Neil Smith bezeichnete Gentrification als „dirty word“ (Schimpfwort), weil „die Sprache der Gentrification uns die Wahrheit über die mit der ‚Regeneration‘ der Stadt verbundenen Klassenverschiebungen benennt, ist es zu einem dirty word für Immobilienentwickler, Politiker und Finanzakteure geworden” (Neil Smith 2002)
Jetzt beziehen sich ausgerechnet Immobilienmakler positiv auf den Gentrificationbegriff. Auf dem Immobilienportal wokaberlin.de wird „kostbaren Wohnraum“ in Friedrichshain offensiv mit der Gentrificationtendenz geworben:
Das angebotene Projekt befindet sich in einer der beliebtesten Wohngegenden, dem östlichen Friedrichshain. Hier herrscht ein kontinuierlicher Aufschwung. In den letzten Jahren hat die sogenannte „Gentrification“ Einzug gehalten. Das bedeutet die Veredelung des Wohnumfeldes durch die Veränderung der Bevölkerung und die Restaurierungstätigkeit – und führt steigende Immobilienpreise mit sich. Der Stadtteil verzeichnet eine rege Zuwanderung vor allem von Neu-Berlinern. (Fehler im Original)
Die Diskussionen um den städtischen Wandel in Berlin der vergangenen Jahre waren von einer Tabuisierung des Gentrificationbegriffs geprägt. Insbesondere die für die Stadterneuerung zuständigen Planer/innen, Verwaltungsangestellten und Politiker/innen wiesen eine Gentrificationanalyse lange Zeit zurück und auch in den akademischen Debatten galt der Begriff umstritten. Hartmut Häußermann, lange Zeit Professor für Stadtsoziologie an der Humboldt-Universität, etwa lehnt den Begriff ab (siehe Tagesspiegel, April 2009):
Anders als sein Schüler Holm weigert sich Häußermann, von Gentrifizierung überhaupt noch zu sprechen – das sei ein „politischer Kampfbegriff“ geworden. Der soziale Wandel habe sich im Kiez relativ moderat vollzogen, „auch wenn das der allgemeinen Wahrnehmung widerspricht“, so Häußermann.
Umso erstaunlicher also, dass sich nun ausgerechnet der Immobilienmarkt positiv auf die Gentrification bezieht und in erschreckender Offenheit den Vorteil von homogenen Viertel Zugezogener preist.
Literatur:
Smith, Neil (2002): New globalism, new urbanism: gentrification as global urban strategy. In: Antipode 34, 427–50
Hallo AH,
das finde ich eigendlich überhaupt nicht erstaunlich. Das ist die Handlungsweise eines jeden Immobilieninvestors schon seit Jahrzehnten. Es hat sich lediglich das Synonym für die Vorgehensweise geändert, der Name also. Natürlich sucht sich ein Inverstor nicht gerade Stadtteile aus, die auf dem „absteigenden Ast“ sind sondern solche, wo eine positive Entwicklung stattfindet. Mit der inflationären Nutzung des Begriffes Gentrifikation erreicht man nun zweierlei:
1. für einen gewissen Teil der Bevölkerung ist es wünschenswet sich in einem solchen Gebiet niederzulassen, da hier eine gute Aussicht auf die Wertsteigerung des eigenen Objektes besteht oder zumindest ein Werterhalt.
2. Die „Opfer“ dieser Entwicklung können sich wunderbar den Begriff zu eigen machen, da es hier im öffentlichen Bewustsein keine klar umrissenen Grenzen „der Bedrohung“ gibt.
Trotzdem haben die Leute schon immer so gehandelt, insofern finde ich es persönlich schön zu sehen, dass der Begriff auch mal von der Gegenseite als positiv-gesetzt genommen wird. Das zeigt wunderbar, das keine Partei eine Deutungshoheit hierfür für sich beanspruchen kann. Der Begriff steht beiden Seiten zur Verfügung 😉
Ich frage mich aber, warum du in deinem letzten Satz von ERSCHRECKENDER Offenheit sprichst. Das hier das Bedürfnis vieler Menschen besteht sich in einem homogenen (dem sozialen und bildungstechnisch entsprechenden Stand) Umfeld niederzulassen ist für mich auch nicht verwerflich sondern es entspricht der normalen Tendenz des Menschen.
Mich würde mal folgendes interessieren:
1. Als Universitätsangestellten würde ich dich dem Mittelstand zuordnen, ohne dich zu kennen. Da du dich ja sehr stark für das Präkariat einsetzt würde ich gerne wissen wie dein Wohnumfeld gekennzeichnet ist und ob du bei deiner Wohnortwahl deine eigenen sozalpolitischen Ansichten mit hast einfließen lassen. Wenn ja, wie?
Lieber MBE,
vielen Dank für deinen Kommentar und auch gleich einen Versuch der Erklärung. Du hast sicherlich recht, wenn du darauf verweist, dass die Werbung mit exklusiven (besseren) Lagen kein neues Phänomen der Immobilienbewerbung ist.
Im Kontext des deutschen Wohnungsmarktes – und auch angesichts der hierzulande bisher geführten Diskussionen um den Gentrification-Begriff – ist jedoch die positive Bezugnahme auf den Bergiff zumindest bemerkenswert.
Diesen Umstand finde ich auch nicht ‚erschreckend‘. Meine (ich geb es zu!) normative Bewertung bezog sich tatsächlich auf das aktive Marketing für eine sozial homogen Nachbarschaft. Bei aller Kritik, die ich an einer Überhöhung einer ‚Sozialen Mischung‘ habe, finde ich die stadtentwicklungsbezogene Aufkündigung von Integration durch bessere Wohnklassen problematisch. Auch wenn es – wie du schreibst – eine ’normale Tendenz‘ der Abschottung (Exklusion) geben sollte, finde ich die keineswegs positiv und verbinde damit den Verlust von sozialem Ausgleich auf kommunaler Ebene und ein hohes Maß an städtischer Eintönigkeit.
Was meine eigene Wohnsituation angeht, kann ich seit einigen Monaten mit einer wenig begehrten Wohnlage in einem der eher schlecht beleumundeten Berliner Wohnviertel (Moabit) ‚protzen‘. Zugegebener Maßen war das aber keine bewusste Entscheidung für die dortige Nachbarschaft, sondern Folge eines nichtausschlagbaren Wohnungsangebotes (viel Platz für einen kleinen Preis).
Ich habe voher in einem der angesagten Ostberliner Aufwertungsgebiete gewohnt, und bin mittlerweile sehr zufrieden mit der neuen Umgebung: hier gibt es keinen Dresscode und nicht nur junge erfolgreiche Nachbar/innen, sondern eben auch alle jene, die es eigentlich über all in den Städten gibt (außer in den Aufwertungsgebieten): Alte, Rollstuhlfahrer, Trinker, Kindercliquen und Jugendbanden etc.
Hi Ah,
danke für deine Antwort, die jedoch wieder ein paar Fragen bei mir hevorruft. Insbesondere der Satz „…finde ich die die stadtentwicklungsbezogene Aufkündigung von Integration durch bessere Wohnklassen problematisch“ (schöne Wortwahl übrigens).
Das würde ich so nicht stehen lassen, denn die Abschottung geht genauso gut vom Prekariat, ehtnischen Minderheiten etc. aus. Das ist nicht nur ein Prozess der „von Oben“ gewollt ist, sondern auch ein Prozess den man überall, sogar in den Schichten selber findet und der nunmal die Zugehörigkeit zu einer wie auch immer gearteten „Gruppe“ ausdrückt.
Es kann doch nicht sein, dass immer nur vom Mittelstand verlangt wird er müsse alles für die Integration weniger gut gestellter Menschen tun. Das ist ein zweischneidiges Schwer, wo auch die „Ausgegrenten“ auf die „Integrierten“ (eine bessere Wortwahl fällt mir auf der Stelle nicht ein) zukommen müssen. Diesen Prozess kann ich (auch) kaum sehen. Der Mittelstand kann nicht das Alheilmittel für unsere gesellschaftlichen Zerwürfnisse sein, hier ist auch eine gewisse Integrationsbereitschaft der anderen Seite von Nöten die auch nur in geringem Umfang vorhanden ist.
Und hier meine ich eine grundsätzliche Bereitschaft die nur begrenzt abhängig vom zur Verfügung stehenden Geld ist. In erster Linie ist das eine Frage der Bildung und ein permanentes stattlich-aufoktruiertes Vermischen gebildeter und ungebildeter Schichten ist bei den meisten Menschen nicht gewollt. Natürlich suche ich mir eine Bildungsbürgertum-nahe Wohnumgebung um meinem Kind die besten Chancen im Leben zu geben. Da viele andere auch so denken bilden sich nun einmal diese Bereiche, was ich persönlich auch sehr gut finde. Wie gesagt, der Mittelstand kan nicht der Heilsbringer sein….
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