In der Ausgabe des Hamburger Abendblattes vom 27.11.2009 ist ein bemerkenswerter Gastbeitrag von Willfried Maier (GAL), dem ehemaligen Stadtentwicklungssenator von Hamburg (1997-2001) zu finden: „Das Lebensgesetz moderner Städte schlecht verstanden„.
In seinem Text setzt er sich mit dem Manifest „Not in our Name“ auseinander und streitet vehement den Vorwurf einer stadträumlichen Spaltung in Hamburgs Innenstadt ab.
Die Auseinandersetzungen um das Gängeviertel, um das Bernhard-Nocht-Quartier in St. Pauli, um die Ikea-Ansiedlung in Altona sind nicht Resultat räumlicher Trennung der verschiedenen Bevölkerungsgruppen. Sondern Begleiterscheinungen einer Neubelebung der inneren Stadt.
Niemand würde ernsthaft bezweifeln wollen, dass die aktuellen Konflikte Resultat einer forcierten Innenstadtentwicklung sind, doch warum sich eine „Neubelebung der inneren Stadt“ und eine „räumliche Trennung der verschiedenen Bevölkerungsgruppen“ ausschließen müssen, bleibt erst einmal ungeklärt. Vielleicht ist das eine ja nur ein euphemistischer Ausdruck des anderen?
Der unglückliche Begriff der „Neubelebung“ ist dabei offenbar kein rhetorischer Fehltritt, sondern Prinzip. Am Ende des Beitrags wird uns noch ein „Lebensgesetz der modernen Städte“ präsentiert. Was kommt da als nächstes an biologistischen Methaphern auf uns zu: ‚Keimzellen der Entwicklung‘, ‚Krebsgeschwüre der Armut‘ oder ein ‚Lebensborn der kreativen Klasse‘?
Die wirkliche Segregation, so die Belehrung des ehemaligen Stadtentwicklungssenators, sei erst mit den Projekten des Sozialen Wohnungsbaus in die Hansestadt eingezogen.
Die räumliche Trennung von Arm und Reich entwickelte sich richtig erst mit dem sozialen Wohnungsbau nach dem Zweiten Weltkrieg, der die Großsiedlungen am Stadtrand hervorgebracht hat: Steilshoop, Osdorfer Born, Kirchdorf Süd, Mümmelmannsberg, zuletzt Allermöhe.
Zuvor – also in den seeligen Zeiten der bürgerlichen Stadtentwicklung – war alles noch wunderschön gemischt, also fast so, wie wir uns die ideale Stadt erträumen:
Im 19. Jahrhundert konnte in Eppendorf noch in der Beletage der wohlhabende Bürger wohnen und unter dem Dach der Handwerksgesell sich das Bett mit dem aus der Nachtschicht teilen.
Ehrlich gesagt finde ich angesichts dieser Wohnperspektiven den Sozialen Wohnungenbaus eine ganz gute Idee. Die Kritik an der Monotonie und der Randlange bleiben davon unbenommen. Doch weiter nachgeschlagen in Maiers Lexikon der Stadtentwicklung: mit der Automobilisierung im 20. Jahrhundert zog es die Besserverdienenden und Mittelschichten in die Vororte und neu entstehenden Einfamilienhaussiedlungen. Zurück blieben die Problemgruppen und die Probleme.
Zurück blieben in den wenigen Innenstadtquartieren, die nicht von Büros und Geschäften besetzt wurden, ärmere Leute: Sozialhilfebezieher, Studierende, Niedrigverdiener. Hamburg wäre wie viele große Städte daran fast zugrunde gegangen. Da wir Stadtstaat sind, war für uns die Entleerung der Innenstadt bei sozialer Trennung draußen noch verderblicher als anderswo. Denn mit den Wohnsitzen der Besserverdienenden wanderten auch ihre Steuereinnahmen in den Speckgürtel. Gleichzeitig hatte das Land Hamburg eine weit über dem Bundesdurchschnitt liegende Zahl von Sozialhilfebeziehern zu finanzieren.
Die Stadtflucht der Mittelklassen hat in allen größeren Städten vergleichbare Probleme hervorgebracht – was das jetzt mit den Siedlungen des sozialen Wohnungsbaus zu tun hat, der ja in der ersten These verantwortlich für die soziale Spaltung der Stadt gemacht wird, verstehe ich nicht. Muss ich aber auch nicht verstehen, denn auf die steile These des Einstiegs wird gar nicht mehr eingegangen, vielmehr geht es nach der Problembeschreibung nun um die Rettung der Stadt:
Die Stadt entwickelte Wohnungsbauprogramme zur inneren Verdichtung, beauftrage die Steg mit der Sanierung der westlichen inneren Stadt, finanzierte Programme zur sozialen Stadtteilentwicklung. Der Senat kam endlich auf die Idee, die alte Innenstadt in das Hafengebiet zu erweitern: das HafenCity-Projekt. Es gelang allmählich, auch besser verdienende Hamburger von der grünen Wiese in Schleswig-Holstein oder Niedersachsen wieder in die Stadt zu locken – wo sie jetzt ihre Steuern zahlen. Die Veränderungen in der Ökonomie mit immer mehr Internet-Arbeitsplätzen brachte Wirtschaftskraft in die City zurück. Und originelle Existenzgründer wie im Schanzenviertel beleben den Einzelhandel.
Dass es dabei zu Verdrängung und Konflikten kommen würde, sei abzusehen und eben nicht zu vermeiden gewesen, und müsse vor allem aus der Perspektive der Gesamtstadt betrachtet werden. Für alle die diesen Gedankengang noch nicht richtig verstehen, hier nochmal als Maier’sche Kurzformel:
Ohne Wirtschaftsleistung keine Steuern, ohne Steuern keine sozialen Leistungen, keine Künstlerförderung. Davon abzusehen ist nicht sozial und fortschrittlich, sondern blind.
In dieser Logik sind Opfer zu bringen und Gürtel enger zu schnallen. Alle jene, die dagegen aufbegehren, haben noch nicht verstanden, wohin der Hase läuft und sind auch irgendwie selber dran schuld:
Wer heute die Schickimickisierung von St. Pauli beklagt, sollte bedenken, dass ein Auslöser dafür z. B. von den Hafenstraßlern geschaffen wurden, die das alte Quartier verteidigt haben und für ihre eigenen Wohnungen in das städtische Sanierungsprogramm eingestiegen sind. Was ist daraus zu lernen? – Eine lebendige Stadt ist immer in Bewegung. Die Gewinner von gestern sind häufig die Blockierer der nächsten Entwicklung. (…) Ich habe den Eindruck, da haben einige Leute das Lebensgesetz moderner Städte schlecht verstanden.
Ökologische Orientierungen finde ich meistens ganz vernünftig – auf die Stadt bezogenen Analogien des Biologismus („Lebensgesetz der modernen Städte“) eher fragwürdig. So spricht eigentlich nur einer, der Stadtplanung, Wohnungspolitik und Beteiligung der Bewohner/innen längst abgeschrieben hat – für einen ehemaligen Stadtentwicklungssenator ein schwache Kür.
Ich finde Maier hat gar nicht mal so unrecht. Ich sehe als Anwohner in HH auch sehr viele positive Seiten der Gentrifizierung. Der Altbaubestand in der Schanze und auf St. Pauli hat sich sehr positiv verändert. Das wäre ohne ein verstärktes Interesse von Privatinvestoren nicht möglich gewesen. Hiervon hat die Stadt insgesamt profitiert. Das dieses Konzept aufgeht sieht man an den positiven Entwicklungen des Steueraufkommens. HH wurde im Länderfinanzausgleich vom Nehmer- zum Geberland. Ferner sehe ich Gentrifizierung als positiven Prozess. Erst durch wandernde Gentrifizierungsregionen ist sichergestellt, dass die Bausubstanz im Laufe von Dekaden überhaupt aufrecht erhalten werden kann. Das in einer Stadt die Bewohner immer Veränderungen unterworfen sind finde ich eher als Herausforderung. Die nächste Stufe wird in 2-3 Jahren die Veddel sein, darauf freue ich mich schon. Dort gibt es wirklich schöne Ecken.
Im Augenblick sieht man auch schon an Hand der Unterschriften im Bezirk Altona für die Ansiedlung von Ikea, das hier auch der Wunsch nach einer Entwicklung vorhanden ist. Das hier immer Opfer zu beklagen sind ist klar. In einer so großen Gesellschaft wie die in der wir leben kann man es nicht allen recht machen. Hier hat die Minderheit die Meinung der Mehrheit zu akzeptieren.
Mir fehlen die Worte!!!
So genannter Stadt-Darwinismus also, ja? Dann wissen wir ja jetzt, wo wir hingehören Herr Maier, danke für die Aufklärung.
Wo soll man nur mit dem Anzünden anfangen?
Pingback: CENTRO SOCIALE » Blog Archive » Neuigkeiten aus dem Centro - und rundrum