Frankfurt Westend: Wie Hausbesetzungen die Hochhausplanungen verhinderten

Wolf Wetzel hat auf telepolis einen hübschen Artikeln veröffentlicht, der sich mit aktuellen Grroßprojekten der Stadtentwicklung in verschiedenen Städten beschäftigt: „Unternehmen Stadt: Wenn öffentlicher Raum in Renditeanlagen verwandelt wird„. Die geplanten Investorenprojekten benennen – so Wolf Wetzel – zugleich die aktuellen Orte des Widerstandes gegen die unternehmerische Stadtpolitik: MediaSpree, das Hamburger Gängeviertel,  der anstehende Verkauf der Hanauer Innenstadt an einen Investor oder die Planungen für Hochhäuser auf dem Universitätsgelände in Frankfurt Bockenheim sind nicht nur die Meilensteine einer neoliberalen Umstrukturierung der Städte sondern eben auch Wegmarken des Protestes.

Konflikte um Stadtentwicklungspläne haben eine lange Geschichte, Wolf Wetzel schlägt angesichts der aktuellen Umstrukturierungen vor, aus der Geschichte des Widerstandes zu lernen.  Anfang Dezember fand im allerwürdigen Club Voltaire in Frankfurt/Main eine Diskussionsveranstaltung „Geschichte wird gemacht! Neoliberale Stadtentwicklung und städtische  Gegenbewegungen“ im Rahmen der bundesweiten Veranstaltungsreihen „Unternehmen Stadt Übernehmen“ statt. Wolf Wetzel reflektierte in der Diskussion seine Erfahrungen der Westend-Hausbesetzungen, die er als Jugendlicher miterlebt hatte. Seinen Veranstaltungsinput hat er für den Telepolisartikel ausgebaut.

Wolf Wetzel: „Unternehmen Stadt: Wenn öffentlicher Raum in Renditeanlagen verwandelt wird„, telepolis, 28.12.2009 (Ausschnitt)

Aus der Geschichte lernen?

Im Folgenden geht es darum, auf einen Umstrukturierungsplan zurückzublicken, der wie kein anderer die Geschichte einer Stadt geprägt und als „Häuserkampf in Frankfurt“ einen Legendenstatus erreicht hat. Vielleicht auch deshalb, weil dessen Aus- und Nachwirkungen nicht paradoxer sein können:

Zum einen hatten diese Kämpfe zur Folge, dass diese Pläne weitgehend zum Kippen gebracht werden konnten. Zum anderen haben bekannte Protagonisten dieses Häuserkampfes zugleich reales und kreatives Kapital daraus schlagen können:

  • Joschka Fischer (Ex-Umweltminister/Außenminister, Unternehmensberater für BMW)
  • Daniel Cohn-Bendit (Ex-Dezernent für multikulturelle Angelegenheiten in Frankfurt)
  • Tom Königs (Ex-Stadtkämmerer und Umweltdezernent in Frankfurt, Ex-Sonderbeautragter im Kosovo und in Afghanistan)
  • Johnny Klinke (Direktor des Varietés Tigerpalast/Frankfurt und Goethe-Plakette-Träger)
  • Ralf Scheffler (Besitzer von Nachtleben und Batschkapp/Frankfurt)

Häuserkampf in Frankfurt 1970-74: Die Politik des Tabula rasa der 70er Jahre

Der Häuserkampf in Frankfurt zwischen 1970 und 1974 hat eine bis heute dunkle, geradezu mafiose Vorgeschichte: Auf das Jahr 1967/68 wird der sogenannte „5-Finger-Plan“ datiert, für den der damalige SPD-Planungsdezernent Hans Kampffmeyer verantwortlich zeichnete. Es handelte sich dabei um eine informelle Skizze eines Bebauungsplanes, die entlang der Bockenheimer Landstraße eine „intensive Bebauung“, also Hochhäuser vorsah. Ganze Straßenzüge mit zum Teil herrschaftlicher Wohnsubstanz sollten dafür angerissen werden.

Obwohl diese Wunschliste keinerlei Rechtsgültigkeit hatte, ein Plan „unter dem Tisch“ also, wurden im Vorgriff auf noch nicht existierende Bebauungspläne baurechtliche Zusagen erteilt. Diese waren an eine weitere informelle Bedingung geknüpft: Die Investoren sollten Areale von einer Mindestgröße von 2.000 Quadratmetern zusammenkaufen. In der Folgezeit wurden ganze Häuserzeilen und -karres aufgekauft, bis zum Jahr 1974 waren es mehr als 100 Häuser. Damit kauften sie nicht nur 15 Prozent des gesamten Stadtteils auf, sondern auch 3.000 Menschen, die in diesen Häusern wohnten und vertrieben werden sollten.

Doch nicht diese bewegte die Investorengruppen, sondern die insgesamt eine Milliarde Mark, die mithilfe des „5-Finger-Plans“ verschoben, bewegt und investiert werden sollte. Dass dieser Deal auf Großinvestoren und damit verbundene Haus-Banken zugeschnitten war, liegt in der Natur der Sache: Ganze sieben Einzelkäufer bzw. Investorengruppen teilten das Bombengeschäft unter sich auf.

Wie eng dieses Geflecht aus politischen Stadteliten, Investorengruppen und Banken war, belegt ein weiteres Indiz: Zur Finanzierung dieser Coups waren die Investoren auf Millionenkredite angewiesen, die ihnen insgesamt sieben Banken zur Verfügung stellten. Zu diesen gehörte auch die Hessische Landesbank/Helaba, die zur Hälfte dem damals sozialdemokratisch regierten Land Hessen gehörte. Im Vorstand dieser Bank saß u.a. der damalige hessische Ministerpräsident Albert Oswald (SPD) und damalige Frankfurter Oberbürgermeister Rudi Arndt (SPD).

Es dauerte eine Weile, bis der großflächige Aufkauf von Häusern mit dem besagten „5-Finger-Plan“ in Verbindung gebracht wurde und für Unruhe unter der betroffenen Bevölkerung im Frankfurter Westend sorgte. Im Zuge der folgenden Auseinandersetzungen schaffte sich die Stadtregierung zwei Gegner, die schlechter nicht zusammenpassen, oder strategisch betrachtet, sich nicht besser ergänzen konnten:

Zum einen die Westendbevölkerung, die im Großen und Ganzen der Mittel- bzw. Oberschicht angehörte und zu einem beachtlichen Teil Klientel der regierenden Stadtparteien war. Sehr bald wurde die Aktionsgemeinschaft Westend (AGW) gegründet, die öffentlichkeitswirksam auf die Zerstörung ihres Stadtteils hinwiesen und bis ins bürgerlich-konservative Lager hinein viel Sympathie hatte. Dieser Zuspruch vergrößerte sich, als augenscheinlich wurde, dass der Abriss von gut erhaltener Bau- und Wohnsubstanz mit brutalen Methoden der Entmietung, mit Terror gegen nicht auszugswillige Mietern, mit gezielten Sabotageaktionen einherging, um so die nötigen Abrissgenehmigungen zu erhalten.

Zum anderen gab es ein studentisch-rebellisches Milieu, das gerade dabei war, den Niedergang der 68er Bewegung abzustreifen, und neue politische Horizonte zu entdecken: Es gab Gruppen, die in Obdachlosensiedlungen „Randgruppenarbeit“ machten. Aus ähnlichen Motiven heraus waren andere Gruppen dabei, eine „revolutionäre“ Betriebsarbeit vorzubereiten, die nicht die Kernarbeiterschaft im Auge hatte, sondern die „Gastarbeiter“, die in vielen (Auto-)Fabriken unter schlechten Bedingungen arbeiteten und meist in werkseigenen (Not-)Unterkünften ihren „Gaststatus“ behalten sollten.

In die Lücke zwischen skandalösen Umständen und appellativen und wirkungslos gebliebenen Aktionen der AGW stießen die ersten drei Hausbesetzungen im Jahr 1970 im Westend. Getragen wurden sie von Obdachlosen und Migranten, unterstützt von politischen Gruppen aus den beschriebenen politischen Interventionsbereichen. Zur Überraschung vieler ernten diese Besetzungen nicht nur viel Verständnis in der (medialen) Öffentlichkeit. Ihnen folgte auch keine sofortige gewaltsame Räumung, von der viele anfangs ausgehen mussten. Diese Initialzündung war Auftakt für eine Reihe von weiteren Besetzungen, bis die SPD-Regierung den Schock verarbeitet hatte und sich auf eine Art Doppelstrategie einigen konnte:

Zum einen wurde angekündigt, jede weitere Besetzung mit polizeilicher Gewalt zu verhindern. Bandagiert wurde diese harte Linie mit der Zusage, Zweckentfremdung von Wohnraum durch eine Verordnung (das sogenannte Sozialbindungspapier, das 1972 in Kraft trat) verhindern zu wollen. Damit einher ging eine 1971 erlassene „Veränderungssperre“, die die informell gemachten Zusagen für Hochhäuser einfror.

Doch diese Eindämmungspolitik fiel in der Phase (1970-72), wo sich der Protest ausdehnte und radikalisierte. Neben den zehn besetzten Häusern begann sich ein Mietstreik auszudehnen und so den Kreis der Initiatoren zu überschreiten. Die Forderung „Zehn Prozent Lohn für die Miete“spiegelte die Absicht wider, Arbeits- und Lebensbedingungen nicht getrennt, sondern als ein voneinander abhängiges Verhältnis zu begreifen. Während sich also die Bewegung über den Mietstreik verbreiterte und sich die besetzten Häuser über den Häuserrat organisierten, kam es am 29. September 1971 zur nächsten Hausbesetzung im Grüneburgweg 113. Entsprechend der städtischen Ankündigung, künftige Hausbesetzungen zu verhindern, wurde ein Großaufgebot an Polizei auf den Weg geschickt, die Hausbesetzung zu beenden. Die Polizei ging brutal vor, das Ergebnis war eine gewaltige Straßenschlacht, die sich über Stunden hinzog … und ungewohnte Wirkung hatte.

Was für gewöhnlich als Begründung für mehr Polizei und härteres Vorgehen herhalten muss, war nun Anlass für einen überraschenden Rückzug. Irritiert von den negativen (öffentlichen) Reaktionen auf die Räumung machte der Oberbürgermeister Böller (SPD) eine verbale Kehrtwende:

Schockiert über die blutige Konfrontation kündigte OB Böller tags darauf eine Revision seiner im November 1970 erlassenen Verfügung an, derzufolge weitere Hausbesetzungen von der Polizei verhindert und besetzte Häuser auf Antrag der Eigentümer geräumt werden sollten. Ihm sei die Gesundheit von Polizisten und Demonstranten zu schade, um sie für die Interessen von Hausbesitzern aufs Spiel zu setzen, die ihre soziale Verpflichtung aus dem Eigentum so entscheidend vernachlässigen.

Ob diese verblüffende Äußerung der massiven Gegenwehr oder der öffentlichen Kritik am „überharten“ Einsatz der Polizei geschuldet war, lässt sich nicht klären. Tatsache bleibt, dass sich an der „Räumungslinie“ nichts geändert hat, nachdem noch im selben Jahr zwei weitere Häuser besetzt wurden, denen im Jahr 1972 weitere folgten.

Die Jahre 1973-74 waren folglich von zahlreichen gewaltsamen Räumungen bzw. der Verteidigung der Häuser bestimmt, wobei die Schlachten um den Kettenhofweg (1973) und die Räumung des „Blocks“ Schumannstraße 69-71/Bockenheimer Landstraße 111-113 (1974) in die Annalen des Frankfurter Häuserkampfes eingehen sollten.

Auch wenn die meisten besetzten Häuser geräumt und der normalen Verwertung wieder zugeführt wurden, hinterließ der Häuserkampf tiefe Spuren in der Stadtgeschichte:

Die regierenden Stadtparteien dampften den „5-Finger-Plan“ fürs Westend ein. Der groß-bürgerliche Stadtteil kam mit einem blauen Auge davon. Insgesamt 24 Häuser, die bereits aufgekauft wurden und abgerissen werden sollten, sind als Wohnhäuser erhalten geblieben. Statt Abriss folgten Luxussanierungen. Heute ist das Westend ein bevorzugter Wohnort für Banker und grüne Stadteliten.

Wie stark die Ereignisse in den Köpfen der Beteiligten präsent geblieben sind, wie diese auch politische Einstellungen erschüttern konnten, machte eine Begegnung deutlich, die fast 40 Jahre später im legendären Club Voltaire in Frankfurt stattfand – zwischen dem damaligen RK-Mitglied Tom Koenigs und dem damaligen SPD-Polizeipräsidenten Knut Müller. Als es um die Frage ging, welche Rolle die Gegen-Gewalt in den Auseinandersetzungen spielte, kam es zu folgendem ungewöhnlichen Dialog:

Knut Müller: „Die Politik hätte damals handeln müssen. Es war aber kein urwüchsiger Prozess im Westend, das da also ein paar Spekulanten sich bereichern wollten und auf den Hochhausbau hofften. Letzterer war erklärtes Ziel der SPD-Regierung im Römer mit ihrem Fünf-Finger-Plan das Viertel mit Bürobauten zu durchziehen. Dieses politische Ziel war irrsinnig, es hätte zur Zerstörung eines der wenigen noch erhaltenen Frankfurter Stadtviertel geführt. Ich sage es heute wie damals: dass das Westend erhalten blieb ist das objektive Ergebnis der Hausbesetzerszene, deren Methoden ich immer noch nicht billige.

Tom Koenigs: Wäre es auch so gekommen, wenn wir keinen einzigen Stein geworfen hätten?“
Knut Müller: „Ich will Ihnen gar nicht ausweichen. Ich bin sicher, dass das Maß der Gewalt entscheidend dazu beigetragen hat, dass die Politik umdachte.“

Die Ereignisse zwischen 1970 und 1974 haben nicht nur mental Spuren in der Stadtgeschichte Frankfurts hinterlassen: Sie kamen der Stadt Frankfurt auch teuer zu stehen: Zehn Jahre später stellten in über 50 Fällen Westend-Investoren finanzielle Forderungen an die Stadt Frankfurt, die sich auf einen zweistelligen Millionenbetrag summieren:

Mit der massenhaften Anmeldung von Regressforderungen läuten die ohnehin als streitbar bekannten Westend-Bodenaufkäufer wohl die entscheidende Runde ein, um auf dem planungsrechtlich beordneten Spekulationsgebiet der 60er Jahre nun doch noch zu klingender Münze zu kommen. Wie der Anwalt dieser Geschäftsleute bestätigt, tauchen in dem Katalog auch wieder sämtliche Adressen auf, die als sogenannte „Keller-Leichen“ wegen behaupteter Zusagen für Bürobauten gleichermaßen berühmt und berüchtigt wurden.“

Die „Leichen im Keller“ wollten und sollten vergoldet werden. Bis heute findet man keine einzige offizielle Stellungnahme politisch Verantwortlicher, in der die Summe aufgeführt ist, die die Stadt Frankfurt zur Abwendung von Prozessdrohungen aufgewendet hatte. Man darf aber davon ausgehen, dass neben dem stattgefundenen Rückkauf von Häusern auch andere lukrative Kompensationsgeschäfte das Klima zwischen Investoren, Banken und Stadteliten wieder kapitalfreundlich gestimmt hatte.

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