„Es sei einfach nett hier, meint eine werdende Mutter. In Berlin-Prenzlauer Berg hätten eben alle denselben Lebensplan. Eine Pfarrerin hat immer mehr zu tun…“
„Deshalb nicht nur zur Erinnerung: Prenzlauer Berg war weder einfach noch nett, und schon gar nicht beides zusammen. Prenzlauer Berg war, als wir das Wort Existenzminimum noch nicht kannten, das Lebensmaximum.“
Als Filmankündigung für die ARD-Doku „Unter deutschen Dächern“ über den Wandel in Berlin Prenzlauer Berg geschrieben erschien heute im Feuilleton der jungen welt der schönste Beitrag auf den ich seit langem zu Prenzlauer Berg gelesen habe. Robert Mießner nimmt uns in seinem Beitrag „Keiner war Elite“ mit auf eine kleine Zeitreise in die Nachwendezeit und macht deutlich, dass Künstlerszenen, Trinker und Austeiger ihre eigene Welt gestalteten, aber den späteren Aufwertungen nichts entgegenzusetzen hatten:
Und wenn wir den Stand oder die Lage der Dinge erörtern, stellen wir oft fest: Wir hätten eine der Verwaltungs- und nicht Geisteswissenschaften studieren, in strategischer Voraussicht Läden eröffnen und Häuser kaufen sollen. Bloß, daß uns keine Bank Kredit gegeben hätte. Selbst über den Dispo mußten wir verhandeln. Uns, die wir Lautstärke so sehr liebten, fehlte zu allem Unglück eine große Fresse.
Das Unverständnis gegenüber den neuen Verhältnissen und den Lebensstilen der neuen Bewohner/innen wird in dem Beitrag schön herausgearbeitet und zeigt, dass Phänomene der kulturellen Disonanz durch Quartiersveränderungen nicht nur bei älteren Langzeitbewohner/innen anzutreffen sind. Robert Mießner spricht für eine Anfang der 1990er Jahre zugezogenen subkulturelle Ostszene, die in doppelter Weise von ihren damaligen Alltagswelten entfremdet wurden: neben der aufwertungsbedingten Zerschlagung ihrer ökonomischen Existentgrundlagen erlebte diese Generation eine zumindest kulturelle Kolonialisierung durch die westdeutsche Zuzüge, die inzwischen die Deutungsmacht und Lifstyle-Hegemonie in den Quartieren übernommen haben.
Weil der Beitrag wirklich sehr schön ist, hier in voller Länge:
Keiner war Elite.
Früher war Prenzlauer Berg Lebensmaximum, heute ist er nur noch eine ARD-Dokumentation
Von Robert Mießner (erschienen am 26.08.2009 in der Tageszeitung junge welt)
Es sei einfach nett hier, meint eine werdende Mutter. In Berlin-Prenzlauer Berg hätten eben alle denselben Lebensplan. Eine Pfarrerin hat immer mehr zu tun und spricht von ihrer Drei-Aß-Kategorie: »Anwälte, Ärzte und Architekten«. 3000 Euro kostet ein Quadratmeter in Marthashof, Schwedter Straße. Das gilt als billig. In Kristian Kählers Dokumentarfilm aus der Reihe »Unter deutschen Dächern«, der heute abend in der ARD läuft, erzählt eine alte Frau, die schon seit über 50 Jahren am Kollwitzplatz lebt, daß ein Grund- und Bodenverwerter ihr mitgeteilt habe, sie könne ja ins Altersheim gehen. Und wohin solle sie ihren Büchern, habe sie mit ihn gefragt. Der Mann konnte sich nicht vorstellen, daß sie Bücher liest.
Kähler zeigt, wie Einschußlöcher aus dem Zweiten Weltkrieg übertüncht und Geschichte neugeschrieben wird. In einem Bezirk, dessen Bewohner sich in dem Gefühl sonnen, die Zukunft zu repräsentieren und alles richtig zu machen. Innerhalb weniger Jahre wurde in diesem Teil von Berlin die Bevölkerung fast komplett ausgetauscht. Dazu, es sei noch mal an Bert Papenfuß’ »Ossifizierung und Verschleiß« (1998) erinnert, mußte nicht mal Krieg geführt werden. Das besorgten Geld und Ellenbogen.
Deshalb nicht nur zur Erinnerung: Prenzlauer Berg war weder einfach noch nett, und schon gar nicht beides zusammen. Prenzlauer Berg war, als wir das Wort Existenzminimum noch nicht kannten, das Lebensmaximum. Wir, die wir in den frühen Neunzigern Achtzehn- bis Zwanzigjährige waren, trieben uns ganz bewußt hier rum und brachten einander nach Hause. Wir waren 1989 zu jung gewesen, um eine Heldengeschichte präsentieren zu können, gleichzeitig hatten wir nicht vor, uns der neuen Zeit in die Arme zu werfen. Keiner war wie der andere. Wir waren Punker ohne Outfit und Popper mit Neil-Young-Platten.
Wir hörten Peter Brötzmann oder Goyko Schmidt, zu Zeiten beides. Seitwärts und nicht vergessen war die Parole, und wir hielten uns daran. Wir lasen Müller und Miller. Buch- und Plattenfacharbeiter retteten uns vor Depressionen und Schlimmeren. Wir waren Nachtwächter, Gärtner, Krankenpfleger und Call-Center-Heinis. Wir standen in einer Druckerei am Fließband oder an einer Baumarktssäge, verkauften Zeitungen, schrubbten BVG-Busse und gaben Nachhilfestunden. Oder wir arbeiteten gar nicht erst. Keiner fühlte sich als Elite, es sei denn als die der Verdammten.
Geld war uns Mittel, nicht Zweck. Es kam vor, daß aus Kellern Briketts verschwanden. Niemand war darüber beunruhigt. Salz ins Außenklo half gegen das Einfrieren bei Minusgraden. Ein Weg, die Küche warmzukriegen, waren umgedrehte Blumentöpfe auf Gasflammen. Im Frühling kamen über den Hof Töne, als versuchte sich Tom Waits an gregorianischen Chorälen. Es war aber ein Schichtarbeiter, der nach Tag- oder Nachtwerk unnüchtern seine Bude aufschloß, sich Kopfhörer überstülpte, »Go West« von den Pet Shop Boys hörte und mitsang. Er tat das gelegentlich stundenlang. Der Nachbar parterre rechts borgte uns was fürs Wochenende. Dem wurde später der Strom abgestellt. Wohnungstüren waren Pinnwände und Anrufbeantworter. »Bin im Fiasko« oder »LSD« stand auf den Zetteln. Denn so hießen unsere Kneipen. In der »Kommandantur«, Knaack/Ecke Ryke, machten wir unser Abitur. In die Volksbühne gingen wir, um mit Frank Castorf Aquavit zu saufen. Führte uns unser Weg in den »Duncker«, landeten wir mit Sicherheit vorher oder nachher im »Torpedokäfer«, wo Lothar Feix (1954–2002), Tresenarbeiter und laut Selbstaussage langzeitarbeitsloser Gelegenheitsautor, mit schöner Regelmäßigkeit die Sex Pistols auflegte. Umwerfender klangen sie nie. »Zum kleinen Finger« war in der Stargarder, Höhe Duncker. Schlaumeier wie wir kriegten dort aufs Maul, hieß es. Uns ist darin nie was passiert. Noch wenn wir schlecht waren, waren wir gut darin. Vor den Kneipen, in die wir nicht gingen, klauten wir Pflanzen. Bei uns hatten sie es besser.
Und während wir all das taten, wurde der Prenzlauer Berg, was er jetzt ist. Nicht, daß wir es nicht bemerkt hätten, wir waren nüchterner, als das gelegentlich aussah. Einige zogen vom Kollwitzplatz in die Kastanienallee. Damals eine herzlich öde Durchfahrtsstraße, mehr nicht. Andere verließen die Stadt ganz. Wir fingen an, den Osten, aus dem wir kamen und der vor unseren Augen verschwand, noch hinter Lublin, in St. Petersburg oder Novi Sad zu suchen. Die, die Eltern wurden, haben für ihre Kinderwagen deutlich weniger als 700 Euro bezahlt. Wir wissen jetzt, was Bibeleltern und Ruck-Zuck-Muttis sind. Die Auflösung ist nicht mal schmutzig: Die einen basteln mit ihren Kindern den Lampion zum Martinstag, die Rabenmütter kaufen ihn bei Rossmann. Einige fingen an, wieder auf Demos zu gehen.
Und wenn wir den Stand oder die Lage der Dinge erörtern, stellen wir oft fest: Wir hätten eine der Verwaltungs- und nicht Geisteswissenschaften studieren, in strategischer Voraussicht Läden eröffnen und Häuser kaufen sollen. Bloß, daß uns keine Bank Kredit gegeben hätte. Selbst über den Dispo mußten wir verhandeln. Uns, die wir Lautstärke so sehr liebten, fehlte zu allem Unglück eine große Fresse.
Und welche Argumente in der Gentrificationdebatte soll dieser Artikel vermitteln? Ich lese nur den ueblichen romantisierenden Proletarierkult.
Als jemand, der in den Achtzigern Wohnungen in der Lychener Str. und der Kastanienallee (die übrigens damals schon hipp war) besetzt hat und heute mal wieder hier lebt, verstehe ich den Artikel überhaupt nicht.
Es ist eine Legende, dass der Prenzlauer Berg bis zur Wende ein Arbeiterbezirk war. Schon in den Siebzigern galt der Bezirk als das Künstlerviertel in Berlin. Leere Wohnungen gab es en gros weil der normale Arbeiter im EAW in Treptow gearbeitet hat und in Hellersdorf wohnen wollte. Er hatte tatsächlich die Nase voll vom Klo auf halber Treppe und der Ofenheizung.
Als Teil eines großen Kreises von Ausreisern, haben wir uns mit Fensterputzen, Wache im Altenheim und Wäsche in der Pathologie über Wasser gehalten. Es gab die richtigen Kneipen, wie das Metzereck und alle waren Künstler.
Es ist richtig, dass nur noch wenige von diesen Ureinwohnern hier wohnen. Sie kommen eben und gehen.
Ja, der Pberg wird irgendwann das neue Charlottenburg. Das war in den Siebzigern ja auch die Party-Meile Berlins. Aber welchen Sinn hat es, sich darüber aufzuregen? Einzig, die Frage nach dem Vorrecht der Alteigentümer der Häuser wäre spannend. Aber dafür ist es leider zu spät.
danke für den Hinweis auf den Artikel. exakt so habe ich die 90er hier erlebt. ich lebe im übrigen immer noch hier, der Wandel ist dadurch täglich präsent, aber ein objektives reflektieren fast unmöglich. die 80er hier kenne ich im übrigen auch, ein Arbeiterbezirk ist das auch damals auch nicht mehr gewesen, hip auf jeden Fall. aber auch das so, wie es heute kaum zu transportieren ist. der Artikel ist da aber sehr sehr nahe dran. danke nochmal!
Prenzlauer Berg erscheint im Film als riesige national befreite Zone, ich konnte keinen unterschichtigen Migranten entdecken,nur weiße Mittelschichtler. Die kurioserweise die Grün wählen, deren Programm ja auf ethnische Durchmischung abziehlt , was die Verlogenheit der Prenzlauer Berg Bewohner enthüllt. Ich könnte mir vorstellen, daß die dort aufwachsenden Edelkinder später Nazis werden, um ihre schöne Idylle zu verteidigen. Und wahrscheinlich werden sie die Naziideen nicht in der NPD, sondern in den Grünen verwirklichen. Die Partei ist da flexibel, schließlich konnte man als Antikriegspartei plötzlich auch lustig Kriege führen. Ich bin ja eher rechts mir soll es recht sein, aber ich hätte es gern ehrlicher.
Auf der Suche nach unsaniertem Wohnraum, günstigen Mieten, einfacher Arbeiter-Nachbarschaft, billigen Kneipen und einem Kiez ganz ohne Gentrifizierung hätten die ach-so-bemitleidenswerten Damen und Herren aus dem Prenzlauer Berg nicht gleich nach Lublin, St. Petersburg oder Novi Sad auswandern müssen. Im Wedding gibt’s das nämlich auch alles – und der wäre gleich nebenan gewesen 😉
Der Wedding kommt sicher auch noch dran mit der “ Aufwertung“ . Das hängt einfach mit der Hauptstadt und dem Regierungssitz zusammen. Die ganze Wirtschaft bringt hier ihre Lobbyisten zusammen, um sich den entscheidenden Einfluß auf die Regierung zu sichern. Und alle diese Mittelschichtler wollen angenehm, großzügig und arbeitsnah wohnen, was wunderbar in sanierten Altbauwohnungen geht. Nachdem Prenzlauer Berg, Kreuzberg und Friedrichshain fast schon fertigsaniert sind, müßte jetzt der Wedding folgen. Ich bin mal gespannt, ob die dort wohnenden Türken und Araber sich genauso leicht vertreiben lassen wie die ethnischen Deutschen oder ob sie sich mit ihrer Clanstruktur zur Wehr setzen werden.
> Der Wedding kommt sicher auch noch dran
> mit der ” Aufwertung” .
Abwarten 😉
Es ist sicher kein Zufall, dass sich die Gentrifizierungs-Welle im vergangenen Jahrzehnt ostwärts durch die Berliner Kieze in Mitte, Prenzlberg und Friedrichshain bewegte. Offenbar hat der hohe Ausländeranteil tatsächlich seinen Anteil daran, dass Bezirke wie der Wedding für solche Prozesse weniger anfällig sind. (Ich bin aber kein Soziologe, sodass dies bloß reine Spekulation ist.)
Ob die „Clanstrukturen“ der Türken und Araber der Macht von Immobilienhaien und zahlungskräftigen Mietern etwas entgegensetzen könnten, bleibt abzuwarten. Es scheint mir eine größere Rolle zu spielen, wem die Häuser momentan gehören (d.h. wie einfach es sein würde, sie aufzukaufen um sie zu sanieren und dann teuer zu vermieten).
Auch der Zustand spielt eine Rolle. Die Häuser im Prenzlberg waren Anfang der 90er ja häufig in einem ruinösen Zustand und wechselten dann für einen „Appel und ein Ei“ den Besitzer. Auch das ist im Wedding anders.
Hey! Danke für diesen guten Artikel!