Der Streit um die Berliner Leerstandszahlen geht in eine neue Runde. Bereits zur Veröffentlichung des aktuellen Mietspiegels hatten Mieterorganisationen die von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung hochgehaltenen 100.000 leerstehenden Wohnungen bezweifelt. Jetzt legte der Berliner Mieterverein die Ergebnisse einer eigenen Befragung vor und schätzt die Anzahl der nichtvermietbaren Wohnungen auf 50.000. Auch wenn die Studie nicht repräsentativ ist, wird an unzähligen Beispielen die Vielfalt von Leerstandsgründen benannt. Der Tenor der Untersuchung: Nur etwa die Hälfte der Leerstandswohnungen steht leer, weil sich keine Mieter/innen finden. Häufige Ursachen für den Leerstand sind Unbewohnbarkeit durch Mängel am baulichen Zustand, zu hohe Mieten aber auch die Spekulation auf eine erfolgreiche Umwandlung in Eigentumswohnungen.
Hintergrund des Leerstandszahlenstreites ist die Bewertung der Berliner Wohnungsmarktsituation. Abhängig vom Verhältnis zwischen Angebot und Nachfrage kann festgestellt werden, ob es einen örtlichen Wohnungsmangel gibt. Wichtig ist dies vor allem für den Geltungsbereich des §5 des Wirtschaftsstrafgesetzes zur Begrenzung der Neuvermietungsmieten (siehe ausführlicher hier im Blog: Mieterhöhung durch Leerstand)
Artikel dazu gab es in fast allen Berliner Tageszeitungen:
Berliner Zeitung: Mieterverein fordert Preisbindung
- Berliner Morgenpost: Mieterverein bezweifelt Leerstandszahlen des Senats
- taz: Bruchbuden in der Statistik
- Tagesspiegel: Streit um Leerstand
- junge welt: Senat fischt im trüben
Bemerkenswert neben den Berichten jedoch ist vor allem ein Kommentar von Martin Klesmann in der Berliner Zeitung: Einstürzende Altbauten. Der Beitrag liest sich ein wenig wie eine schlecht imitierte Presseerklärung aus dem Hause Junge-Reyer: Wir haben keine Wohnungsnot und überhaupt sein Forderungen nach Mietobergrenzen einfach nicht „metropolentauglich“…
Mal ehrlich. Mieter in Berlin sind immer noch die Gewinner im europäischen Vergleich, und selbst global steht die Hauptstadt nicht schlecht da. In kaum einer anderen Metropole sind die Mieten so niedrig und die Wohnungen so groß wie in Berlin. Und immer noch stehen in Berlin an die 100 000 Wohnungen leer.
Während so ungefähr alle Expert/innen von Mieterorganisationen und Vermieterverbänden die Zahlen der Senatsverwaltung bezweifeln und diese bisher auch dem Abgeordnetenhaus keine schlüssigen Daten vorlegen konnten – in der Zeitung kann ja ruhig mal geschrieben werden, dass es so sei, wie von der Senatorin behauptet. Schließlich geht es ja nicht um Fakten, sondern um Meinungen. Die von Herrn Klesmann erfahren wir hier:
Wenn der Mieterverein jetzt den Wohnungsnotstand ausruft und Obergrenzen für Neuvermietungen fordert, ist das nicht nachvollziehbar. Denn in Berlin ist ganz anders als etwa in München genug Wohnraum vorhanden. (…)
Es mag im Wedding oder in Marzahn-Nord mehr leere Wohnungen geben als in Prenzlauer Berg. Und es gibt Menschen, die wegen erhöhter Mieten in andere Stadtteile ziehen.Doch was wäre die Folge einer kollektiven Mietpreisbindung? Investoren würden davon abgehalten, weitere Häuser in der Hauptstadt der Mieter zu sanieren.
Das ist natürlich ausgesprochener Unsinn, denn in den aktuellen Diskussionen und Forderungen der Mieterorganisationen und auch in der Grünen Bundesratsinitiative geht es um die Beschränkung der Neuvermietungshöhen nach einem Mieterwechsel. Die geltenden Umlageregelungen von Modernisierungskosten stehen zur Zeit (leider) noch gar nicht auf der Tagesordnung der wohnungspolitischen Debatte. Aber wer die Metropole Berlin herbeischreiben will, der darf es mit der Wirklichkeit eben nicht so ernst nehmen.
Die arme Stadt ist auf solche Investitionen und auch auf Zuzug angewiesen. Eine pulsierende Metropole, wie Berlin es sein will, darf sich da nicht selbst beschränken. Sonst krachen irgendwann die ersten Altbauten zusammen.
Was muss ich nehmen, um so verquer zu denken wie der Mieterverein? Wunderbar zusammengefasst beim Artikel der Berliner Zeitung bei den Gründen:
schlechter Zustand von Häusern oder Wohnungen (18 Prozent) => ab wann geht denn der Mieterverein von einem schlechten Zustand aus, da würde ich gerne mal die Kriterien wissen. Falls es jemand weiss, würde ich mich freuen, wenn das hier aufgeklärt wird.
überhöhte Mietforderungen (13,2 Prozent) => aus welcher Sicht? Harz IV, durchschnittlich verdienene Menschen? was denn nun?
unsachgemäße Sanierung => kann natürlich jeder Mieter beurteilen, weil Mieter per Geburt schon Bauingenieure sind….
schlechte Lage an Hauptverkehrsstraßen => natürlich will jeder gerne ruhig wohnen, aber da habe ich kein Grundrecht drauf. Wenn ich in der Innenstadt Nichts ruhiges finde was billig ist, muss ich halt an die Hauptstrassen ausweichen. War schon immer so.
Ich kann es nicht mehr hören. Fordern, fordern, fordern ohne auch nur einen Deut Ahnung zu haben von den notwendigen Kosten für eine Sanierung, nur um den Gebäudebestand zu waren. Und immer das Vorurteil alle Eigentümer sind ja sowieso schon „gestopft“ und wachen jeden morgen mit nem Hunderter im Arsch auf. Hat der Mieterverein überhaupt eine Ahnung wieviel Arbeit im Verwalten und Erhalten einer Immobilie stecken und auch wieviel Kosten die nicht umlegbar sind? Scheinbar nicht. Weltfremdes Volk…..
Hallo Ich,
vielen Dank für deinen Kommentar. Du fragst:
„Hat der Mieterverein überhaupt eine Ahnung wieviel Arbeit im Verwalten und Erhalten einer Immobilie stecken und auch wieviel Kosten die nicht umlegbar sind?“
Das kann ich im konkreten Fall des ‚Berliner Mietervereins‘ nicht einschätzen, weiß aber aus eigener Erfahrung, dass sich die meisten Mieterorganisationen schon intensiv mit den ökonomischen Grundlagen der Wohnungsversorgung beschäftigen.
Die von dir angeführten Kosten für Sanieren, Verwalten und Erhalten in allen Ehren – aber dieses Argument kann eben nicht erklären, warum am Kollwitzplatz die Preise doppelt so hoch sind, wie für vergleichbar ausgestattete Wohnungen im Wedding oder in Moabit, oder warum die Mieten bei Neuvermietungen oft drastisch angehoben werden. Offensichtlich geht es vielen Eigentümer/Investor/innen doch nicht nur um die zweckfreie Gewährleistung von Wohnungsangeboten, sondern um ökonomische Gewinne. Das ist in kapitalistisch organisierten Gesellschaften auch kein Wunder, gibt uns jedoch eine Erklärung für die ständigen Klagen über steigend Ausgaben und schamlose Mieterforderungen. Klappern gehört eben zum Geschäft.
Der von dir aufgegriffene Konflikt zwischen den Verwertungsinteressen der Eigentümer/Inverstor/innen und den Gebrauchswertorientierungen der meisten Mieter/innen (gut und preiswert wohnen), zeigt sehr deutlich, dass eine soziale Wohnungsversorgung in einer marktförmigen Struktur nicht zu gewährleisten ist. Das dich nervende ‚fordern, fordern, fordern‘ wird die Stadtentwicklung so lange begleiten, bis der zugrundeliegende Widerspruch gelöst wird. Und soweit sind wir (leider) noch lange nicht…
Hallo ah,
danke für deine Antwort. Die zeigt auch schon sehr deutlich wodrauf es ankommt GUT und PREISWERT zu wohnen wie du schreibst. Vorab noch einmal etwas was man meiner Meinung nach klar differenzieren muss:
1. Vermieter die an einer guten Gebäudesubstanz bei fairen (das ist wieder individuelle Sichtweise) Mietpreisen interessiert sind. Hier sind nicht mehr als 4-5% Rendite aus dem Haus realistisch, alles andere geht zu lasten der Gebäudesubstanz.
2. Geier-Vermieter die 5-9% Rendite wollen, zu Lasten der Gebäudesubstanz und/oder der Mieter. Das ist verwerflich, da sind wir einer Meinung.
Vermieter sind ja sowieso nur „reiche Säcke“. Wenn wir uns aber einmal Pos. 1 anschauen bedeutet dies: von meiner Rendite muss ich noch die Inflation abziehen, bleiben also 2-3% wirklicher Reingewinn. Bei einem Haus mit einem Wert von 1 Mio sind das dann 30T€/p.a. bzw. 2.500€/Monat, Cash Kralle für mich, Steuern, Instandhaltung etc. schon abgezogen. Das ist nicht viel, denn dafür mussten ich und meine Vorfahren (wenn Haus schon länger in Famielienbesitz) lange für arbeiten und wir sind mit Sicherheit weitaus seltener in den Urlaub gefahren. Außerden hab ich für laufende Instandhaltung etc. vielen Menschen (Handwerkern) Arbeit verschafft. Wenn das Haus natürlich abbezahlt ist kann man „die Ernte einfahren“ aber superreich werde ich damit weiss Gott nicht. Aber es geht mir sehr gut, keine Frage.
Nun zu dem Punkt der mich „nervt“: gut und preiswert! Hier sieht man wunderschön das alimentierte, dekadente Versorgungsdenken in unserer Gesellschaft, nämlich dass ich viel verlangen kann, jemand anders bezahlt ja dafür wenn ich zu arm bin. Nur so läuft es zum Glück nicht im Leben. Auch ich finde es wichtig, dass jeder sein Dach über dem Kopf hat. Aber keiner kann verlangen, dass dies ein auf modernen Sozialbaustandard sanierter Altbau im Innenstadtbereich ist. Dazu ist die Gesellschaft wirklich nicht verpflichtet. Die Wohnung kann auch in Marzahn, Plattenbau sein. Niemand hat Anspruch auf „seinen“ Kietz etc. Halt nur ein Dach über dem Kopf und das ist es dann auch. Nicht mehr, nicht weniger. Wenn nun viele Leute in den Innenstadtbereich drängen, kann die „Auslese“ nur über das Geld erfolgen, es sei denn ich als Vermieter wähle explizit den Weg hier entgegenzuwirken. So altruistisch ist der Mensch aber in den seltensten Fällen. Und auch die die mal wenig Geld hatten und dann zu Geld gekommen sind „kippen“ sehr schnell um. Wenn ich die Chance habe eine höhere Miete einzufahren bei einem gesunden Risiko (Mietausfall oder Leerstand wg. zu hoher Mietforderung) Nutzenverhältnis werde ich dieses als vermieter natürlich ausnutzen. Ich bin nicht Jesus und denke deshalb in erster Linie an meine Familie. Ja, shame on me, ist aber so und ich denke das gilt für den grössten teil unserer Gesellschaft.
Da der Staat sowieso „pleite“ ist werden viele noch den heutigen Zeiten in der Zukunft nachweinen, als eine Zeit in den es den meisten Menschen gut ging. Das wird immer schlimmer werden. Was mich mal interessiert (darüber hab ich im Internet nichts gefunden): Wie hoch war den die Haushaltsbelastung durch Miete in der Zeit von 1800-heute. Ich würde gerne mal wissen, ob hier eine Steigerung oder ein Sinken zu beobachten ist, oder ob es %ual eine gleich hohe Belastung geblieben ist. Hast du da eine Info drüber?
Außerdem wäre ich dir dankbar, wenn du einmal skizzieren könntest wie der „zugrundeliegende Widerspruch gelöst“ werden soll. Du musst ja Ideen haben wie man den Gordenschen Knoten aufschlagen sollte. Über diese Ideen wüsste ich gerne mehr und würde gerne darüber diskutieren.
Beste Grüsse!
Hallo Ich,
erst einmal vielen Dank für deinen ausführlichen Kommentar und die spannenden Anregungen.
Deine Unterteilung der unterschiedlichen Gewinnorientierungen verschiedener Eigentümer/innen kann ich gut nachvollziehen – nicht umsonst galten 4 Prozent Rendite lange Zeit als Grenzwert für die Gemeinnützigkeit. Ein zentrales Argument für einen Mindestgewinn durch die Vermietung war immer, dass die im Wohnungsbau eingesetzten (Geld)Mittel mindestens so gut verzinst sein sollten wie durchschnittliche Bankzinsen (weil es ansonsten rationaler wäre, sein Geld zur Sparkasse zu bringen). Die ökonomische Rationalität dieser Eigentümer/innen kann als eine Rentenorientierung beschrieben werden. Rente verstanden als langfristig/dauerhafter und angemessener Abschlag für die Nutzungsüberlassung eines Grundstück oder Hauses. Im Vergleich dazu verfolgen die von dir als „Geier-Vermieter“ Bezeichneten einer Renditestrategie, die Wohnungsbau/Verwaltung als Investitionen ansehen, die sich möglichst schnell amortisieren soll. Gerade die oft kurzfristigen Renditeziele stehen den langen Bewirtschaftungszyklen der Wohnungswirtschaft entgegen und schlagen sich oft in der Vernachlässigung der Bausubstanz nieder. Hier kann ich dir nur Recht geben: Eigentümerstrategien sind differenziert zu betrachten und nicht über einen Kamm zu scheren.
Doch zurück, zu dem dich ’nervenden‘ gut und preiswert Wohnen: Zum einen reflektiert diese von mir behauptete Mietereinstellung die Rationalitäten von Marktbeziehungen. Auch auf anderen Märkten orientieren sich die meisten Kunden an einem für sie günstigen Preis-Leistungs-Verhältnis. Anders als bei vielen anderen Konsumgütern, können sich die meisten Menschen jedoch nicht aussuchen, ob sie Wohnen wollen oder lieber nicht. Nicht umsonst gibt es deshalb seit langem die auch international verbreitete Forderung nach einem ‚Recht auf Wohnen‘ (als Teil der UN-Menschenrechtscharta). Das bezieht sich in erster Linie auf einen grundsätzlichen Zugang zur Wohnungsverssorgung, kann aber eben auch als ein qualitativer Anspruch angesehen werden. Wenn sich beispielsweis deutsche Gerichte bei Klagen gegen Modernisierungsankündigungen auf einen „ortsüblichen und zeitgemäßen Standard“ berufen um die Vermieterinteressen durchzusetzen, dann sollte dieser „Standard“ aber bitte schön auch für alle gelten. Insofern geht es also um mehr als ein „Dach über dem Kopf“, sondern um das Recht, in einer zeitgemäßen Wohnung zu leben.
Dein Argument ist – wenn ich es richtig verstanden habe – gute Wohnungen sollten schon alle bekommen, aber eben nicht überall. Hier kommen wieder die Lageunterschiede bei der Mietpreisbildung ins Spiel – leider hast du ja , nicht auf meine Frrage geantwortet, warum sich die Preise am Kollwitzplatz von denen im Wedding unterscheiden, selbst wenn die Ausstattung und Bauqualität ähnlich sind. Hier – so finde ich jedenfalls – greift deine Kostenargumentation nicht mehr, denn eine Altbausanierung oder ein Neubau unterscheiden sich in den Kosten ja nicht, nur weil die Arbeiten an verschiedenen Orten durchgeführt werden. Insofern stellt sich die Frage, warum Mieter für so etwas fiktives wie eine „gute Lage“ einen so erheblichen Aufpreis zahlen sollen. Oder anders gefragt, was rechtfertigt eine solch höhere Mietforderung. Wenn es nicht die Baukosten sind und wir die Aspekte von individueller Gier mal ausschließen, dann stehen die Miethöhen offensichtlich in einem zentralen Zusammenhang zu den Grundstückskosten/Bodenpreise. Weil ein Grundstück in Prenzlauer Berg teurer ist als im Wedding, werden dort auch höhere Mieten realisiert. Wir könnten also die marktförmige Organisation der Wohnungsversorgung als einen zentralen Grund für räumliche Differenzierungen und steigende Preise ansehen. In meinem ersten Kommentar hatte ich diesen Zusammenhang als „zugrundelegenden Widerspruch“ bezeichnet. Die mit den Bodenmärkten verschränkten Verwertungsinteressen (oder -zwänge, wie du es beschreibst) stehen den Interessen der Nutzer/innen entgegen, die in einer gut ausgestatteten Wohnung leben wollen ohne dafür immer höhere Preise zu zahlen. Noch so eine Merkwürdigkeit der Immobilienwirtschaft: die Mieten steigen mit der Gebrauchszeit – obwohl ja die Nutzungsqualitäten im Laufe der Jahre nicht besser wird. Eigentümer – und das hast du in deiner Rechnung unterschlagen – können ja 2 Prozent des Gebäudewertes jährlich abschreiben, weil steuerrechtlich von einem Substanzverlust ausgegangen wird. Die Mieten steigen trotzdem. Soweit ich es verstanden habe, ist die Wohnungswirtschaft also deutlich komplexer als eine einfache Kostenrechnung der laufenden Ausgaben für Errichtung/Erhalt/Verwaltung – insofern ist auch die Forderung nach preiswerten und zugleich guten Wohnungen nicht als Alimentierung und den Eigentümern-auf-der-Tasche-liegen-Wollen zu beschrieben.
Soziale Wohnungsversorgungssysteme sollten daher soweit wie möglich von den Marktlogiken der Gewinnerwirtschaftung und der Bodenmärkte entkoppelt sein. Das steht einer kostendeckenden Bewirtschaftung nicht entgegen. Dies kann durch staatliche Regulationen (z.B. Einfrieren oder Festlegen des Bodenwertes), direkt über öffentliches/gesellschaftliches Eigentum oder durch kollektive Aneignungsprozesse (wie etwa in den informellen Siedlungen vieler Drittweltmetropolen) erfolgen. Ein Patentrezept kann ich dir hier nicht präsentieren, aber die Richtung sollte in etwa deutlich geworden sein. Die Durchsetzung von Marktferne könnte dabei als Kriterium für eine soziale Wohnungspolitik gelten – wie gesagt, die aktuellen politischen Trends weisen eher in die entgegengesetzte Richtung.
Die Frage nach der historischen Entwicklung der Wohnkostenbelastung privater Haushalte ist gut und auch für mich nicht auf der Stelle zu beantworten. Für die Zeit nach 1945 kann jedoch ein kontinuierlicher Anstieg der Wohnausgaben an den Haushaltseinkommen festgestellt werden. So galt es aus der Perspektive von Mieterorganisationen in den 1960er/70er Jahren praktisch als sittenwidrig, mehr als 25 Prozent der Einkommen für die Miete auszugeben. Insbesondere für ökonomisch benachteiligte Haushalte von heute sind 40 Prozent keine Seltenheit. Wenn ich da genauere Zahlen finden sollte, werde ich sie hier auch veröffentlichen – vielleicht haben ja auch noch andere Ideen, wie so eine chronologische Entwicklung der Mietbelastungsquoten dargestellt werden kann.
Soweit erstmal…
Hallo Ich,
noch ein kleiner Nachtrag zu deiner Berechnung:
Du schreibst: „Bei einem Haus mit einem Wert von 1 Mio sind das dann 30T€/p.a. bzw. 2.500€/Monat, Cash Kralle für mich, Steuern, Instandhaltung etc. schon abgezogen.“
Das ist ja eine ziemlich fiktive Situation, denn die meisten Wohnungsbauprojekte werden ja über Bankkredite finanziert. Dann müsstest du aber ehrlicherweise für die Renditeberechnung das Eigenkapital zur Basis nehmen. Bei dem von dir angenommenen Wert von 1 Mio. € liegt das in der Regel nicht höher als 20 Prozent, also bei 200.000 €. Die Zinsen und Tilgung bezahlt ja der Eigentümer dann nicht aus eigener Tasche, sondern über die Mieteinnahmen. Das „Cash auf die Kralle“ liegt dann aber nur noch bei 6.000 € im Jahr bzw. 500 € im Monat, wenn wir von 3 Prozent Eigenkapitalverzinsung ausgehen wollen. Das dürfte bei den aktuellen Mietpreise sicher möglich sein. Die von dir vorgeschlagenen Renditerechnung klingt nach doppelte Kasse. Erst sollen die Mieter ‚deine‘ Zinsen bei der Bank zahlen, und dann auch noch für den Gesamtwert eine Rendite finanzieren.
In Modellberechnungen für „revolvierende Fonds“ wird dieses Problem versucht zu lösen. Idee dabei ist der Aufbaue eines öffentlich finanzierten oder wie auch immer organisierten Grundstocks an Wohnungen die für Mieten knapp über den Erstellungs/Verwaltungskosten angeboten werden. Die Überschüsse fließen in einen gemeinsamen Fonds und werden für die Erweiterung des Bestandes aktiviert. Im Idealfall entstehen so Wohnungsversorgungssysteme ohne oder mit nur geringer Bankenfinanzierung. Langfristig eröffnet sich damit die Perspektive für dauerhaft preiswerte Wohnungsangebote. Schwierigkeit dabei ist wie so oft der erste Schritt – insbesondere die öffentliche Hand scheut sich davor, die Grundfinanzierung für solche Projekte freizustellen und setzt lieber weiter auf kapitalmarktfinanzierende Förderprogramme (wie etwa den Soziale Wohnungsbau).
Huhu ah,
Danke für deine Antworten. Das Recht auf Wohnen habe ich auch nie bestritten, mir geht es um das wo. Und ich bin mir durchaus aus den daraus resultierenden Problemen bewusst (Segration in arme und reiche Stadtteile). Ich ziehe das Ganze (bevor ich auf deine weiteren Anregungen angehe) mal etwas überspizt auf:
Der bestehende gesellschaftliche Konsenz ärmere Bevölkerungsschichten zu allimentieren resultiert nur zu einem kleinen Teil aus einer altruistischen Sichtweise sondern vielmehr aus Angst. Die „Besitzenden“ sind sich sehr wohl bewusst, dass sie einen Teil ihres Geldes abgeben müssen, sonst würden sie alles verlieren (Revolution, hatten wir in Europa ja schon so einige). Deshalb „kauft“ man das Präkariat und stellt es mit einem gewissen pecuniären Grundstock ruhig. Sackt diese Grundversorgung unter einen bestimmten Schwellenwert, wird das Revolutionspotential größer und alle Mitbürger von der Mittelschicht angefangen sind in der Gefahr ihren Besitz zu verlieren. Gleichzeitig kann der Staat aber nur ein gewisses Quantum an Sozialleistungen an das Präkariat hergeben, da sonst alle Leistungsträger in Schaaren das Land verlassen würden und -schwupps- hätten wir die DDR 2.0 mit allen ihren bekannten Problemen. Das ist für mich die Ausgangslage, an der ich anfange eine Kosten-Risikobetrachtung anzustellen.
Zur Zeit überwiegt das Ruhigstellungspotential, also kann weiterhinn in der gewohnten kapitalistischen Art die Immobielenwirtschaft weiter betrieben werden.
Die Frage (Kollwitzplatz vs. Wedding) warum Mieter für eine gute Lage einen so erheblichen Aufpreis zahlen sollen ist meiner Meinung nach falsch gestellt. Wenn du sollen mit wollen ersetzt wird ein Schuh draus. Die Leute suchen sich das Vietel in dem sie leben wollen, solange für sie das Preis-Leistungsverhältnis stimmt. Und da gibt es scheinbar genung auch in Berlin die sich den Kollwitzplatz noch leisten wollen. Ist auch angenehm, schöne Altbauten (saniert) reihum zu haben, wenig Harv IVler, viele Spielplätze etc. Die Gruppenbildung hatte der Mensch schon immer und so sammelt sich hier halt die Mittelschicht. Doch warum sollen jetzt unbedingt die Schwachen geschützt und erhalten werden? Und warum hat deren Wunsch dort zu bleiben einen höheren Stellenwert als der eines zuzugswilligen Mittelstandsangehörigen? Da sind beide Wünsche gleichwertig, jedoch kann nur einer zum Zuge kommen und so gibt es wie überall im Leben Gewinner und Verlierer. Ist so, war so, bleibt so. Auch die Mittelschicht hat ihre Bedürfnisse und setzt diese halt mittels Geld durch. So war der Mensch schon immer. Insofern ist das nur eine Fortführung von Verhaltensweisen die schon im Mittelalter existierten. Diese Abgrenzungstendenzen fasst Elias sehr schön in seinem „Vorrücken der Peinlichkeitsschwelle“ zusammen. Die Mittelschicht will halt ungern im „Proleten-Ghetto“ wohnen.
Du sagst die Verwertungsinteressen stehen den Interessen der Nutzer entgegen. Und hier würde ich sagen: einem TEIL der Nutzer, nämlich den „armen“. Aber ein Grossteil der Nutzer profitiert auch davon, das ist die Mittelschicht. Die darf man ob seiner gutmenschlichen Betrachtungsweise mit Focussierung auf die Prekären leider auch nicht außer Acht lassen. Die gibts auch und stellen heutzutagen noch die Mehrheit. Hiezu gehören auch die privaten Immobilienbesitzer.
Die Immobilie ist ein sehr langlebiges Gut, deshalb steigt die Miete mit der Gebrauchszeit, anders als ein Flachbild-TV der immer billiger wird. Das ist der Inflation geschuldet, solange sich hier auf dem Markt eine Kompensation ergeben kann, wird diese natürlich genutzt.
Deine von dir genannten sozielen Wohnungssystem müssen wir alle bezahlen. Wie weit soll dies gehen, damit sind wir wieder bei dem eingangs erwähnten Revolutionspotential. Wir haben leider nicht genug Geld auch noch für alle die bestehenden Immobilien zu unterhalten, wir brauchen Kapital von Außen, von den bösen, bösen Kapitalisten. Und ohne durch den Druck dieses Systems wäre der ganze Staat pleite und wir hätten binnen kürzester Zeit die Situation wie in der sterbenden DDR. Zum Glück stehen Aneignungsprozesse wie in der Dritten Welt bei uns nicht an, denn ohne den Schutz des Eigentums würde alles verfallen und wir könnten in Ruinen leben.
Bei meiner „Einfachstberechnung“ bin ich von einem schuldenfreien MFH ausgegangen. Wir können gerne über steuerliche Abschreibungsmethoden und Amortisationsmodelle diskutieren, das sprengt aber die Kommentarfunktion 😉
Wieviel zusätzliche % deines Gehaltes bist du denn noch bereit für soziale Alimentierungen herzugeben? Für mich ist das Ende der Fahnenstange erreicht. Ich will für meine Leistung auch einen adäquaten Gegenwert erhalten und da befinden wir uns eigendlich schon über der Schmerzgrenze…..
Und warum nicht einfach weiter verschulden? Deshalb:
„Verschuldung ist nichts weiter als vorgezogener Konsum, der in der Zukunft ausfällt.“ (Schacht, Reichsbankpräsident)
Hallo AH,
„[…]Erst sollen die Mieter ‘deine’ Zinsen bei der Bank zahlen, und dann auch noch für den Gesamtwert eine Rendite finanzieren.
In Modellberechnungen für „revolvierende Fonds“ wird dieses Problem versucht zu lösen.[…]“
Abgesehen davon, dass ‚ich‘ seltsamerweise die Kapitalkosten eben nicht berücksichtigt hat führst Du mit dem Fondsmodell eben diese Problematik an.
Bei einer Immobile im Privatbesitz muss der Mieter neben einer Rendite für den Besitzer die Zinsen für die Bank mittragen. In dem Fondmodell wird Rendite für den Besitzer mit den Gehältern des Fondsmanagments ersetzt und anstatt der Zinsen an die Bank wird ein Obolus für die Fondskasse abgeführt, der witzigerweise auch ‚Zins‘ heisst und ist. So gesehen besteht hier kein struktureller Unterschied und die geringfügig niedrigeren Zinssätze der öffentlichen Fonds werden durch die erheblich höheren Baukosten aufgehoben.
Die Grundfrage, die Du allerdings auch nicht beantwortet hast ist, warum irgendjemand das Recht haben soll an einem bestimmten Ort zu wohnen und dies von der Allgemeinheit bezahlen zu lassen. Das Recht auf Wohnen beinhaltet nicht das Recht auf eine bestimmte Wohnung. Das Prinzip das im Theater den Preisunterschied der Sitzplätze rechtfertigt gilt auch auf dem Wohnungsmarkt. Wer in der ersten Reihe sitzen will darf ruhig etwas mehr zahlen.
Ich habe nichts gegen Aktivitäten der Öffentlichen Hand im Wohnungsmarkt – aber wenn ich als Steuerzahler mir selber den Wunsch nach einer Wohnung in Top-Lage versage um Geld zu sparen, dann möchte ich nicht, dass meine hart erarbeiteten Steuern für die Allimentierung von Top-Lage Wohnungen für die nimmersatte Klasse verschwendet wird.
Auch das ist soziale Gerechtigkeit.
viele Grüße,
Andreas
Hallo Andreas,
vielen Dank für deinen Kommentar. Die Idee von ‚revolvierenden Fonds‘ haben eigentlich nicht mit den klassischen Investmentfonds, von denen du schreibt. Das Modell ist eher als Form öffentlichen/gesellschaftlichen Eigentums angelegt und wir oft als Variante von Förderprogrammen diskutuiert:
z.B.: Leßmann, Christian / Ragnitz, Joachim / Schirwitz, Beate / Thum, Marcel 2008:
Revolvierende Fonds als Instrument zur Neuausrichtung der Förderpolitik
Ganz grundsätzlich bezeichnet ein revolvierender Fonds Ist ein Vermögensbestand, dessen Ressourcen aufgefüllt werden durch die Erlöse aus damit finanzierten Projekten. In meinem Beispiel also durch die Zusatzerlöse aus Mieteinnahmen.
Beste Grüße,
Andrej Holm
Hallo ah,
…bleibt noch die Beantwortung der weiteren offenen Fragen….da interessiert mich die Begründung brennend.
Zu diesem Thema braucht man gar nicht so viel diskutieren:
Berlin macht sich selbst zum Affen. Hintergrund all der Mietdiskussionen ist, dass Berlin einfach nicht von der Mietensubventionierung der Vorwendezeit lassen will. Nicht im Osten und nicht im Westen. Anstatt anständige Arbeit zu leiten und dafür ein anständiges Gehalt zu fordern, lebt ein Teil der Bevölkerung recht entspannt auf ‚Staatsknete‘ und dazu zähle ich ich die „Schweinemiete“ früherer Jahre.
Wenn die Stadt Investionen haben und vorwärtskommen will, muss sie üer einen Zeitraum auch höhere Mieten akzeptieren. Bei Wohnraumentstehungskosten von gegenwärtig rund 2500 € /qm und einer Miete von 8 € pro qm/Mo. hat man eine Rendite von gerade mal 3,84 %, Verwalterkosten usw. nicht mitgerechnet. Wer will da investieren?
Das Geld fließt dann in andere Städte, schafft dort Arbeitsplätze und Einkommen und Berlin bleibt auf dem Trockenen, also auf staatliche Trasferleistung sitzen, entspannt vor der Glotze mit 5 Bier und 2 Pack Zigaretten. Tolle Hauptstadt! Tolle Perspektive!
Hallo Hauptstädter,
sehe ich genauso. Trotzdem vermisse ich von ah immer noch die „moralische“ Begründung gegen die Gentrifizierung was die Verdrängung des Prekariats aus dem Innenstadtbereich anbelangt. Man kann eine Gesellschaft nicht nur an den „schwächsten Gliedern“ der Kette messen. Wenn in Berlin nicht massiv der Mittelstand unterstützt wird, sondern das abmelken dieser Gruppe immer weiter geht wird auch die Verarmung immer weiter zunehmen. Auch das Zitat des Mieterverein-Onkels im Artikel „Wddinger Mieten auf Zehlendorfer Niveau“ in diesem Blog, dass man einem Wohnungssuchenden aus Zehlendorf nicht den Leerstand in Marzahn vorhalten kann zeigt dieses weit verbreitete Anspruchsdenken. Doch man kann dies tun! Die Gesellschaft (Steuerzahler) geben nur ein Dach über dem Kopf, wo in der Stadt ist egal. Wenn man sein Leben von der Gesellschaft allimentiert bekommt muss man in den sauren Apfel beissen und auch weiter weg ziehen. Wer und wie soll das denn bitte sonst bezahlen?
Hallo AH,
Zitat : „Die Idee von ‘revolvierenden Fonds’ haben eigentlich nicht mit den klassischen Investmentfonds, von denen du schreibt. Das Modell ist eher als Form öffentlichen/gesellschaftlichen Eigentums angelegt und wir oft als Variante von Förderprogrammen diskutuiert:
Eigentlich kenne ich die Möglichkeiten der Projektfinanzierung von anderer Perspektive her, aber gut. Erlaube mir, Dich mit Deiner eigenen Quelle zu widerlegen:
1. ein revolvierender Fond schafft keineswegs Projekte in öffentlichen Eigentum sondern dient als Finanzierungsmodell für Projekte in privater Trägerschaft. Das steht auch in Deiner Quelle nicht anders [siehe Seite s. 14 Kap „intertemporale Optimierung…“]
2. es werden sehr wohl Zinsen eingefordert die vom Träger (und bei Mietwohnungen letztlich vom Mieter) zu entrichten sind. [siehe s. 13 Abb 3. schematische Darstellung der Funktionsweise]. Die Subventionierung erfolgt lediglich über einen gesenkten Zinssatz [siehe s. 15 Beispielrechnung im Kap „Subventionswerte bei Zuschüssen und Darlehen“ sowie s. 16, Tabelle 1].
Dass Du nun Zinsforderungen als „Zusatzerlöse aus Mieteinnahmen“ nennst ist erinnert mich ein wenig an dass was die FDP „Arbeitsanzeize“ nennt 😉 Man kann alles so schön umschreiben.
3. Das Modell der Subventionierung via zinsverbilligter Kredite ist kein Novum. Die KfW arbeitet schon seit Jahren damit und kennt auch alle unschönen Mitnahmeeffekte. Die Schaffung der rev. Fonds dient mehr der Abfederung der zu erwartenden Probleme beim Auslaufen der EU-Strukturmittel für Ostdeutschland im Jahre 2013. [Deine Quelle reisst dieses Thema auch kurz auf s. 11-13 an]. Den, schon fas als subventionssüchtigen zu bezeichnenden, ostdeutschen Ländern steht da ansonsten der kalte Entzug bevor.
Es mag sein, dass Du hoffst, mittels der Vertragsbedingungen für die Kreditvergabe eine Mietpreisdeckelung erreichen zu können, aber das wird wohl kaum mit den anzunehmendem Zinsrabatt von 1-2 % erreichbar sein. Die KfW hat bei vergleichbaren Absichten schon (schlechte) Erfahrungen gemacht.
Um also nochmal auf Dein Posting vom 4.9. zurückzukommen:
„(…) Im Idealfall entstehen so Wohnungsversorgungssysteme ohne oder mit nur geringer Bankenfinanzierung. Langfristig eröffnet sich damit die Perspektive für dauerhaft preiswerte Wohnungsangebote. (…) die öffentliche Hand scheut sich davor, die Grundfinanzierung für solche Projekte freizustellen(…)“
Kann es sein, dass Du eigentlich etwas ganz anderes meintest? Der Fonds so wie er beschrieben wird handelt wie eine Bank (incl Bonitätsprüfung und Zinsen) und würde bei analoger Gestaltung zu KfW ebenfalls in Kooperation mit den privaten Banken agieren. Ferner bedarf es keiner zusätzlichen Mittelfreistellung, da die beschrieben Situation sich auf bereits festgelegte Mittel bezieht.
Wenn Du aber, wie ich vermute, eher auf eine wirksame Methode der Steuerung der soziodemographischen Zusammensetzung von Wohnlagen hinaus willst, dann empfehle ich Dir einen Blick auf die direkten Fördermittel und -möglichkeiten. Das Projekt der sog. ‚Mehrgenerationshäuser‘ (ESF + BM Famile) hat beispielsweise mit direkten Zuschussförderung sehr überzeugende Ergebnisse geliefert. Die direkten Mittel scheinen doch geeigneter zu sein, wenn direkte Ergebnisse erzielt werden sollen.
viele Grüße,
Andreas
Hallo Hauptstädter, hallo Ich,
ich werde mal versuchen auf eure Positionen einzugehen.
@ Hauptstädter: Wenn ich deinen Kommentar richtig verstanden habe, argumentierst du mit einem einem Zusammenhang zwischen dem lokalen Mietniveau und den Investitionen in einer Stadt. Das mag für den Bereich des Wohnungsbaus so gelten, ist aber bezogen auf die gesamte städtische Ökonomie zu kurz gedacht. Aus der Perspektive von vielen anderen Branchen (auch und gerade für mittelständische Unternehmen) können preiswerte Mieten und geringe Lebenserhaltungskosten ein Argument für Investitionen darstellen. Denn verglichen mit anderen Städten sind eben auch die Gehälter und Löhne in Berlin geringer. Ich will jetzt nicht für eine solche Lohndrückerei sprechen, sondern nur zeigen, dass Mietsteigerungen für sich genommen kein geeignetes Instrument für ökonomisches Wachstum in einer Region sind. Eher umgekehrt wird ein Schuh daraus: wenn sich wirtschaftliche Situationen in Städten konsolidieren und höhere Löhne gezahlt werden können, dann sind oft auch Mietsteigerungen zu verkraften – jedenfalls von denen, die Einkommen erzielen. Dass dieser Zusammenhang nicht nur von mir so gesehen wird, zeigt zum Beispiel die sehr zynische Begründung der Hartz IV Festlegungen für eine Begrenzung der Unterkunftskosten in Hamburg. Dort werden die geringen Höchstsätze damit begründet, dass höhere Mieten eine Reintegration in den Arbeitsmarkt erschweren würden. Ergo: wer hohe Mieten zahlen muss, kann nicht für Billiglöhne malochen. Insofern können eben auch preiswerte Mieten ein Standortvorteil sein.
@ Ich: Ich bin mir gar nicht sicher, ob es um ‚moralische‘ Begründungen gehen kann, wenn Argumente gegen Gentrification und Verdrängung formuliert werden. Die Argumente für eine sozial ausgeglichene Stadtentwicklung sind ja durchaus vielfältig. Ein paar möchte ich hier kurz anreißen:
1) Vermeidung von Folgekosten der Segregation: Jährlich werden (nicht nur hierzulande) Millionen Euro aus öffentlichen Kassen dafür ausgegeben, die Effekte der sozialen Spaltung in den Städten zu dämpfen und die Ausbreitung ’sozialer Brennpunkte‘ zu verhindern. Die EU sieht in dem Verlust der sozialen Kohäsion in den Städten sogar die zentrale Herausforderung europäischer Stadtpolitiken. Mein Argument hier wäre: diese Ressourcen wären sinnvoller und nachhaltiger angelegt, wenn sie zur Vermeidung städtischer Spaltungen und nicht zur Milderung der Spaltungseffekte ausgegeben würden.
2.) Recht auf Stadt: Kern dieser Argumentation ist die Überlegung, dass Städte mehr sind, als die Summen der privat (oder auch öffentlich) errichteten Häuser: Infrastrukturen, Parkanlagen, Kulturangenbote, Bildungseinrichtungen, Nachbarschaftsqualitäten etc. Diese Qualitäten der Stadt werden gemeinhin als öffentlich wahrgenommen (insofern sie nicht in gated communities oder Privatstraßen eingeschlossen sind). Das Problem ist, diese Qualitäten von Stadt sind nicht gleichmäßig im Stadtraum verteilt und wie der ‚Zufall‘ (Markt) es so will, sind die städtischen Qualitäten in den Quartieren der Besserverdienden meist höher als in anderen Teilen der Stadt. Werden diese Aspekte des Städtischen als öffentliche Güter verstanden, muss auch der Zugang zu ihnen ein allgemeiner sein. Der französische Philosoph Henri Lefebvre leitete aus diesen Überlegungen ein „Recht auf Stadt“ (im Sinne eines Rechts auf Nichtausschluss von den städtischen Qualitäten) ab. Die primäre Aneignung erfolgt dabei in Wohnortnähe, also müsste das Recht auf Mitnutzung konsequenterweise auch das Recht auf Ansiedlung umfassen. Es gibt ja eigentlich auch keinen Grund warum ausgerechnet private Hauseigentümer mit ihren höheren Mieteinnahmen von gut gepflegten öffentlichen Parkanlagen und Infrastrukturen profitieren sollten.
3.) Soziale Ressourcen: Ein dritte Argumentation gegen Gentrification wendet sich vor allem gegen die damit verbunden Verdrängungstendenzen. Dabei geht es also weniger um die Einforderung, dass Hartz IV jetzt nach Zehlendorf ziehen soll, sondern vor allem darum, dass ärmere Haushalte dort wohnen bleiben können, wo sie leben (wenn sie denn wollen). Zumal sich ja im Zuge der Aufwertung von Vierteln die Wohnqualität verbessert und es einfach zynisch wäre, zu sagen, ausgerechnet die ökonomisch Benachteiligten sollten von diesen Verbesserungen ausgeschlossen werden. Wesentliches Argument gegen Verdrängung ist jedoch oft der drohende Verlust von sozialen Netzwerken, die für ökonomisch benachteiligte Haushalte oftmals im Nahumfeld der Wohnung verortet werden können. Anders als ökonomisch Bessergestellte können die Annehmlichkeiten des Lebens meist nicht mit Tauschwerten (Geld) bezahlt werden, sondern erfolgen in aufwendigen Schritten der aktiven Aneignung. Damit sind jetzt weniger Formen der Kleinkriminalität gemeint, sondern z.B. Praktiken der gegenseitigen Hilfe, die oftmals in der Nachbarschaft organisiert werden. Mit der Verdrängung aus einem Aufwertungsgebiet werden solche Netzwerke der gegenseitigen Hilfe in der Regel zerstört. Hier greift dann wieder das Argument 1. mit den Folgekosten.
4.) Verfassungstreue: Der Artikel 11 des Grundgesetzes zählt die freie Wahl des Wohnsitzes zu den Grundrechten, die in der Bundesrepublik gewährt werden. Richtigerweise ist das kein ‚recht auf Wohnen‘ mit einer Festsetzung eines Mindeststandrads der angemessenen Wohnungsversorgung, aber immerhin, die freie Wahl des Wohnsitzes formuliert zumindest den Ausschluss von Exklusionsräumen.
Du kannst dir von den Argumenten diejenigen rausgreifen, die dir am stärksten einleuchten. Umstritten wird der Topos bleiben, solange die Durchsetzung einer sozialen Stadtentwicklung den Verwertungsinteressen privater Eigentümer abgetrotzt werden muss. Da stehen sich immer Allgemeinwohlinteressen und Einzelinteressen gegenüber. Und leider viel zu selten wird dabei auf einen andere Artikel im Grundgesetz Bezug genommen:
„Art. 14 (2) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“
Wir könnten uns jetzt sicher weiter darüber auseinandersetzen, ob eine soziale Stadtentwicklung dem „Wohle der Allgemeinheit“ dient oder nur die von euch beschriebenen Allimentierung eines abgehängten Prekariats umfasst. Langfristig glaube ich jedoch, dass alle (vielleicht bis auf die betroffenen Hauseigentümer/innen) etwas davon hätten, wenn es in den Städten gerechter zuginge.
Hallo Andreas,
vielen Dank für deine ausführlichen Überlegungen zu den ‚revolvierenden Fonds‘. Du hast Recht: die von mir angegebene Quelle ist tatsächlich eher irreführend, weil sie die Praxis der Fonds an Kredidaufnahmen und Zinszahlungen koppelt.
Hier (http://www.cesifo-group.de/link/ifodb_2008_2_11_18.pdf) gibt es auf Seite 13 eine gute schematische Übersicht, wie revolvierende Fonds von anderen Förderprinzipien unterschieden werden können. Bei entsprechend großer Grundausstattung des Fonds ist die Arbeitsweise auch völlig ohne die Zwischen Finanzierung bei Banken denkbar.
Letzlich geht es mir aber nicht darum dieses Prinzip als weiteres Förderinstrument vorzuschlagen (da sind direkte Zuschüsse sicherlich effektiver, wie du ja auch schreibst). Vielmehr könnten ‚revolvierende Fonds‘ ein Alternative für die Bewirtschaftung öffentlicher Wohnungsbestände oder für den krisenbedingten Rückkauf von privatisierten Wohnungen von Finanzinvestoren darstellen.
Es gab in Berlin in den 1980er/1990er Jahren einige Diskussionen, die versucht haben unter dem Stichwort „Kommunales Sondervermögen“ Modelle zu entwickeln. Leider kenne ich keine online-zugänglichen Publikationen zu diesen Debatten, die leider ja auch keine politischen Mehrheiten gefunden haben.
Hallo AH,
„Hier (http://www.cesifo-group.de/link/ifodb_2008_2_11_18.pdf)“
ja, genau das Diagramm meinte ich auch. Allerdings zeigt es auch den Zinsdruck den der Fonds gegenüber den Projekten / Mietern erheben muss. Für soziale Auffangnetze ist dieses Konstrukt IMO daher ungeeignet, denn ein Immobilienfond (egal ob in öffentlicher Hand oder privat) muss all seine Investitionen für eine Maximalrendite optimieren.
„für den krisenbedingten Rückkauf von privatisierten Wohnungen“
Das ist ein Fass ohne Boden. Wenn man die Wohnungsbestände der meisten Kommunen anschaut, dann ist da ein erschreckender Sanierungsbedarf (vor der Privatisierung) vorhanden. Mit der aktuellen EnEV im Nacken, lassen sich selbst Massenwohnungen in Typenbauweise selten für unter 1000€/m² auf einen zeitgemäßen Sozialstandard bringen. In den, von Gentrifizierung betroffenen Lagen ist der Baubestand oft denkmalgeschützte Gründerzeithäuser. Hier sind die Sanierungskosten nochmal rund 50% höher. Wie soll man diese Kosten denn ’sozialverträglich‘ von den Mietern einfordern?
Eine sozial gerechte Wohnungspolitik muss eben auch Gerechtigkeit für die Steuerzahler bieten, die das ganze bezahlen und auch Gerechtigkeit für die Bewohner anderer Sozialwohnungen in den Plattenbauburgen am Stadtrand. Was wäre denn, wenn die auch ihr „Recht“ auf Innenstadtwohnungen in historischen Quartieren einfordern?
viele Grüße,
Andreas
Hallo ah,
erst mal Danke für deine Antworten, finde ich gut, dass sich hier eine kleine Diskussion entwickelt und es ist spannend zu sehen wie deine Denkweise ist. Ich fände es gut, wenn du mich mal mit ein paar „Finanzinformationen“ füttern könntest die deine Aussage zu 1) untermauern. Gibt es konkrete Finanzmodelle / Berechnungen (gerne auch im „Mikrokosmosbereich“ einzelner Bezirke) die deine Aussage belegen, dass die stadtübergreifende Vermeidung von Folgekosten der Segration kostengünstiger für den Steuerzahler ist als der punktuelle Finanzaufwand in Problemkiezen? Es wäre sehr hilfreich, wenn hier auch in einer Nebenbetrachtung die privaten Investitionen betrachtet werden, die üblicherweise nur in den „wandernden“ Gentrifizierungsbereichen verstärkt auftreten und sonst vermutlich ausbleiben würden. Ich kann nichts im Netz finden, vielleicht hast du ja Quellen auf die du zurückgreifen kannst.
zu 2) Du hast sicher recht, dass die Qualitäten die öffentlich empfunden werden (sehe ich auch so) ungleich in der Stadt verteilt sind. Aber hier sehe ich jeden „Verdrängten“ in der Pflicht auch längere Wege auf sich zu nehmen. Es kann nicht sein, dass ein vom Steuerzahler allimentierter Einwohner nun auch noch das „Recht auf Stadt hat“ unbedingt nahe an den qualitativ höherwertigen Einrichtungen zu leben. Man muß auch seinen Arsch hochkriegen und ggf. einen gewissen Anfahrtsweg in Kauf nehmen. Da ist mir diese Sichtweise im wahrsten Sinne des Wortes zu „bequem“. Das bin ich nicht bereit mit meinen Steuergeldern zu finanzieren. Und deinem Argument warum „ausgerechnet private Hauseigentümer davon profitieren sollten“ stehe ich auch skeptisch gegenüber. Diese privaten Immobilienbesitzer müssen um einen adäquaten Mietpreis weiterhin erzielen zu können ihr Haus in Schuss halten. Da hängen dann wieder Arbeitsplätze der Handwerker dran, der Hausbesitzer muss höhere Steuern zahlen was der Allgemeinhaeit zu gute kommt, die Mieter sind häufig gegenüber dem Prekariat „ordentlicher“ und stellen einen höheren Anspruch an die Umgebung und sind auch bestrebt diesen zu erhalten etc. Das sind für mich durchaus positive Seiten.
zu 3) In deiner Sichtweise sehe ich auch eine große Gefahr. Das garantierte Wohnrecht in der näheren Umgebung führt meiner Meinung nach zu einem totalen Stillstand. Ohne eine gewisse %uale Verdrängung und damit verbundene „Wanderung“ des Gentrifizierungsgebietes würden die privaten Investitionen einbrechen. Die Häuser würden immer mehr in ihrer Substanz geschädigt werden. Für jeden ist ein Umzug schmerzlich, aber auch hier gilt wieder: mein Leben ist kein Wunschkonzert und ich muss selber etwas dafür tun, dass es mir besser geht. In diesem Fall muss ich am neuen Ort wieder anfangen mein soziales Netzwerk aufzubauen.
zu 4) die freie Wohnungswahl ist schön aber entweder ich selber oder der Steuer-Michel muss es bezahlen und da gilt nun mal das Leistungsprinzip. Kann ich es mir nicht leisten (woher das Geld auch immer kommt) dann kann ich da nicht hinziehen. Ich hätte auch gerne ein nettes Häuschen in Zehlendorf, nur dafür fehlt das nötige Kleingeld. Hab ich halt Pech gehabt, kann ich aber auch mit leben.
Ich sehe in der ganzen Gentrifizierungs-Angst auch immer den Wunsch nach Stillstand, dem bewahren des Status Quo. Das leben ist Veränderung und das hat auch viele positive Seiten. Wagenburgen, alternative Hausprojekte etc. sollen immer am gleichen ort erhalten bleiben und es soll nichts in deren Umgebung verändert werden. Für mich eine fürchterliche Vorstellung. Wir haben zum Glück keine geschützten Biosphärenreservate für solche „Projekte“ und auch deren Bewohner werden lernen müssen: Das Leben ist ein Kampf und das leben ist immer auch Veränderung.
Das ist viel zu viel zum lesen!!!