Berlin: „Polizei kann das Problem der Gentrifizierung nicht alleine lösen“

Im Tagesspiegel erschien heute eine bemerkenswertes Interview mit dem Politikwissenschaftler Hans-Gerd Jaschke von der Hochschule für Wirtschaft und Recht, an der auch Polizeibeamte ausgebildet werden: „Die Anschläge werden noch Monate weitergehen“. Weniger überraschend dabei die Verurteilung der zahlreichen Brandanschläge auf Autos in Berlin, als vielmehr der Versuch, nach den Ursachen zu fragen.

Auszüge aus dem Interview mit Hans-Gerd Jaschke:

Wie erklären Sie sich die Zunahme politisch verbrämter Anschläge?

Wenn eine interne Dynamik der Gewalt einsetzt, dauert sie eine Zeit lang an. Dass wir diese Welle erleben, liegt auch daran, wie Politik, Gesellschaft, Medien, Sicherheitsbehörden reagieren. Mein Eindruck ist, dass die Sympathien in der Bevölkerung für diese Anschläge beachtlicher sind, als viele von uns das glauben mögen.

Woran machen Sie das fest?

Das liegt daran, dass die Stadtpolitik mit der Frage des öffentlichen Raumes – Stichwort Tempelhof, Stichwort Luxusmodernisierungen – nicht angemessen umgeht. Die Bevölkerung wird nicht mitgenommen, die Politik stellt sich zu wenig solchen Debatten.

Und in das Vakuum stoßen dann gewaltbereite Autonome?

Ja. Die mit Luxussanierungen verbundene Vertreibung von Bewohnern aus Innenstadtvierteln ist ein Faktum – aber von der Politik ist nichts davon zu hören, wie die Folgen der Entwicklung sozialverträglich bewerkstelligt werden sollen.

(…)

Wie schätzen Sie die Reaktion von Politik und Sicherheitsbehörden bisher ein?

Als nicht ausreichend. Die Täter werden nur als Straftäter wahrgenommen. Das sind sie zweifellos. Aber sie setzen auch Fanale – Zeichen, dass in der Stadtentwicklung etwas nicht stimmt. Das wird von der Politik übersehen.

Wertet man nicht dadurch kriminelle Gewalttäter auf, dass man ihr politisches Anliegen ernster nimmt?

Nein, man muss zweigleisig verfahren: Strafverfolgung steht außer Zweifel. Aber hinzukommen muss eine Debatte über den öffentlichen Raum. Das hat das Beispiel Tempelhof gezeigt: Wieso hat man nicht das Gelände geöffnet, ein Fest veranstaltet und die Bevölkerung willkommen geheißen? In Berlin ist das Aussperren und das Vertreiben von Menschen aus sozialen Räumen eine hochgefährliche Angelegenheit – und die Politik reduziert das Problem auf Straftaten.

Sie schulen künftige Polizisten. Wie werden die auf den Umgang mit linksextremistischen Autonomen vorbereitet?

Der Nachwuchs geht gut vorbereitet in die Praxis, auch durch Seminare und Veranstaltungen zu politischem Extremismus. Aber die Polizei kann das Problem der Folgen von Stadtentwicklung und Gentrifizierung nicht alleine lösen.

@bov: Danke für den Hinweis!

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