In der aktuellen Ausgabe der ZEIT gibt es einen längeren Beitrag von Kerstin Kohlenberg über die das umstrittenen Luxuswohnprojekt Carloft in Kreuzberg: „Die Krieger von Kreuzberg„. Als Kriegsberichterstattung von den Brandherden städtischer Konflikte angelegt, liest sich der Beitrag streckenweise wie eine ethnographische Studie der Neuen Mitte. Protagonist Johannes Kaukas ist der Investor des Kreuzberger Carlofts. Durch Kerstin Kohlenberg erfahren wir, welche Schuhe er trägt, wie die Appartements eingerichtet sind und was die aktuellen Trendsportarten der Oberschicht sind.
Die Aussattungsmerkmale für den Habitus der Neue Mitte in Reihenfolge ihrer Benennung im Artikel (Vorsicht Klischee!):
schwarzer Mercedes SLK – hell erleuchteten Autolift – Männer in dunklen Anzügen und Frauen in Cocktailkleidern – futuristischen Leuchtmöbeln – Saxofonistin spielt schwungvollen Jazz – schwarzen Ledercouch in einem der hellen, warmen Carlofts – dunkelgrauer Mini mit Elektromotor – bequeme Gesundheitsschuhe, einen unauffälligen Anzug, eine einfache Uhr – offene Küche mit frisch gebrühtem Kaffee – an den Wänden lehnen großformatige Bilder – junger kolumbianischer Praktikant – 500.000 Euro Jahreseinkommen – Fußball ist »Proletensport.«, seine Kinder spielen jetzt Feldhockey, Kanupolo und machen Leichtathletik – Vater war ein Arzt –
Zur Beschreibung der Klassenzugehörigkeit gehören aber nicht nur Konsumpräferenzen und Lebensstile sondern auch Haltung und innere Überzeugung. Kerstin Kohlenberg lässt Johannes Kaukas zu Wort kommen:
»Ist das nicht toll?«, fragt Kauka und zeigt auf das Auto vor dem Fenster wie ein Kind auf sein neues Spielzeug. »Das ist die Zukunft! Das ist der Traum vom Einfamilienhaus in der Stadt. Komfort und Sicherheit. Man hat alle Vorzüge der Großstadt und keinen ihrer Nachteile.«
… oben im Carloft, blickt Johannes Kauka durch die großen Fenster auf die Bäume draußen. »Zu Hause sammeln wir das Laub unserer Kastanie immer auf und bringen es weg«, sagt er. »Wenn es liegen bliebe, würde der Baum von Ungeziefer befallen. Und dann wird er krank.« Das mache viel Arbeit, sagt Kauka, aber dafür sei seine Kastanie gesund und stark. Weil sie so prächtig ist, lässt er sie nachts von vier Strahlern anleuchten. Privateigentum ist immer besser als öffentliches, so sieht der Investor Kauka die Welt. Und dieses Privateigentum, glaubt Kauka, könne der Öffentlichkeit helfen. Sein Carloft soll so eine starke Kastanie mitten in Kreuzberg sein.
Bauherren scheinen einen Hang zu schrägen Vergleichen zu haben. Erst kürzlich ließ uns der der Baugruppen-Planer Andreas Büsching in einem taz-Interview an der These teilhaben, Baugruppen hätten auf die Stadtteilentwicklung die selbe Wirkung wie Fahrradläden. Die Kastanienbaum-Metapher ist im Vergleich dazu fast schon Poesie.
Und fast hätten wir’s vergessen, natürlich gehört auch ein positiver Bezug auf die ‚Soziale Mischung‘ zum Standardprogramm der neuen Mittelklasse:
»Durchmischung ist wichtig«, sagt Kauka und lehnt sich im Ledersofa zurück. Seit einigen Jahren wird Kreuzberg von Geschäftsleuten wie ihm für einkommensstarke Zuzügler saniert, weshalb sich Kreuzberg-Friedrichshain, wie der gesamte Stadtbezirk heißt, auch im Sozialranking verbessert hat. Die Arbeitslosenquote sinkt, der Abiturientenanteil steigt. Aber die Linken, sagt Kauka, wollten keinen Wandel. »Die wollen Monokultur.« Wohin das führe, sehe man an Stadtteilen wie Neukölln. »Die Gegenden verslumen.«
So richtig viel Dankbarkeit ist dem verkannten Retter von Kreuzberg bisher noch nicht entgegengeschlagen. Demonstrationen und eingeschlagenen Fensterscheiben in seinem Carloft jedenfalls sprechen eine deutliche Sprache und sind auch noch schlecht für das Geschäft:
Die Polizei zählte über 50 Anschläge auf Luxusimmobilien, dazu allein 20 Anschläge auf Kaukas Carloft. Herbert Grönemeyer hat es sich mittlerweile anders überlegt. Auch der Käufer eines Penthouse ist vom Vertrag zurückgetreten. (…) »Brennende Autos, das hält die Leute vom Kauf ab«, sagt Johannes Kauka.
Derlei Entwicklungen betrachte ich immer mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Natürlich es wünschenswert, wenn alte Immobilien saniert werden – von mir aus auch hochwertig, um neue Bevölkerungsschichten in ein Viertel zu locken. Allerdings darf das nicht zulasten der bisher im Viertel wohnenden Menschen geschehen. In Kreuzberg passiert das, was in vielen anderen Städten bereits geschehen ist: „Hippe“, da etwas andere Viertel werden zu Tode saniert, ihrer Seele beraubt und ideologisch gesprengt. Die Menschen werden an den Stadtrand gedrängt und in die Vorstädte verfrachtet, wo sich mehr und mehr graue „Slums“ bilden. Diese Entwicklung tut auf die Dauer keiner Stadt gut. Sie veröden im Kern und sterben am Rand. Ich hoffe, diesen Städtebaulichen Wahnsinn wird in den nächsten Jahren Einhalt geboten, wenn den Hippstern auffällt, dass sich vor dem Fenster ihres Lofts nur noch gähnende Langweile des post-modernen Biedermeiers ausbreitet. Kein Ort zum wohnen ^^