Hamburg: Aufwertung und großes Kino

Mit ihrem Filmprojekt „Empire St. Pauli – Von Perlenketten und Platzverweisen“ haben Filmemacher Irene Bude und Olaf Sobczak eine Dokumentation zu den Veränderungen in St. Pauli zusammengestellt, in der über 50 Bewohner/innen des Viertels zu Wort kommen. Der Film wird am auf der Dokumentarfilmwoche am 28. April im 3001-Kino in Hamburg erstmals zu sehen sein.

St. Pauli ist längst zum Schlachtfeld der Aufwertung geworden…

Selbst die Hamburger Morgenpost (Boom oder Ausverkauf?) stellt fest:

Modernisierung des Stadtteils vergrault Alteingesessene (…) Die Mieten sind in den vergangenen Jahren kräftig gestiegen, von 7,70 Euro pro Quadratmeter (1994) auf 11,10 Euro (2007). Viele Geringverdiener und Ausländer haben das Viertel verlassen.

Nur der  „Hamburg Tourismus GmbH“ ist dies noch nicht genug ihre Sprecherin Bettina Bunge findet: “ St. Pauli kann boomen“:

Warum ist der Hafen so wichtig? Weil hier die meisten Leute hinkommen. Jährlich sind es 25 Millionen, die hier eine Menge Geld lassen. Wir müssen das Image des Viertels aber noch aufbessern, St. Pauli könnte ein boomender Stadtteil werden.

Da wird es Frau Bunge sicherlich freuen, dass auf dem Gelände der ehemaligen Rindermarkthalle zwischen St. Pauli und dem Karolinenviertel mit der  St. Pauli Music Hall ein Veranstaltungszentrum für bis zu 4.000 Besucher/innen entstehen soll. Das Handelsblatt zumindest findet, dies sei ein Ehrgeiziges Projekt in Hamburg Karolinenviertel:

Noch verkauft hier ein Lebensmitteldiscounter seine Ware. Doch der Mietvertrag läuft 2011 aus. Dann soll hier nach den Wünschen des Bezirksamtes ein Veranstaltungszentrum entstehen. Ob das ehrgeizige Projekt realisiert wird, hängt auch davon ab, was aus der alten Halle wird, die als Industriedenkmal ausgewiesen ist. Zwischen dem Schanzen- und dem Karolinenviertel, nur einen Steinwurf vom Stadtzentrum entfernt, ist eine Mischnutzung geplant, „bestehend aus Konzerthalle und Einzelhandel“, wie Bezirksamtschef Markus Schreiber erläutert. Das Amt, Stadtplaner, Investoren und Musikschaffende würden hier am liebsten ein Veranstaltungszentrum für rund 4 000 Menschen entstehen lassen. Name: St. Pauli Music Hall

Die Hamburger Aufwertungstendenzen werden auch von einer Auswertung der Neuvermietungsangebote im Anzeigenteil des Hamburger Abendblattes deutlich. Ein Projektkurs des Ohmoor-Gymnasiums hat die Mietentwicklung der vergangenen Jahre asugewertet und einer Expertenrunde von Wohnungswirtschaft und des Mietervereins vorgestellt. Erschreckend dabei nicht nur die Ergebnisse:

Die durchschnittliche Neuvermietungsangebote liegen bei inzwischen 10.10 Euro je Quadratmeter (nettokalt) – das entspricht einer Steigerung von 16 Prozent seit 2006.

sondern auch die Reaktionen der „Experten“:

Über die zukünftige Entwicklung der Mieten sind sich die Experten uneins. So sieht Siegmund Chychla, Geschäftsführer des Mietervereins zu Hamburg, in den bisherigen Mietpreissteigerungen ein Alarmzeichen: „Ich sage voraus, dass die Mieten weiter steigen werden.“ Chychla fordert den Neubau von 6000 bis 7000 neuen Wohnungen.

Heinrich Stüven (Grundeigentümerverband Hamburg) und Gerhard Feldmann (Immobilienverband Deutschland) teilen diese Meinung nicht. Sie rechnen damit, dass die Wirtschaftskrise die Menschen eher daran hindern wird, sich nach etwas Neuem umzusehen. Stüven: „Wenn die Leute nicht mehr so viel umziehen, werden auch die Mieten nicht mehr steigen.“

Während der Geschäftsführerer des Mietervereins die klassische Forderung der Wohnungswirtschaft („Mehr Neubau!“) aufgreift finden die Eigentümerverterter mal wieder, dass die Mieter/innen selbst an den steigenen Wohnkosten Schuld sind. Warum ziehen die auch so oft um?

Im Schanzenviertel werden zur Zeit ganz andere Konflikte ausgegraben. Vor allem soll es dem Stadtteilzentrum und Kulturprojekt „Rote Flora“ mal wieder an den Kragen gehen. Die Welt („eher ein Fremdkörper“ „das einstmals stolzen Varieté-Theater …  ist heruntergekommen„) und  BILD („Eigentümer sauer auf die Gratius-Nutzer aus der linken Szene„) haben mit der ihnen eigenen Hetze begonnen und die Verbotsdebatte rund um das jährliche Schanzenfest wird zusätzlich Öl ins Feuer der Flora-Gegener sein. Die Welt titelt schon mal präventiv: Rote Flora – Der Schanze droht erneut Randale.

5 Gedanken zu „Hamburg: Aufwertung und großes Kino

  1. Pingback: Filmtipp am Mittwoch: Der gläserne Deutsche und Empire St. Pauli « Geheimrätin’s Blog

  2. Zu den Mietsteigerungen laut Morgenpost: wer selber nachrechnet, kommt zum Ergebnis, dass das einer jährlichen Steigerungsrate von gerade mal 2,9% entspricht. Das ist nicht wenig, aber auch nicht so horrend, wie die beiden Zahlen suggerieren wollen.

  3. Hallo dg,
    ich befürchte, dass die Mietsteigerungen in St. Pauli weder kontinuierlich noch gleichmäßig verteilt erfolgten. Das ist ja bei Durchschnitten auch selten so… Doch die Dramen der Verdrängung sind immer konkret. Die Daten in der Morgenpost geben also nur die Spitze des Eisberges zu erkennen.

    Doch unabhängig davon ist die durchschnittliche Steigerung von insgesamt 44 Prozent der Nettokaltmiete in nur 13 Jahren (1994 – 2007) sehr wohl ein deutliches Aufwertungsindiez. In einem vergleichbaren Zeitraum sind die durchschnittlichen Mieten laut Mietspiegel für die Hamburger Gesamtstadt von 5,89 Euro/qm (1997) auf 6,53 Euro/qm (2007) um nur etwa 11 Prozent gestiegen. Das heisst, die Mietsteigerungen in St. Pauli weisen in diesem Zeitraum etwa die vierfache Dynamik der durchschnittlichen Hamburger Mietentwicklung auf.
    Anders agumentiert, lagen die Mieten in St. Pauli Mitte/Ende der 1990er Jahre ’nur‘ mit etwa 30 Prozent über dem Hamburger Durchschnitt – aktuell (2007) liegen die Mieten in St. Pauli 70 Prozent über dem städtischen Vergleichswert.
    Da gibt auch die Beschönigung über relativ gering erscheinende Jahressteigerungen keinen wirklichen Grund zur Entwarnung.

  4. Hallo dg, zu den Mietsteigerungen in St. Pauli:
    Da hat Andrej schon Recht, die Mittelung über die 13 Jahre „verzerrt“ die Entwicklung etwas. Aber erstens sind die Mieten von 7,7 EUR (1994) auf 11,10 (2007) gestiegen. Das bedeutet eine Mietstiergung von insgesamt ca. 44,7% (hat Andrej ja auch schon geschrieben). Das bedeutet um Mittel eine jährliche Steigerung um 3,4%. Im gleichen Zeitraum sind die Mieten im Hamburg Durchschnitt (ebenfalls nach den Zahlen des Ohmoorgymnasiums) von 9,9 auf 9 Euro gefallen! Im einzelnen sind die Mieten von 2005 auf 2006 z.B. um 20%(!) bei Neuvermietungen gestiegen. Im Folgejahr um weitere 7%.

    Diese Zahlen aber z.b. auch Zahlen zu den Preisen von Eigentumswohnungen geben die Entwicklungen in St. Pauli schon sehr deutlich wieder.

  5. Pingback: anwohnerInnen aus dem karoviertel gegen top-down-stadtplanung « from town to town

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert