Berlin: Aufwertung in Prenzlauer Berg – alles halb so schlimm?

Totalsanierung in der Lychener Straße (Bild: sinafilm)

Zum Dokumentarfilm über die Sanierungsfolgen in Prenzlauer Berg „Lychener 64“ gab es hier und anderenorts bereits einige Besprechungen und Reaktionen: Die taz ließ die Filmemacher zu Wort kommen, vom Filmmagazin Schnitt gab es Lob für die gelungene Dokumentardramaturgie und dem Helmholtzplatz-Blog war der Film nicht radikal genug.

Keine der Filmbesprechungen war bisher auf den Gedanken gekommen, die beschriebenen Geschichte einer Verdrängung zu bezweifeln und den paradigmatischen Charakter des Sanierungsprozesses in Frage zu stellen. Die Rolle des Gentrification-Skeptikers übernahm wieder einmal Hartmut Häußermann, ehemaliger Professor für Stadtsoziologie an der Humboldt-Universität. Deutschlandradio Kultur nahm den Film zum Anlass für ein ausführliches Gespräch zu den aktuellen Veränderungen in Prenzlauer Berg: Subkultur geht, Lifestyle kommt. Überraschend am Interview war war die deutliche Abgrenzung zum Gentrification-Begriff.

Heise: Sie haben immer abgelehnt, in dem Bezirk von Gentrifizierung zu sprechen, also von Yuppisierung. Sprechen Sie inzwischen doch davon?
Häußermann: Na ja, das, was wir in dem Film sehen, das sind ja eigentlich Prozesse, wie sie in einem Haus, was so runtergekommen ist (…) überall stattfindet. Das kann man nicht als Gentrifizierung bezeichnen, sondern das ist Sanierung, Modernisierung, Renovierung.

Wie schon an anderer Stelle wird Verdrängung nicht auf einen Bevölkerungsausstausch oder eine Sozialstrukturveränderung bezogen, sondern als das Ende einer nicht mehr zeitgemäßen Wohnkultur beschrieben:

(es) betrifft nämlich Leute, die vor allem hierher gezogen sind, weil es billig war, weil es runtergekommene Wohnungen sind und deshalb billig waren, die Substandardwohnungen bevorzugen, weil es ihnen vor allem darauf ankommt, für wenig Geld zu wohnen. Und das wird durch die Sanierung und Modernisierung dadurch verhindert. Und das wird verdrängt, wenn man das Verdrängung nennen will.(…)

Die eigene – aber eben sehr enge – Definition einer Verdrängung subkultureller Lebensstile aufgreifend, beschreibt Häußermann an anderer Stelle des Gespräches die Thematisierung von Verdrängung als eine Art Veränderungsphobie:

Verdrängung ist schon der Punkt, dass man sagt, es muss sich was ändern. Das bleibt keinem überlassen zu sagen, es darf sich nicht ändern, sozusagen ein Recht auf Substandardwohnen wird niemandem eingeräumt.

Dabei würde sich jenseits des Verschwindens von Substandardwohnungen und alternativen Lebensmodellen in Prenzlauer Berg ein Blick auf die veränderten Sozialstrukturen lohnen. Die Abschlussuntersuchungen der Sanierungsgebiete haben sehr deutlich herausgestellt, dass sich die Nachbarschaften von heterogenen Armenvierteln in homogene Enlklaven bildungsbürgerlicher Mittelschichten verwandelt haben. Der Zweifel an den Ergebnissen der Sozialstudien ist nur schwer nachzuvollziehen:

Häußermann: Das mit den 80 Prozent Austausch, das ist so ein Mythos, das ist ein Glaube, das kann niemand nachweisen, dass das so ist, weil die Mieter, auch die Mieter in dem Haus, hatten ja die Möglichkeit, in Umsetzwohnungen im selben Bezirk, in derselben Nachbarschaft zu bleiben.

Ein Blick in die Sozialstudien zeigt jedoch, dass genau diese Kritiken berücksichtigt wurden. Gefragt wurde ja nicht nur nach der Wohndauer im Haus, sondern eben auch nach der Wohndauer im Gebiet – wobei Gebiet als Gesamtheit aller Sanierungsgebiete definiert wurde. Die 20 Prozent Altmieter/innen beziehen sich also keineswegs nur auf diejenigen, die immer noch in ihren früheren Wohnungen leben, sondern beschreibt all jene, die bereits vor der Sanierung in den Sanierunggebieten von Prenzlauer Berg gewohnt haben. So abwegig scheint die Diagnose eines 80-Prozent-Austausches also gar nicht zu sein – der Mythos der Verdrängung scheint mir selbst ein Mythos zu sein.

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