Zum Jahreswechsel gehört es selbst in den bürgerlichen Wohnquartieren zum guten Ton, es mal so richtig Krachen zu lassen. Rainald Grebes Parodie auf das Biofeuerwerk von Prenzlauer Berg ist witzig, verweist sie doch auf den Trend, selbst jede noch so prollige Ausgelassenheit und Partystimmung mit dem eigenen Lebensstil zu verknüpfen. Der Traum vom ökologisch nachhaltigen Feuerwerk kann noch nicht erfüllt werden – für alle anderen Tage des Jahres erscheint eine Anpassung der Freizeitangebote an die veränderten Bedürfnisse durchaus realistisch.
Heute Nacht findet im Knaack-Club nach 59 Jahren die letzte Party statt – Anwohner/innen einer neuerrichteten Eigentumsanlage hatten erfolgreich gegen die Lärmbelästigung geklagt. In der Szene macht längst das Wort vom Club-Sterben die Runde. eine bisher unbekannte Klagewelle von Wohnungseigentümer/innen steht für einen juristisch geführten Wettbewerb um die Gestaltung und Nutzung der Stadtquartiere. Bisherige Balancen zwischen verschiedenen Interessen werden dabei aufgekündigt.
Das Programmnagazin Berlin 030 – einer Gentrificationkritik bisher völlig unverdächtig – vermutet die dafür Verantwortlichen im Kreise der Hinzugezogenen und schlägt den aus der Trostlosigkeit der deutschen Provinz Entflohenen vor, dorthin zurück zu zeihen, statt in Berlin ihre Forderungen nach Stille zu erheben…
In der aktuellen Ausgabe des Magzins Berlin 030 heißt es:
Ach Leute, regt Euch nicht auf. Wir haben in der Provinz das selbe Problem mit den Stadtkindern, die wegen Nähe zur Natur oder sonstwas aufs Land ziehen und dann per Gerichtsbeschluß festlegen lassen, wann Nachbars Hahn zu krähen hat. Das gibt’s schon seit etwa 20 Jahren hier. Es hat also wohl weniger mit der „trostlosen Provinz“ (ich persönlich empfinde ja eher die Stadt als Trostlos, aber jeder nach seiner Façon…) zu tun als damit, daß es immer mehr Menschen gibt, die vor allem ihre Interessen durchsetzen wollen, mit allen Mitteln und ohne Rücksicht auf die gesamtgesellschaftlichen ZUsammenhänge.
Guter Brief, interessanter Kommentar,!
so langsam macht mir das Bild das mittlerweile pauschal von „Dazugezogenen“ gemalt wird Angst. zumal ist ja höchstwahrscheinlich von früher „Dazugezogenen“ stammt.
wie ist eigentlich der aktuelle Stand bei der Kalkscheune? die hatten doch auch irgendwann einen Baustopp durchgesetzt
admiralsbrücke.
machen da nicht eher die touris und zugezogenen krach und stören die langjährigen anwohner.
hach, schubladen machen das leben so einfach 🙂
apropos biofeuerwerk:
http://www.taz.de/1/zukunft/umwelt/artikel/1/wenn-raketen-zu-keimlingen-werden/
Folgen des Silvester-Feuerwerks
Wenn Raketen zu Keimlingen werden
Nachwachsende Böller? Kann passieren, denn Feuerwerk enthält Rapssamen. Aber ob der genmanipuliert ist, wird bislang VON THOMAS SCHMID
nicht kontrolliert. VON THOMAS SCHMID
Foto: reuters
Dieser bunte Ooh-Aah-Effekt ist Rapssamen zu verdanken. Foto: reuters
Schon lange mahnt die Aktion „Brot statt Böller“, Investitionen in Feuerwerkskörper wären in der Entwicklungshilfe sinnvoller angelegt. Obendrein können solche Silvestervergnügen aber auch bislang ungeahnte negative Auswirkungen auf die heimische Umwelt haben: Die Feuerwerkskörper können Wildwuchs von verbotenem gentechnisch verändertem Raps verursachen. Denn viele Raketen enthalten Rapssamen.
Und der kann theoretisch auch genmanipuliert sein – während Bauern und Forscher jeden Anbau von Gentech-Pflanzen seit 2004 in einem öffentlichen Standortregister bekannt machen müssen, gibt es für die Verbreitung über Knallkörper keine Regulierung.
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Bunte Sterne
Der Raps sorgt beim Abfeuern der Raketen für den klassischen „Sterneffekt“. „Er gibt den eigentlichen Feuerwerksstoffen eine Struktur“, erklärt Ralf Dellmann, Leiter der Qualitätssicherung beim Feuerwerkskörper-Hersteller Weco. Die Rapssamen bekommen eine oder mehrere Schichten aus Metallsalzen für den Farbeffekt, danach folgt ein sogenannter Anfeuerungssatz. „Die Samen werden sozusagen drapiert“, so Dellmann.
Problematisch ist, dass der dafür verwendete Raps durchaus noch keimfähig sei kann. „Wir haben Samen aus mehreren handelsüblichen Raketentypen untersucht und konnten bis zu 30 Prozent Auskeimung feststellen“, sagt Broder Breckling vom Zentrum für Umweltforschung und Umwelttechnologie an der Universität Bremen.
Und beim Verglühen der Rakete verglühen die Samen nicht unbedingt mit. Laut Breckling gehen die Hersteller gehen davon aus, „dass etwa 5 Prozent der Rapssamen unversehrt bleiben“. Nach seinen Berechnungen werden so allein durch in Deutschland produzierte Feuerwerksraketen jährlich bis zu zehn Millionen keimfähige Rapssamen verbreitet.
Ein Verbot gibt’s nicht
Tatsächlich unterwegs ist in der Silvesternacht aber noch eine ganze Menge mehr Saatgut. Schließlich werden in Deutschland nicht nur Knallkörper deutscher Hersteller gezündet. „Nur rund 20 Prozent solcher Feuerwerkskörper der Kategorie 2, die zugelassen werden, kommen aus der Europäischen Union“, sagt Lutz Kurth von der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung: „Der Rest stammt aus Nicht-EU-Ländern, in erster Linie aus China.“
Kurth leitet die Arbeitsgruppe Pyrotechnik, die Zulassungen für Silvesterraketen erteilt. Gemäß der EU-Richtlinie 2007/23/EG überprüfen die Experten beispielsweise, ob eine sichere Handhabung neuer Feuerwerkskörper gewährleistet ist und ob sie verbotene chemische Substanzen enthalten.
Auf verbotene gentechnisch veränderte Inhaltsstoffe werden weder europäische noch nichteuropäische Produkte getestet: „Dafür gibt es keinerlei Anforderungen in den geltenden Richtlinien und Normen“, so Kurth.
Hintergrund ist, dass die Politik annimmt, dass genmanipulierte Organismen bei einer industriellen Verarbeitung nicht weiterverbreitet werden können. Deshalb sind in der EU auch die Einfuhr und Verarbeitung einer Reihe von keimfähigen Gentechpflanzen erlaubt, auch wenn diese innerhalb der Union nicht angebaut werden dürfen. Dazu gehören eine von Monsanto und zwei von Bayer Crop Science modifizierte Rapssorten.
Überlebenskünstler
Aus Sicht des Ökologen Breckling ist diese Annahme aber für Raps im Feuerwerk nicht haltbar: „Hier besteht im Gegensatz zu anderen verarbeitenden Industrien eindeutig die Möglichkeit der Verbreitung.“ Dass Silvesterraketen im Winter abgeschossen werden, ändert daran übrigens nichts: „Rapssamen können ihre Keimfähigkeit über mehrere Vegetationsperioden behalten, teils sogar bis zu zwölf Jahre.“
Finde leider auch den 030-Beitrag wenig differenziert. Zumal man sich fragen kann, was die Interessen des Magazins sind, solch einen Brief zu veröffentlichen. Anbiederung? Aber an wen?
Das mit dem Knaack ist traurig. Ich habe dort meine halbe Jugend verbracht und so manche „persönlichkeitsrelevante Erfahrung“ gemacht. Mir hat echt das Herz geblutet, als ich von der Schließung gehört hab. Dennoch finde ich, dass der o.g. Brief ein wenig zu stark polemisiert.
Wie hier schon vorher jemand sagte: Schubladen sind was Schönes.
Leider weiß ich keine Lösung für das Dilemma. Muss ich jetzt aus Neukölln wegziehen, weil ich einen Uni-Abschluss und einen Job habe? Und wenn ja, wohin? Gibt es eine politisch korrekte Enklave für Leute wie mich außerhalb von Prenzlauer Berg, Charlottenburg und Mitte? Kann man einfach die ganze Verantwortung auf die Politik schieben und sich damit selbst fein raus ziehen? Und wenn die Politik wirklich Verantwortung für die Situation trägt, wie müsste sie agieren, um weitere soziale Entmischung zu verhindern? Und ist soziale Durchmischung eigentlich für jeden erstrebenswert / wünschenswert? Offenbar ja nicht…
Ihr seid Lehrer und Beamte
Seid Gelehrte sogenannte
Ihr schreibt Bücher, seid im Fernsehen
Und ihr glaubt, daß wir euch gern sehen
Immer kritisch und politisch
Marx und Lenin auf dem Nachttisch
Doch ihr habt was gegen Rabatz
Und macht den Bullen gerne Platz
Ihr seid nichts als linke Spießer
Ich frag‘ mich, was wart ihr früher
Ihr seid nichts als linke Spießer
Ihr habt nichts dazugelernt
Ihr seid nichts als linke Spießer
Eigentlich wart ihr es schon immer
Und werden wir mal aggressiv
Seid ihr auf einmal konservativ
Sozialarbeiter und Student
Ihr seid so frei und unverklemmt
Ihr seid sozial auch sehr gut drauf
Doch ihr habt eure Seele dem System verkauft
Und falls euch doch mal alles stinkt
Euer Gelaber euch selbst zum Hals raushängt
Dann fahrt ihr einfach nach Indien
Als Backwahn-Jünger ist jeder in
Ihr seid nichts als linke Spießer
Ich frag‘ mich, was wart ihr früher
Ihr seid nichts als linke Spießer
Ihr habt nichts dazugelernt
Ihr seid nichts als linke Spießer
Eigentlich wart ihr es schon immer
Und werden wir mal aggressiv
Seid ihr auf einmal konservativ
ich glaube, den knaack und die admiralsbrücke kann man nicht vergleichen.
der knaack war eine institution- seit jahrzehnten. gerade in dieser region fand ein fast kompletter austausch der mieter statt. in kreuzberg sieht das anders aus.
die schließung des knaack macht mich wütend und sprachlos. welcher alte berliner will denn noch in den prenzlberg ziehen?! dort fühlt man sich fremd in der eigenen stadt.
Natürlich schubladisiert der Artikel – nur ändert das nichts an der Kerndiagose:
In aufgewerteten Wohngebieten wird die alte Infrastruktur einfach verdrängt, in der Regel mit der rechtlichen Keule, statt einen echten Interessensausgleich anzustreben.