Gründerzeitquartiere und sanierte Altbauten – der baulich und ästhetische Rahmen der Gentrification schien lange Zeit klar umrissen. Die steigende Preise und das knappe Wohnungsangebot in den Aufwertungsgebieten führen jedoch regelmäßig zu einer Expansion der Gentrification. Eine Expansion in benachbarte Quartiere, Dachgeschosse und Neubauanlagen und nun auch in die innerstädtischen Plattenbauten.
Ein Radiobeitrag bei DeutschlandRadio „Luxus-Sanierung verändert Berliner Stadtbezirke“ (mp3, 4:02 min.) erklärt wie es dazu kommen konnte und zitiert eine Plattenbau-Neubewohnerin:
„Also ich bin absoluter Mitte-Mensch und suche immer Wohnungen in Mitte. Und jetzt geh ich mal vom Altbau in eine Platte und das ganz gezielt. Das ist einfach trendy im Moment.“
Den Radiobeitrag finde ich wirklich gut gemacht, weil eine ganze Reihe von O-Tönen die unterschiedlichen Perspektiven der Veränderungen ganz gut auf den Punkt bringen. Ein junger Mann mit schwarzer Designerbrille findet es toll, am Abend nach der Arbeit noch in die vielen Gaststätten gehen zu können, eine New Yorkerin freut sich über die billigen Wohnungen hier, eine junge Familien berichtet von der Schwierigkeit was Größeres zu finden und einem Altmieter kommen fast die Tränen, weil sich alles verändert hat und sein Haus saniert werden soll.
Hier ein paar Passagen aus der Reportage:
Lifestyle der Neue Mitte:
Der vierstöckige Altbau ist neu saniert, frisch verputzt, sandfarben gestrichen. Stuck an den Decken, aufgearbeitete alte Originalfliesen im Flur. Das Haus passt in die Neue Berliner Mitte. Und die gutverdienenden Mieter ebenfalls. Mieten bis zu 9 Euro kalt werden mittlerweile in besonders beliebten Wohnvierteln wie in Friedrichshain, Prenzlauer Berg oder Mitte bezahlt. Der junge Mann mit der schwarzen Designerbrille wohnt gerne hier:
„Ich empfinde meine Mieten hier in Mitte als angemessen. Und ich wohne gerne hier, weil ich mich freue, wenn ich Abends von der Arbeit komme, dass ich hier viele Gaststätten finde und wenn ich mal Zeit habe, dass ich in viele Galerien gehen kann. Mehr brauche ich zum Glücklichsein nicht. Man muss natürlich dazu entschließen, wenn man hier wohnen möchte, dass man einen Großteil seines Einkommens dann doch für die Wohnung ausgeben müsste.“
Das Problem mit der Verdrängung:
Für alteingesessene Mieter oder Rentner mit kleinen Einkommen ist in Kiezen die sich die Zugezogenen oder die Schicki-Micki-Scene erobert haben, kein Platz mehr bestes Beispiel die Gegend um den Kollwitzplatz.
„ick wohne in dem Haus seit 50 Jahren. Es hat sich alles verändert – was früher war, is nicht mehr. (…) der Nachteil ist das jetzt luxussaniert werden soll und wir alle raus müssen. Kein Mensch weiß wohin, das ist alles sehr schlecht“
Von den Schwierigkeiten der Wohnungssuche:
Wer unbedingt in seinem Kiez wohnen bleiben will und meint, eine alte DDR-Plattenbauwohnung sei eine viel preiswertere Alternative zum sanierten Altbau, wird ebenfalls enttäuscht. Bei Besichtigungsterminen, für die in den 80er Jahren entstandenen Plattenbauwohnungen in beliebten Vierteln, reicht die Warteschlange der gutverdienenden Interessenten inzwischen einmal rund ums Haus. Voller Begeisterung hält Steffi Pianca den Schlüssel für ihre neue Wohnung in der Hand. Grober grauer Waschbeton außen – kleine Zimmer und dünne Wände innen. Egal, Hauptsache die Gegend stimmt:
„Also ich bin absoluter Mitte-Mensch und such immer Wohnungen in Mitte. Und jetzt geh ich mal vom Altbau in eine Platte und das ganz gezielt. Das ist einfach trendy im Moment.“
hallo, also das ist schon alles recht pervers, was speziell in berlin passiert. einerseits hätten wir da die „schleichende gentrifizierung“ zu beklagen, ein prozess, der sich über mehrere jahre hinzieht. beispiele hierfür sind der stadtteil prenzlauer berg, der sich in den letzten 3-4 jahren vom „alternativen wohnquartier“ endgültig zur „szene-location“ der besserverdiener gewandelt hat. aber auch in sogenannten problembezirken wie neukölln zeichnen sich neuerdings solche entwicklungen ab (ein wirklich gut gemachtes video zu dem thema kann man sich hier anschauen: http://vimeo.com/16116523). was aber andererseits noch viel schlimmer ist, ist die (durch den berliner senat geförderte) „brachial-gentrifizierung“ im bereich des sozialen wohnungsbaus, die sich binnen weniger wochen vollzieht. durch die privatisierung von immobilien dieser art, in kombination mit einer diskriminierenden gesetzgebung (wohnbindungsgesetz et al. – das BGB bzw. der mieterschutz wird dadurch außer kraft gesetzt) erhalten immobilienspekulanten die chance, quasi von heute auf morgen sämtliche sozial schwache mieter zu entmieten. nettokaltmieten bis zu 21,– euro pro quadratmeter können binnen 14 tagen (!) eingefordert werden, wenn die länderseitige anschlussförderung wegfällt (was derzeitig an die 30.000 wohnungen in berlin betrifft). verbleiben noch ca. 150.000 wohnungen, über denen das „damoklesschwert kostenmiete“ weiterhin schwebt. vielen mietern (v.a. familien) bleibt da nur noch das ausweichen in randgebiete oder eben in die platten, die ja nun offensichtlich für ein bestimmtes klientel auch „trendy“ geworden sind (hauptsache zentral). man hat dabei das gefühl, dass der berliner senat (speziell die stadtentwicklungssenatorin frau ingeborg junge-reyer) eine gezielte verdrängungsstrategie zugunsten „kaufkräftiger zielgruppen“ betreibt, die dazu auch noch gegen geltendes recht zu verstoßen scheint (s. dazu http://www.sozialmieter.de/2011/02/berliner-woche-genehmigt-der-senat-hohere-mieten-als-erlaubt/ bzw. http://www.sozialmieter.de). die sozial schwächeren bleiben dabei jedenfalls gnadenlos auf der strecke… rh
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wer soviel für ne platte bezahlt ist selber schuld! ich bin in einer DDR betonfestung groß geworden, mich bekommt da keiner mehr rein auch wenn man mir monatlich geld geben würde statt mietzahlungen. ist doch irgendwie schlimm wenn man hört was der nachbar grad im tv sieht!
mir tun nur die omis leid die jetzt da raus müssen.
wie kann denn sowas bitte zum trend werden?
Es ist sicherlich nur ein ganz großer Zufall, dass die angebliche Plattenbau-Neumieterin, die das Wohnen in der Platte „trendy“ nennt, genauso heißt wie die Pressesprecherin der Wohnungsbaugesellschaft Mitte (WBM): Steffi Pianka. Der WBM gehören zufälligerweise auch alle Plattenbauwohnungen in der Spandauer und Rosenthaler Vorstadt.
Die Geschichte wirft ein schlechtes Licht auf das DeutschlandRadio, das sich so einen PR-Mist unterjubeln lässt. Noch übler finde ich allerdings, dass das öffentliche Wohnungsunternehmen WBM offenbar seine Pressesprecherin undercover als begeisterte Mieterin vorschiebt, um die Werbebotschaft „Platte in Mitte ist trendy“ als scheinbar unabhängiges Statement in die bundesweite Öffentlichkeit zu bringen. Abstoßend.
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