Auch in der jungle world wird mal wieder das Thema der Stadtteilkämpfe und Freiraumbewegungen aufgegriffen. Im Beitrag „Bleiben wollen“ geht es um die „Grenzen und Möglichkeiten“ von Freiräumen und „falschen Vorstellungen und richtiger Kritik“ an städtischen Bewegungsansätzen. Im Text gibt es zunächst ein paar Überlegungen zur Notwendigkeit von autonomen Freiräumen und der Kritik daran. Irgendwie sind sie wichtig, weil andere Standards der Vergesellschaftung dort ausprobiert unhd durchgesetzt werden können, aber:
Kritiker erheben gern den Vorwurf der Intoleranz, wenn Regeln aufgestellt werden. Tatsächlich: Wie frei bin ich denn, wenn ich in einem veganen Hausprojekt mein Schnitzel nicht braten darf? Es geht offensichtlich auch um Bedürfnisse. Da die gegenwärtige gesellschaftliche Situation es nicht möglich macht, sollen den Menschen Räume gegeben werden, in denen sie »ihre Individualität ausleben« können. Die Möglichkeit zu haben, die hegemonialen Verhältnisse vor der Tür lassen zu können, erscheint attraktiv. Aber ist das so einfach, wie es klingt? Außerdem waren ja da noch die Gentrifizierung, der Neoliberalismus, und irgendwelche Schwaben haben damit auch etwas zu tun.
Anschließend wird von der Freiraumdiskussion ein Bogen zu Mietkämpfen und Stadtteilauseinandersetzungen geschlagen. Doch die sozialen und ökonomischen Konfliktlinien dort sei – so die jungle world – „manchen Kämpfern für Freiraum (…) offensichtlich zu komplex„:
Mit Shirts, auf denen »Die Yuppie Scum« geschrieben steht, protestieren sie gegen die »Vertreibung von Altbewohnern zugunsten von reichen Eigentumswohnungsbesitzern aus kleinen südwestdeutschen Provinznestern«, so ein Bericht auf Indymedia. Die Stadtumstrukturierung hat zweifelsohne mehr schlechte als gute Seiten und es gibt genug gute Gründe, dagegen zu protestieren. Die »soziale Aufwertung« betrifft nämlich nur den Stadtteil, nicht jedoch die Einwohner, die der »Aufwertung« meist im Weg stehen. Deshalb fordern sie zu Recht bezahlbare Mieten und das Recht auf Mitbestimmung darüber, wie sich ihr Wohn- und Lebensumfeld entwickelt.
Soweit so gut. Die dann aufgeworfenen Frage nach der Mitverantwortung linker und subkultureller Szenen für die Aufwertung wirkt wie ein verspäteter Aha-Effekt
Es stellt sich vielmehr die Frage, ob das links-alternative Milieu nicht den ersten Invasor darstellt, der die Gentrifizierung erst in Gang bringt.
und wird auf eigenwillige Weise beantwortet:
Es ist eine Konstante der Stadtentwicklung, dass alternative Stadtteile mit großer subkultureller und linker Szene innerhalb weniger Jahre Leute anziehen, die mit den dahinter stehenden Inhalten wenig, mit dem Style aber umso mehr anfangen können. Mit »Verdrängung« hat dies reichlich wenig zu tun. Die »Yuppies«, »Schwaben« oder »Studenten« wollen die Viertel ja gerade nicht ihrem konformen Leben gemäß einrichten, sondern wollen auch hip sein und sich den »Anderen« zugehörig fühlen. Dies wird von der Szene jedoch nicht als Anerkennung, sondern als Angriff gewertet. (…) So landet die Bewegung schnell beim regressiven antikapitalistischen Reflex, das Alte (die »Kiezgemeinschaft«) gegen das Neue (Gentrifizierung, Neoliberalismus, Schwaben) verteidigen zu wollen.
So richtig verstanden habe ich es nicht, mehrer Interpretation erscheinen mir möglich – keine gefällt mir so richtig gut:
- Linke und subkulturelle Szenen dürfen sich nicht gegen die Aufwertung der Stadtteile organisierien, weil sie selbst Teil des Problems sind.
- Anti-Gentrification-Mobilisierungen sind politisch konservativ, weil sie die kulturelle Offenheit der neuen Mitteschichten für alternative Lebensentwürfe nicht ausreichend honorieren.
- Anti-Gentrification ist regressiv, weil es sich gegen etwas „Neues“ richtet (z.B. die die neoliberale Restrukturierung der Städte).
Mir scheint, dass die Position des Textes hinsichtlich der Interventionsmöglichkeiten und Ansatzpunkte für städtische Protestbewegungen selbst zu komplex gedacht ist und als Furcht vor falschen Widersprüchen eigene Komplexe gegen fast jede Form der Bewegung entwickelt… Schade eigentlich, den so schwierig dürfte es nicht sein, Freiraumforderungen und Kämpfe um Besetzte Häuser mit Mietprotesten und Stadtteilmobilisierungen zu verknüpfen.