Gentrification ist Geschmackssache

Die Gentrificationforschung hat es nicht leicht. Lieb gewonnene Klischees von Aufwertungsprozessen müssen hinterfragt werden. Längst sind es nicht nur Singles, Yuppies und DINKS (Double Income No Kids), die einen Gentrificationsprozess tragen, sondern auch Familien und Alleinerziehende mit Kindern, die in den aufgewerteten Nachbarschaften bessere Chancen sehen, Kinder und Karriere unter einen Hut zu bringen. Hier müssen insbesondere die traditionellen statistischen Kriterien für ‚Pioniere‘ und ‚Gentrifier‘ einer Revision unterzogen werden.

Doch auch die Indikatoren für die kulturellen Wandlungsprozesse in den Nachbarschaften müssen ständig erneuert werden. Galt in den 1980er in den Studien von Jörg Blasius der Verzicht auf klassische Gardinen noch als sicheres Zeichen für den Pionierstatus der Bewohner/innen, wären vergleichbare Zuordnungen heute nur noch schwerlich zu treffen. Bezogen auf die nachbarschaftlichen Infra- und Gewerbestrukturen galten lange Zeit Sushi-Bars, Starbucks, vegetarische Restaurants oder Ökoläden als beliebte Indikatoren für die Aufwertung. Doch mit der Überführung ehemals distinktionsfähiger Konsumangebote in einen urbanen Mainstream ist die notwendige Trennschärfe der Indizes verloren gegangen.

Frage an alle: was könnte ein zeitgemäßer Ersatz für den Sushi/Starbucks/Öko-Index zur Verortung von Gentrificationprozesse sein?

Starbucks war gestern, CupCake ist heute
Kathe Newman von der Rutgers University in New Jersey schlägt in einem aktuellen Forschungsprojekt vor die in New York immer beliebteren Bäckereien mit CupCakes im Angebot sowie Hundesalons als Aufwertungsindikatoren zu benutzen: „Tour de Cupcake. Mapping the Gentrification Frontier“. Der kollaborative Forschungsansatz lädt dabei über eine Webseite zum mitmachen ein:

We will locate the new gentrification frontier by mapping the location of “hip” cupcake serving bakeries and puppy spas using a collaborative online methodology. Post your favorite cupcake eatery and/or puppy parlor to our Google Maps website. Then join us in September for the Tour de Cupcake as we map the gentrification frontier… one “bite” at a time.

Bei Cake.Spy.com einem Blog von Kuchenliebhabern wird der Forschungsansatz von Kathe Newman aufgegriffen: Warum sollen ausgerechnet unsere Lieblingskuchen was mit Gentrification zu tun haben?

No doubt about it, cupcakes are popular these days. But is it possible that their popularity is indicative of more about our culture than a simple case of sugar lust gone wild?

In einem Briefwechsel mit den Blogbetreiber/innen erklärt Kathe Newman ihren induktiven Forschungsansatz. Von alltäglichen Beobachtungen ausgehend, will sie den Phänomenen auf den Grund gehen. Das Mapping der CupCake-Bakeries ist dabei nicht der letzte Beweis von Aufwertungsprozessen, sondern ein Indikator, der mit anderen Daten und Informationen verknüpft werden muss.

„I’ve noticed that newly gentrifying neighborhoods seem to have one thing in common – a fantastic little place to get cupcakes. I’m always dragging home very pretty little cupcakes for my children while on research trips.“ This is what prompted her to start a map of cupcake shops and puppy parlors (which do seem to crop up in similar neighborhoods) to see how they compare to more traditionally used data.

Noch Ende des Jahres sollen die Ergebnisse in der Urban Affairs Review veröffentlicht werden – wir dürfen gespannt sein. Für eine Diskussion hierzulande würde mich interessieren, welche alltagsverbundene Konsumpraxis ausreichend Distinktionspotential ausstrahlt, um als vergleichbares Gentrificationmerkmal zu gelten. Die Alltagsverbundenheit würde ich als Kriterium aufnehmen, weil erst eine gewisse Reproduzierbarkeit und Anzahl ein Merkmal zu einem Indikator qualifizieren.

Ideen und Vorschläge – gerne auch hier in den Kommentarfunktionen – würden mich sehr freuen.

30 Gedanken zu „Gentrification ist Geschmackssache

  1. anzahl und dauer der öffnungszeiten von spätverkäufen…
    verhältnis der anzahl von dönerläden zu schawarmabuden…
    menge von rennrädern…
    mir wird noch mehr einfallen!

  2. WLAN-Zugänge? Offene und Geschlossene. Die könnte man prima messen ganz ohne lästige Umfragen. Einfach mit einem Laptop durch die Straßen gehen. Funktioniert wahrscheinlich auch nicht nur hierzulande sondern weltweit und ist somit global vergleichbar.

  3. Das mit den Rennrädern finde ich gut. ich würde sogar so weit gehen, daß die Dichte an Fahrrad-Einzelhändlern ebenfalls hernehmen kann. Oder die Anzahl an Frauenfitness-Studios.

  4. Äh, auch wenn ich irgendwie durch ständiges Re-Edit des Textes die Grammatik im obigen Kommentar vergurkt habe, kann man verstehen, was ich meine, oder?

  5. pilates- und yoga-studios. streetbranding (sprich: graffitis am boden). american apparel shop. lokale fashion-designer. sonnenbrillen-dichte :). frozen yogurt shops (in NY).

  6. Schließe mich der Vorposterin an.

    Definitiv Künstleratteliers/wohnungen/gallerien und kleine unabhängige schneidereien (evtl. mit integriertem Verkaufsladen).

    Diese Klientel sucht immer möglichst günstige (Geld/Fläche) Wohnlagen/Geschäftsräume und ihre pure Präsenz wird als „kulturelle Aufwertung“ (Künstlerviertel) wahrgenommen.
    Dies wird dann auch gezielt von Immobilien-besitzern und Marklern bei der Vermarktung eingesetzt,
    wodurch kaufkräftigere und elitärere Klientel angezogen wird.

  7. kleine selbstständige Mode-Läden, „unabhängige“ Fashion-Dealer aller Art, Alterstruktur, Studierende geisteswissenschaftlicher / künstlerischer Fachrichtungen

  8. Gentrification Confirmation
    http://ny.eater.com/archives/2009/06/bowery_gentrification.php

    Andere halten auch in New York am Sushi-Index fest.
    „Earlier in the day, it came out that international high end sushi chain Koi is eying a liquor license for 347 Bowery, currently the space of The Salvation Army’s gritty and graffitied East Village home. (…)
    Could there be any greater symbol for the overt transformation/gentrification of The Bowery?“

  9. Ich find Sojamilchcafé und american apparel ziemlich treffend.

    Weniger offensichtlich:
    Gewinnmargen beim Weinverkauf, die gewöhnlich in klassischen Hip-Lokalen extrem hoch sind.

    Anzahl an Geldautomaten und Deutsche/Dresdner Bank Filialen

    Babymode und Kinderwagen – erste Hand!

    Zur negativ-Kartierung kommen die Handyshops und 1 Euroläden hinzu

  10. Und eine weitere Runde der Denuziation ist eröffnet. Hier kann jede und jeder das Ressentiment loslassen gegen das, was für Luxus gehalten wird. Als wären die Elendsgestalten, die mit ihren Latte Macchiatos unentwegt Produktivität vorgaukeln müssten, die Verbreiter neuer, schlimmer Aufwertungsprozesse und nicht ganz arme Würstchen. Hier packt sozialwissenschaftliche Forschung das Ressentiment in Wissenschaft, da kann ganz nach gesundem Volksempfinden der Sozialneid losgelassen werden.

    • @ unkultur: Toll dass die FDP jetzt auch hier an der Diskussion teilnimmt. Und ich dachte auch, die Umdeutung sozialer Fragestellungen in völkische wäre das Metier der NPD…
      Nein, mal ehrlich: Tatsächlich geht die Diskussion hier zuweilen in die Richtung dessen, was als typisch für bestimmte als aufwertend identifizierte Milieus angesehen wird, aber immer als bezeichnend für einen herausgegriffenen Lebensstil. Das hilft aber nicht weiter – der Vergleich mit dem Gardinen-Modell ist ja offensichtlich: Das war nicht an einen ausgewählten Lebensstil gebunden. Seit wann sind Gentrifizierungs-Pioniere vorwiegend Rennrad-begeistert?

      Die Ausgangsfrage zielt ja nicht dahin, wer als verantwortlich für Aufwertung gebranntmarkt werden soll, sondern wie sozialwissenschaftliche Indikatoren für ein Frühwarnsystem aussehen könnten, um den negativen Auswirkungen von Aufwertungsprozessen entgegen zu wirken.

      • Ist zwar mehr als ein Jahr später, dennoch der Versuch einer Antwort

        unkulturs beitrag liest sich für mich nicht wie ein fdp-beitrag und tatsächlich finde auch ich es ziemlich unpassend, solche Indikatoren heranzuziehen – ganz einfach, weil mit einer solchen Methode nolens volens der Fokus sich auf einzelne Individuen bzw. die Nachfragenden verschiebt – eben die vermeintlichen Gentrifier. Dass das einige witzig finden, mag deren Sache sein. Ich finde es jedenfalls nicht mehr witzig, wenn irgendwo „Schwaben Raus“ an Häuserwänden steht. Nicht, dass es da Missverständnisse gibt: Natürlich gibt es da keine kausalen Zusammenhänge, nur: sich darauf zurückzuziehen, dass man doch „ganz objektiv“ nur Sachverhalte darstelle, das ist dann doch im besten Falle ein bisschen blauäugig, im schlechtesten einfach nur unehrlich. Die Wertung gibt’s nämlich automatisch obendrauf. Desweiteren kommt hinzu, dass die Wissenschaft und wissenschaftliche Aussagen noch immer, ob berechtigt oder nicht, eine gewisse autoritäre Aura umgibt: Da wird man dann ganz schnell mal zur Legitimation herangezogen, ob man will oder nicht.
        Das alles gilt es einzupreisen, wenn man sich auf das Terrain der „Frühwarnsysteme“ begibt.

        Ich meine, dieser Verantwortung sollte man sich bewusst sein. Sorry, das ist jetzt so unpostmodern unwitzig, aber ich meine es genau so.

        Btw. Was sind denn die negativen Auswirkungen von Aufwertungsprozessen? Ist das Problem nicht eher, dass nicht alle daran teilhaben können? Und: Ist das dann ein räumliches Problem? Was wird dann aus dem „Frühwarnsystem“?

        • Hallo hinz&kunz,
          schade, dass dein Beitrag erst so spät in die Diskussion kommt… Ich glaube, dass es bei der Suche von Indikatoren für Gentrification-Prozesse nicht so sehr um eine Denunziation von Gentrifieren geht, als vielmehr, die kulturellen und lebensstilbezogenen Aspekte der Alltagsgestaltung in einem räumlichen Kontext zu verorten. Fragen von Aufwertungsstudien beziehen sich ja nicht nur auf Einkommenverteilungen und Klassenzugehöriglkeiten, sondern auch auf die Herausbildung neuer Formen der Vergesellschaftung. Was sagen uns bestimmte Dienstleistungsangebote oder Produkte über den Lebensstil der Bewohner/innen? Welche sozialen Implikationen sind mit Currywurst oder Sushi verbunden? Was sagt uns eine bestimmte Konzentration bestimmter Angebote über die räumlichen Veränderungen oder neue Raumnutzungsstrategien? All diese Fragen setzen zunächst einmal die Beobachtung und Analyse von raumbezogenen Konsumpraktiken voraus – und haben erst einmal nichts mit der von unkultur befürchteten Denunziation von Lebensstilen zu tun. Wenn Distinktionsrenditen und Exklusionseffekte bestimmter Lebensstile herausgearbeitet werden, setzt es ja eine ziemlich starkes Set an normativen Überzeugungen voraus, das gut oder schlecht zu finden. Die gerade in Gentrificationprozessen zu beobachtenden Vervielfältigungen von Lebensstilen bedeuten aber v.a. dass es eben nur noch wenige gemeinsam geteilte Überzeugungen/Einstellungen/Bewertungsmuster gibt – eine hegemoniale Denunziation ist auf dieser Basis schlichtweg kaum möglich.

          Soweit,

          Andrej Holm

  11. Ein methodisches Problem ist ja vielleicht auch, dass sich eigentlich jedes Merkmal nehmen lässt, weil es ja auch als sich selbst erfüllende Prophezeiung funktioniert zumindestens wenn man die Studie auch veröffentlicht. Die Studie wird dann sicherlich von Immobilienmaklern als Verkaufsargument benutzt und alleine dadurch steigen dann die Preise auch wirklich genau so wie man es vorhergesagt hat.

  12. Wie wär’s mit: Differenz zwischen dem qm-Preis legalisierter Wohnprojekte und Durchschnittsmiete, multipliziert mit der Anzahl der noch bestehenden Wohnprojekte.

    Heißt: je mehr Wohnprojekte es gibt („Dschungelbonus“) und je relativ billiger die sind („Exotenbonus“), desto hipper ist es. Merke qua Beobachtung: die Faktoren schließen sich zum Teil aus: gibt es „zu viele“ Wohnprojekte (nach bürgerlicher Wahrnehmung), ist die Differenz der Mieten nicht mehr so groß.

    Das wäre ganz treffend, denn: wenn es relativ „zu viele“ Wohnprojekte gäbe, wäre der Durchschnittsmietziens wieder niedriger und es wäre nicht mehr für die Mehrheit „cool“ da zu wohnen…andererseits: gibt es relativ wenige Wohnprojekte und die sind dafür extrem günstig, ist es hip (stimmt doch mit der Wahrheit überein, oder? Siehe Brunnen vs. Rest of Kiez)

    • GB:
      Die Vorschläge hier waren sicher nicht alle ernst gemeint. Manche wissen vielleicht nur nicht, daß Humorlosigkeit eine der ersten Wissenschaftlerpflichten ist und ein Verstoß gegen diese Pflicht anscheinend auch mit Löschung von Kommentaren geahndet wird.

      Bei dieser Gelegenheit möchte ich mir noch erlauben, kurz darauf hinzuweisen, daß dieses Blog – wie andere WordPress.com-Blogs auch – Nutzerdaten an Quantcast weiterleitet, eines der größten Bespitzelungsunternehmen der Welt, das sich u. a. damit brüstet, „a comprehensive understanding of all 220 million US Internet users“ zu haben.

      Auch diesen Kommentar dürfen Sie natürlich gerne löschen, Herr Holm.

      • Nachtrag:

        Mein Kommentarchen „am Juli 18, 2009 um 2:52“ war nach dem Abschicken zunächst sichtbar, dann (ein paar Tage später) plötzlich nicht mehr. Jetzt ist es für mich wieder sichtbar, allerdings mit dem Zusatz: „Ihr Beitrag wartet auf Freischaltung.“ Falls es sich dabei um technische Probleme handelt, nehme ich das oben gesagte natürlich fast alles zurück.

  13. Liebe Alexa Kaufhof,
    wie kommst du darauf, dass ich deine Kommentare löschen könnte – meistens finde ich sie ganz witzig.
    Ich war ein paar Tage Offline und habe nur sporadisch und unter Zeitdruck die Kommentare freischalten können – vielleicht habe ich dabei deinen „Sonnenbrillen-Vorschlag“ übersehen oder versehentlich ‚unfrei geschaltet’… Absicht jedenfalls stand nicht dahinter.

    Was die Datensicherheit auf wordpress.com angeht, bin ich mir sicher, dass es noch mehr Lücken als die von dir beschriebene gibt.

    Ich habe mich aus Bequemlichkeitsgründen der einfachen Bedienung wegen für ein Mainstream-Angebot wie das von wordpress.com entschieden. Ist sicher ungefähr so reflektiert wie google.mail oder Windows zu benutzen – für Tipps, wie die Nutzersicherheit bei wordpress.com verbessert werden könnte, würde ich mich sehr freuen.

    • Dann nehme ich meine Äußerungen hiermit wie angekündigt zurück. 🙂

      Was das „Tracking“ und die Bespitzelung und Überwachung durch Konzerne und Privatunternehmen angeht, glaube ich, daß zu diesem Problem – auch im Vergleich zur Überwachung durch Staat und Behörden – in der Öffentlichkeit riesige Bewußtseins- und Informationsdefizite bestehen. Aber das gehört natürlich nicht (direkt) zum Thema dieses Blogs. Wie man den Quantserv-Code auf WordPress.com-Seiten loswird, weiß ich leider nicht…

  14. Pingback: Berlin: Bio-Paradies Prenzlauer Berg « Gentrification Blog

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