konkret wird es um Fragen gehen, was in den Ostberliner Sanierungsgebieten nach Beendigung der Sanierungsatzungen geschehen soll – noch sind auch dort 25 % der Wohnungen unsaniert und genau dort konzentrieren sch die einkommensschwachen Haushalte. Bisher gibt es nur wenige Ideen, wie wenigsten dieses letzte Viertel vor Verdrängung geschützt werden soll.
Auch in den skizzierten Problemquartieren wird es darum gehen müssen, die Mieten zu dämpfen, denn die hauptsächlich sozialen Problemlagen verbessern sich ja keineswegs, wenn immer mehr Geld für die Miete gezahlt werden muss. Jedes noch so engagierte Qurtiersmanagement wird nichts nützen, wenn durch steigende Mieten die objektive Verarmung der Nachbarschaften verschärft wird.
Kann man eine Aufwertung eines Stadtteils mit all seinen Folgen überhaupt verhindern oder entgegenwirken?
Es gab ja in der Vergangenheit sehr wirksame Instrumente. Ich will hier nur die Förderprogramme benennen, die guten Wohnstandard zu vernünftigen Preisen sichern sollen – die sind seit 2001 faktisch eingestellt. Oder das Instrument der Mietobergrenzen, mit denen Ende der 1990er Jahre in den Sanierungsgebieten agiert wurde – da gab es leider eine erfolgreiche Klage von Eigentümern – aber das Land Berlin hat es seither verpasst, dass Instrument entsprechend anzupassen. Ein drittes Instrument sind natürlich die öffentlichen Wohnungsbestände der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften. Trotz der massiven Privatisierungen in der Vergangenheit sind es noch etwa 270.000 Wohnungen, die für eine soziale Wohnungsversorgung genutzt werden könnten. Vermutlich müsste dann aber der Finanzsenator auf einen Teil der erwarteten Einnahmen aus den Wohnungsbaugesellschaften verzichten. Letztlich ist aber auch das eine politische Frage.
Unter dem Stichwort „Protagonismus der Ausgegrenzten“ haben sie unter anderem vorgeschlagen, einen Teil der Wohnungen etwa am Kollwitzplatz gezielt an Hartz IV-Betroffene zu vergeben – wie soll das funktionieren?
Na z.B. wenn die Wohnungsbaugesellschaften aufgefordert werden eine bestimmte Anzahl von Wohnungen in solchen Aufwertungsgebieten für solche Transferhaushalte bereitzustellen. Ähnlich könnte auch ein Umgang mit den geförderten Wohnungen aussehen, die ja in der Regel auch einer sogenannten Belegungsbindung unterliegen. Und selbst die Wohnungen des Umsatzmanagements, dass über die Mieterberatungsgesellschaften in den Sanierungsgebieten verwaltet wird, ließe sich für diesen Zweck nutzen. Der hier beschriebene Protagonismus der Ausgegrenzten, also die gezielte Bevorzugung von benachteiligten Haushalten kann sehr vielfältig sein und die gezielte Vermietung an Hartz-IV-Haushalte ist nur ein Vorschlag dabei. Insgesamt müsste es darum gehen, soziale Fragen der Wohnungsversorgung wieder auf die Tagesordnung zu stellen und zwar auch und gerade in den zuständigen Verwaltungen.
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