Das Stadtmagazin „zitty“ seit jeher ein Trendsetter, wenn es darum geht, die „Geheimtips“, die „hippen locations“ und die „wirklich angesagten Wohngebiete“ ins öffentliche Gespräch zu bringen. Die Sensations- und Neuentdeckungslogiken des selbsternannten ‚Hauptstadtmagazins‘ hatten einen nicht unerheblichen Anteil an den symbolischen Aufwertungen in Mitte, Prenzlauer Berg, Friedrichshain und Neukölln. Als typisches Pionier-Medium und touristische Orientierungshilfe hat die ‚zitty‘ – wie andere Programmmagazine und Touristenführer auch – die Pionierphasen der Aufwertung durch die Stadt geleitet und sich bisher nur selten mit kritischen Gedanken um die sozialen Folgen aufgehalten.
Mietsteigerungen und Verdrängungsängste machen nur offenbar auch vor dem Klientel der ‚zitty‘ nicht halt, so dass es in der aktuellen Ausgabe (zitty 09/2010) ein Titelthema zur Wohnungspolitik in Berlin gibt: „Reiche in die Mitte, Arme an den Rand – wem gehört die Innenstadt?“. Weil die „zitty“ den Artikel leider nicht online gestellt hat, hier ein paar ausführliche Passagen.
Darf Einkommen darüber entscheiden, wo jemand wohnt und lebt? Franz Schulz sagt ganz leise: „Politik hat nicht darüber zu entscheiden, ob jemand mit Realschulabschluss das Recht auf Innenstadt hat oder nicht. Eine solche Einstellung ist unglaublich borniert und arrogant. Es ist absurd, dass sich der Senat als einer der größten Verdränger überhaupt aufspielt und parallel das Konzept der sozialen Stadt propagiert.“ Die Ränder den Armen, die Mitte den Reichen, darauf laufe es hinaus.
Zitty-Autorin Lisa Seelig beleuchtet in ihrem Beitrag „Reiche in die Mitte, Arme an den Rand – wem gehört die Innenstadt?“ das Mietproblem an überwiegend Kreuzberger Beispielen und beschreibt sehr eingänglich, wie sich steigende Mieten für Wohnungsbewerber/innen aber auch Altmieter/innen auswirken:
Immer mehr Menschen können sich die Mieten in Berlins Innenstadt nicht mehr leisten. Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung hat jahrelang versäumt, gegen die soziale Spaltung der Stadt mit politischen Mitteln zu kämpfen. Darf Einkommen darüber entscheiden, wo Menschen leben können?
Zentrales Thema des Beitrages sind vor allem die Neuvetrmietungsmieten und die Schwierigkeiten eine Wohnung in den angesagten Bezirken zu finden:
Die Konkurrenz beim Casting ist hart, sehr hart. Es ist ein bisschen so wie bei der Superstarfindung im Fernsehen: Wer etwas erreichen will, der muss einstecken können, der muss kämpfen, der muss verzichten können. In diesem Fall: Auf eine angemessene Miete. Wohnungsbesichtigung nahe des Kreuzberger Chamissoplatzes, an einem sonnigen Samstagnachmittag im März: Das Haus ist in keinem guten Zustand, die Fassade bröckelt, die Tapete innen auch, zu haben sind 75 Quadratmeter, das schlauchförmige Bad hat seit mehreren Jahrzehnten keine Sanierung mehr erlebt, es sieht ein bisschen ranzig aus. Die früheren Mieter haben 570 Euro netto kalt gezahlt, also 7,60 Euro pro Quadratmeter. Die Berlinhaus Verwaltung GmbH des Investors Suel Prajs, dem auch Luxusimmobilien wie die Rosenhöfe am Hackeschen Markt gehören, verlangt jetzt 110 Euro mehr, die neuen Mieter werden also mehr als neun Euro pro Quadratmeter bezahlen müssen. Eine Mieterhöhung von fast 20 Prozent. Ganz einfach weil Eigentümer sich das in diesem Kiez erlauben können. Die Leute, die sich durch die Wohnung drücken, junge Paare, viele noch Studenten, reißen sich um die Wohnung. Am Abend wird die Hausverwaltung aus mehreren perfekt zusammengestellten Mappen mit Schufa-Auskunft, Mietschuldenfreiheitsbescheinigung und Gehaltsabrechnungen einen Kandidaten auswählen können. Die neuen Mieter werden auf eigene Kosten Schönheitsreparaturen durchführen und auf längst fällige Maßnahmen wie die Badsanierung verzichten. Hauptsache es klappt mit der Wohnung. So sieht die Realität in Bezirken wie Kreuzberg, Friedrichshain, Prenzlauer Berg, Nordneukölln aus: Wer es sich irgendwie leisten kann, lässt einen horrenden Anteil seines Einkommens für Miete draufgehen, um in der Innenstadt leben zu können.
Als Zeuge der Anklage gegen die steigenden Mieten wird neben dem unvermeidlichen Franz Schulz (Bürgermeister von Kreuzberg, Grüne) auch der gentrificationblog angeführt:
Überall hängen an Häuserfassaden Plakate wie dieses nahe dem Chamissoplatz: „Ob Loft, Townhouse, Remise oder Altbauperle, sichern Sie sich Ihren individuellen Lebenstraum“. Klar, dass Townhouses und Altbauperlen nicht gerade dazu beitragen, dass sich preiswerter Wohnraum in der Innenstadt vermehrt.
Verzweifelt-komisch mutet der Bericht eines Wohnungssuchenden an, der im Blog des Berliner Stadtsoziologen Andrej Holm von seiner Odyssee auf der Suche nach einer preiswerten Wohnung in Friedrichshain berichtet: „Die tollste Szene war, als ein Interessent in die Menge rief: ´Ihr Scheißmünchner und Yuppies, sucht euch gefälligst was anderes´. Er selbst zog nach Tempelhof.
Ich konnte mich gar nicht mehr daran erinnern, aber die Situation wurde in einem Kommentar unter einem Artikel vom letzten Sommer beschrieben. Ich selbst komme auch noch zu Wort und darf ein bisschen die allgemeinen Trends der Stadtentwicklung erklären und auf die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung beschimpfen:
Der Stadtsoziologe Andrej Holm beobachtet seit Jahren die Gentrifizierungswelle in den Berliner Innenstadtbezirken. In Berlin, sagt er, seien bis Anfang der Neunziger viele Ressourcen einer behutsamen Stadtentwicklung genutzt worden. Mit dem Beginn des neuen Jahrtausends wurden sie fallen gelassen. Peter Strieder, Stadtentwicklungssenator von 1996 bis 2004, prägte den Begriff des „Neuen Urbaniten“, gut verdienende Bildungsbürger, die er mit seiner Stadtentwicklungspolitik locken wollte. „Berlin teilte natürlich die Angst aller Städte: Dass die Mittelklasse ans Umland verloren geht und ihre Steuern in Straußberg oder sonst wo zahlt“, sagt Andrej Holm. „Deshalb entwickelte man Strategien, um die Stadt attraktiver zu machen für jene, die Geld bringen, also Steuerzahler und Unternehmen.“ Andrej Holm sagt, es gebe viele Möglichkeiten für die Stadt, zu einer sozialen Wohnungspolitik zurückzufinden. „Die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften könnten, statt auf Profit zu achten, verpflichtet werden, preiswerten Wohnraum zur Verfügung zu stellen.“
Das Problem ist, dass die Senatorin Junge-Reyer beharrlich von einem entspannten Berliner Mietmarkt spricht. „Aber eine Stadt besteht doch aus vielen kleinen Teilen mit unterschiedlichen Dynamiken“, sagt Andrej Holm. Er fragt sich, ob Junge-Reyers Beharren naiv ist oder ob sie versucht, Realität zurechtzubiegen. Mietern in Kreuzberg hilft es jedenfalls wenig, dass der Wohnungsmarkt in Spandau entspannt ist.
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