Aufwertungskritik: Nicht mein Bier

Die wöchentlich erscheinende Jungle World bezeichnet sich selbst gern als ‚linke Wochenzeitung aus Berlin“.  Besonderes Kennzeichen: Kritik und Häme gegen linke Politikansätze. Ein Artikel in der aktuellen Ausgabe beschäftigt sich mit der angeblich linksradikalen Kritik an städtischen Umstrukturierungsprozesse und entschlüsselt insbesondere die Freiraumbewegung als Diktatur der eigenen Konsumvorstellungen: Sterni ist kein Argument.

Die Linke verwechselt gern ihre Konsumvorstellungen mit Politik. Vor allem, wenn es um Gentrifizierung geht. (…) Bei aller Betonung des Politischen geht es letztlich um eine Subkultur, die sich in Differenz zu dem, was sie für etablierte Kultur hält, konstituiert. Die Kritik am Lieblingsfeindbild Yuppie bleibt auf der Ebene von Konsumpräferenzen: falsches Getränk, falsches Auto, zu teure Wohnung. Entsprechend waren in den vergangenen Monaten in Berlin vermeintliche Yuppiekneipen, »Luxuskarossen« und Häuser mit Eigentumswohnungen das Ziel von Angriffen mit Buttersäure, Farbbeuteln und Brandsätzen.

Im Beitrag werden als Beleg der eigenen These die peinlichsten Statements zur Gentrification aus dem Zusammenhang gerissen aufgeführt. SchwabenrausMcDonalddoofundSternifüralle* – so ungefähr sieht die angeblich übliche Aufwertungskritik der linken Szene aus der Perspektive der Jungle World aus. Das ist ein alter und plumper Trick: Je platter der Pappkamarad den ich aufbaue, desto leichter lässt es sich dann anschließend argumentieren, dass die Kritik an Gentrificationprozessen zu kurz greifen und irgendwie auch von den Falschen vorgetragen werden.

Wo einst die Kritik der kapitalistischen Gesellschaft praktiziert wurde, ist Subkultur übrig geblieben, die ihre Konsumvorstellungen mit Politik verwechselt. Die Formen werden als Rituale weiter praktiziert, die Inhalte sind unterwegs abhanden gekommen. Und es wird immer Erstsemesterstudentinnen und -studenten geben, die diesem Spektakel neues Leben einhauchen, indem sie in die Innenstädte ziehen und gegen Gentrifizierung wettern. Dabei kommt weder eine vernünftige Realpolitik noch irgendeine Form von utopischer Raumstrategie, geschweige denn eine Kritik an kapitalistischer Raumnutzung heraus.

So richtig es mir scheint, die subkuklturellen Verwicklungen in städtische Aufwertungsprozesse zu thematisieren, die Kontextualisierung von Protesten in kapitalistische Rahmenbedingungen einzufordern und den bildungsbürgerlichen Hintergrund vieler Aufwertungskritiker/innen zu benennen – die These von der gesellschaftlichen Affirmation der Gentrificationkritik ist nur in Unkenntnis stadtpolitischer und wohnungswirtschaftlicher Realitäten zu formulieren. Stehen doch die Aufwertungsprozesse exemplarisch für die Unterwerfung städtischer Gebrauchswerte unter die Verwertungslogik des Kapitals und fordern die wohnungspolitischen Initiativen letztendlich nichts weniger als die Dekomodifizierung der Wohnungsversorgung. Dass diese Forderung nicht als explizite Antikapitalismusrhethorik daherkommt, sondern realpolitisch die Durchsetzung möglichst marktferner Versorgungssysteme fordert (Mietrecht, Förderprogramme, öffentlicher Wohnungsbau) mag aus der Perspektive linker Theoriedebatten als unvollkommen gelten. Doch wie meist gilt auch hier, die Verhältnisse nicht nur grundlegend zu analysieren, sondern vor allem die Spielräume für eigene Interventionen realistisch einzuschätzen und auszuweiten. Gemessen daran, ist die aktuelle Verbreiterung der Gentrificationkritik und die verstärkte Hinwendung zu städtischen Konfliktfeldern eigentlich nur zu begrüßen. Ob dabei Sterni getrunken wird, ist zumindest mir reichlich schnuppe.

* Als Sterni bezeichnet wird die in den subkulturellen Einrichtungen wegen ihres geringen Preises beliebte Biersorte Sternburger Pils. Als Punker- und Hausbesetzerbier eilt dem Sternburger der Ruf einer eher geringen Vertäglichkeit voraus.

5 Gedanken zu „Aufwertungskritik: Nicht mein Bier

  1. Deine Kritik am Artikel ist prinzipiell richtig, mich stört nur ein kleines Detail am Rande.

    Als Brauer kann ich sagen, dass Sterni mit ebenso hochwertigen Rohstoffen gebraut wird, wie andere Premiumbiere und zumindest am Standort leipzig wird noch eine recht Lagerungs- und Reifezeit eingehalten, was das Bier bekömmlicher macht als höherpreisige Biere mit geringerer Lagerungszeit.

    Selten sinnloser Kommentar, aber für mein Sterni werfe ich mich gern in die Bresche.

  2. Ich finde merkwürdig, dass so auf dem Artikel rumgehackt wird – denn es ist eine Polemik, klar, aber als solche nicht unrichtig. Und ich denke, eine Diskussion dieses Artikels würde jeder Gruppe, die sich mit Stadtteil-Politik beschäftigt, nicht schlecht tun.
    Subkulturelller Gestos statt politische Perspektive – wer würde ernsthaft behaupten wollen, dass das kein Problem darstellt?

    Ein Hype des Genrtrification-Begriffes, der – zumindest implizit – die Verhältnisse vor der Gentrifizierung glorifiziert – sollten wir da nicht ernsthaft mal drüber nachdenken? BIllige und gute Wohnungen für alle und überall ist eben eine andere Forderung als Gentrification stoppen.
    Aber ich glaube, der Kern des Pudels ist ein anderer, und das scheint im Artikel auch durch. Das Mietverhältnis wird in der ganzen Gentification-Debatte nicht als Klassenverhältnis analysiert, zwischen Mieter_innnen und Hausbesitzer_innen. Statt dessen wird der Marktmechanismus – Angebot und Nachfrage – als solcher erstmal akzeptiert, und versucht, durch „Abwertung“ die Nachfrage zu beschränken, mit Wirkung auf den Preis.
    Die andere große Strategie wäre die Regulierung des Preises über Organisierung, sprich das Angreifen des Marktmechanismus, das über eine Organisierung von Mieter_innen laufen könnte, die sich weigern, steigende Mieten zu bezahlen (oder, im besten Fall, jeden Profit aus der Miete verweigern).

    Aber eine solche Strategie hätte ziemlich andere Aktionsformen zur Folge: nicht Kleingruppenaktionen zu nächtlicher Stunde, sondern der Versuch einer Organisierung der Mieter_innen.
    Natürlich wäre es super, wenn beide Strategien zusammenkommen. Aber im Moment erscheint auch mir die Antigentrifizierungs-Abwertungs-Strategie als zu dominant. Nur als Beispiel: die CarLofts in der Reichenberger Straße sehen ziemlich scheisse aus (was ja erstmal gut ist), aber das es in Bezug auf die private Wohnungsbaugesellschaft GSW bereits massive Proteste oder zumindest Kleingruppenaktionen gegeben hat, ist mir entgangen.

  3. Hier scheint es mir angesichts der Dampfplauderei einfach nur angebracht, aus dem Leitfaden für linke Multiplikatoren zu zitieren.

    „Denn nur wer sich theoretisch legitimiert und seine Gesellschaftskritik im rechten Licht präsentiert, kann auf Erfolg hoffen und locker und unbeschwert politisch-praktisch agieren. Diese Doppelaufgabe zu bewältigen, erfordert allerdings eine Portion rhetorisches und schauspielerisches Geschick, das Sie sich durch etwas Übung aber ohne weiteres aneignen können. Die Hauptschwierigkeit der Legitimierung Ihrer politischen Praxis besteht darin, sie dialektisch abzusichern. Dies erreichen Sie argumentativ in drei Schritten: Verweisen Sie, wenn Sie Ihr Vorgehen gegenüber anderen Linken rechtfertigen, zunächst auf die Schwierigkeit emanzipatorischer Praxis heute. Beklagen Sie die gesellschaftliche Verblendung und die Folgen- und Ausweglosigkeit linker Politik. Erläutern Sie ausführlich die verschlungene Dialektik von Theorie und Praxis. Machen Sie währenddessen am besten ein möglichst zerknautschtes Gesicht, damit jeder sieht, wie zerknirscht Sie über diese schlechte Ausgangslage sind. Mit dem zweiten Schritt kommen Sie Ihrem Ziel schon näher. Proklamieren Sie nun entschieden das „Aushalten“ von Widersprüchen, besonders des widersprüchlichen Verhältnisses von Theorie und Praxis. Während Sie mit eindringlicher Anschaulichkeit schildern, wie Sie tagein tagaus die Dialektik aushalten, versuchen Sie bitte unbedingt, dabei ein gequältes Lächeln aufzusetzen. Das glaubt Ihnen sonst keiner.“

    Bei einem Andrej Holm klingt das dann so:
    So richtig es mir scheint, die subkuklturellen Verwicklungen in städtische Aufwertungsprozesse zu thematisieren, die Kontextualisierung von Protesten in kapitalistische Rahmenbedingungen einzufordern und den bildungsbürgerlichen Hintergrund vieler Aufwertungskritiker/innen zu benennen – die These von der gesellschaftlichen Affirmation der Gentrificationkritik ist nur in Unkenntnis stadtpolitischer und wohnungswirtschaftlicher Realitäten zu formulieren. Stehen doch die Aufwertungsprozesse exemplarisch für die Unterwerfung städtischer Gebrauchswerte unter die Verwertungslogik des Kapitals und fordern die wohnungspolitischen Initiativen letztendlich nichts weniger als die Dekomodifizierung der Wohnungsversorgung. Dass diese Forderung nicht als explizite Antikapitalismusrhethorik daherkommt, sondern realpolitisch die Durchsetzung möglichst marktferner Versorgungssysteme fordert (Mietrecht, Förderprogramme, öffentlicher Wohnungsbau) mag aus der Perspektive linker Theoriedebatten als unvollkommen gelten. Doch wie meist gilt auch hier, die Verhältnisse nicht nur grundlegend zu analysieren, sondern vor allem die Spielräume für eigene Interventionen realistisch einzuschätzen und auszuweiten.

    Hast ja recht. Ausweitung der Handlungsspielräume statt Kommunismus.
    Alle Mann dit Sterni erhoben und denn Prost uff de Stadtteilläden, wa?

  4. Pingback: Holm dichtet « tiefe

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