In den akademischen und auch politischen Debatten zur Gentrification taucht regelmäßig die Frage nach den möglichst eindeutigen und zuverlässigen Indikatoren für solche Entwicklungen auf. Wegen der Vervielfältigung der Aufwertungsmuster und der Schnelllebigkeit von Lebensstil-Trends eignen sich veränderte Konsummuster und ihre Infrastrukturen nur noch eingeschränkt als Gentrification-Indiz. Weder der Sushi-Index (New York der 1980er Jahre) noch die Häufigkeit der Latte-Macchiato-Bars (Berlin der 1990er Jahre) dürften uns heute sinnvolle Hinweise auf eine beginnende Gentrification geben.
Wenn wir den Prozess der Aufwertung jedoch nicht als Ausdruck eines besonderen Mittelklasse-Lebensstils verstehen wollen, sondern in erster Linie als einen immobilienwirtschaftlichen Inwertsetzungsprozess, können häufige Eigentümerwechsel und steigende Bodenpreise als Vorboten der Gentrification betrachtet werden.
Die Berliner Zeitung berichtet unter dem Titel Anleger investieren in „Betongold“ über den jüngst herausgegebene (vorläufige) Bericht des Gutachterausschusses in Berlin, der für das Jahr 2010 Immobilienverkäufe in der Höhe von 8,5 Mrd. Euro festgestellt hat (2008: 7,2 Mrd. Euro / 2009: 6,5 Mrd. Euro):
Mietshäuser in der Innenstadt sind bei den Investoren besonders beliebt. In Mitte, Friedrichshain-Kreuzberg und Neukölln wurden 2010 am meisten Mietshäuser verkauft.
Für die Bezirke Mitte und Friedrichshain-Kreuzberg weisen die Daten des Gutachterausschusses mit jeweils etwa 200 verkauften Mietshäusern die höchsten Aktivitäten aus. Insgesamt wechselten Wohnhäuser im Gesamtwert von 2.9 Mrd. Euro den Besitzer – eine Steigerung um 53 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Damit liegt der Handel mit Bestandsimmobilien mittlerweile über den Verkaufsumsätzen von Eigentumswohnungen und Eigenheimen (2,4 Mrd. Euro) und dem Verkauf von unbebauten Grundstücken (0,6 Mrd. Euro).
Wo viel verkauft wird, steigen auch die Mieten. Eine Wohnungslagen-Karte der Financial Times Deutschland zeigt, dass es kaum noch preiswerte Wohnungen in der Berliner Innenstadt gibt. Größere Nachbarschaften mit ‚einfacher Wohnlage‘ innerhalb des S-Bahn-Ringes (schwarze Linie) beschränken sich auf Moabit, Teile von Wedding und Teilen von Neukölln.
Steigende Grundstückspreise in der Innenstadt
Auch die Preise für Wohnhäuser in den angesagten Innenstadtquartieren sind deutlich angestiegen:
Besonders begehrt waren Wohnhäuser in den Bezirken Mitte, Friedrichshain-Kreuzberg und Neukölln. Die durchschnittlichen Preise der Mietshäuser stiegen von 680 Euro auf rund 730 Euro je Quadratmeter Geschossfläche. Kehrseite des Immobilienbooms: Die Gewinnerwartungen der Investoren führen zu stark steigenden Mieten beim Abschluss neuer Verträge.
Der anhaltende Verkaufsboom in den Berliner Aufwertungsgebieten ist auf die hohen Gewinnerwartungen der Anleger/innen und Investor/innen zurückzuführen. Die Berliner Zeitung zitiert Andreas Habath vom Immobilienverband Deutschland (IVD):
„Berlin ist wie ein Magnet“, sagt Andreas Habath, Vorstandsmitglied des Immobilienverbandes Deutschland (IVD) in Berlin-Brandenburg. Die einen legen sich Wohnungen zu, weil sie berufsbedingt in die Stadt ziehen, wie Wissenschaftler, Schauspieler oder Journalisten. Die anderen, um ihr Geld inflationssicher in „Betongold“ anzulegen. Immer häufiger kommen neben deutschen Anlegern Investoren aus dem Ausland. Vor allem aus Skandinavien, aber auch aus Irland, berichtet Habath.
Finanzialisierung der Aufwertung und Rental-Gentrification
Als Beispiel für die große Beliebtheit der Berliner Wohnungen für skandinavische Anleger/innen wird der Norweger Einar Skjerven vorgestellt, der mit seiner Firma Industrifinans Immobilienfonds auch in Berlin anbietet:
„Berlin ist bei Wohn-Immobilien die attraktivste Stadt in Deutschland“, sagt Skjerven. Er hat in den vergangenen Jahren etwa 1400 Wohnungen für rund 140 Millionen Euro in der Stadt erworben. Um 3 bis 4,5 Prozent jährlich könne er die Mieteinnahmen in seinen Häusern erhöhen. Vor allem durch den Abschluss neuer Verträge mit höheren Mietpreisen.
Wie das Geschäft mit den steigenden Mieten funktioniert, zeigt ein Porträt des norwegischen Geschäftsmodelles in der FAZ: Die Rosenpicker von Oslo
Skjervens Beuteschema ist klar definiert: Er sucht vollvermietete Mehrfamilienhäuser. Saniert sollen sie sein, aber nicht zu luxuriös, weil sonst die Anschaffung zu teuer wird. Ramponiert dürfen sie wiederum auch nicht sein, denn seine Firma tritt nicht zur Sanierung an, „außerdem wollen wir keinen Leerstand riskieren“, sagt Skjerven.
Zwölf primäre Investitionsgebiete sind festgelegt, zehn weitere „Kieze“ gelten als Alternativen, alle liegen innerstädtisch und in Gebieten mit guten Sozialdaten. Das sind die Verlockungen der typischen Mieterstadt Berlin, so Skjerven: „Einkünfte sind dann immer gesichert.“ Gleichzeitig seien die Kaufpreise für viele Gründerzeitaltbauten nach wie vor moderat.
Stolz präsentiert das norwegische Unternehmen daher seine Zahlen: Im Prenzlauer Berg steigen in den Häusern von Industrifinans die Mietpreise von 6,50 Euro auf 8,50 Euro pro Quadratmeter, wenn eine Wohnung neu vermietet wird. Und selbst in Friedrichshain und Kreuzberg, die zu den eher ärmeren Stadtteilen von Berlin zählen, klettern die Mieten in bestimmten Straßenzügen mittlerweile von zuvor 5,90 auf 7,50 Euro.
Die für die Immobilienwirtschaft kurzfristigen Gewinnerwartungen (zehn Jahre!) und das Geschäftsmodell der Immobilienfonds verweisen auf eine zunhmende Finanzialisierung der Aufwertungsökonomie in Berlin. Statt traditioneller Wohnungsunternehmen wird der Takt der Aufwertungsdynamiken vor allem in Kreuzberg und Neukölln mittlerweile von solchen Anlagemodellen bestimmt. Strategien der Gewinnmaximierung ohne wesentliche Modernisierungsinvestitionen können dabei als Rental-Gentrification beschreiben werden, bei der sich die Ertragslücken aus der wachsenden Differenz von Bestands- und Neuvermietungsmieten ergeben.
Die nächsten Objekte auf der Kaufliste von Industrifinans liegen in Kreuzberg und bestätigen in der Einschätzung des norwegischen Investors die bestehenden Aufwertungsbefürchtungen:
Ein Name wie „Graefekiez“, beteuern sie, sei doch vielen Leuten in Skandinavien längst ein Begriff. Kreuzberg sei sehr angesagt, das klinge gut in den Ohren der Anleger, das gilt auch für „Wrangelkiez“. Kreuzberg sei das neue Prenzlauer Berg, sagen manche in der Szene bereits. Dem Stadtteil stehe eine Entwicklung bevor, wie sie in Prenzlauer Berg vor zehn Jahren einsetzte.
Man darf gespannt sein, ob zumindest die letzte Einschätzung (Kreuzberg ist das neue Prenzelberg) wirklich so eintreten kann oder ob heute nicht eine zunehmende Politisierung des Themas Wohnen – auch durch die Kreuzberger EinwohnerInnen – da zumindest teilweise Einfluss auf diese Entwicklung nehmen kann. Für eine wirkliche Gegenentwicklung fehlen der Bezirkspolitik alleine leider die Ressourcen.
Mieterprotest in Neukölln
Wir möchten in unseren Wohnungen bleiben.
Wir möchten in diesem unseren Kiez bleiben.
Wir möchten unsere Nachbar_innen behalten.
Wir wollen nicht nur noch von Nachbar_innen umgeben
sein, die sich 8€/m2 oder mehr leisten können und unsere
Lebensrealitäten nicht teilen und verstehen.
Mieter_innen der Fuldastr. 31/32 und des Weichselplatz 8/9
http://fuldaweichsel.wordpress.com/
ich frage mich immer mehr, was das noch mit SOZIALER marktwirtschaft zu tun haben soll. auch wenn ich davon ausgehe, dass sich kreuzberg, neukölln und der wedding nicht so schnell und wenn dann in anderer weise transformieren lassen wie zb der prenzlauer berg. der sehr deutliche unterschied ist die mieterstruktur. im besonderen der hohe migrantenanteil. diese leute sind oft viel beständiger und verfügen über ein festeres wohnumfeld. außerdem sind die nicht so pingelig und leben auch mal locker zu sechst in einer dreiraumwohnung – ziehen also dementsprechend eher selten um.
ich vermute, dass die gentrification auch etwas anders aufgerollt wird. als erstes werden diesmal nicht die altbauten in wenigen jahren saniert, sondern insbesondere durch neubauprojekte werden die impulse gegeben. dafür gibts ja schon einige indizien. ich bin gespannt, wie lange der widerstand gegen carlofts und co noch so massiv anhält.
weiss jemand,ob diese „wir bleiben alle“- kampagne irgendwas mit der gleichnamigen kampagne der berliner hausprojekte zu tun hat ?prinzipiell ein lobenswerter ansatz, sich als hausgemeinschaft zusammenzutun und gegen gentrifizierung zu kämpfen.mietstreiks und hoffeste zu organisieren.solange sich jedoch die ganzen szenekneipen diese „wir bleiben alle“ fähnchen in ihre neusanierten fensterläden hängen,lässt sich euch nur fehlendes problembewusstsein unterstellen.diese zwei häuser sind nicht die ersten und erst recht nicht die letzten,die jetzt und in zukunft entmietet,saniert,luxussaniert und dann als eigentumswohnungen umgewandelt werden.abgezeichnet hat sich das problem schon mit den ersten läden,die die hippness in den kiez brachten.zitty wurde vom pr-manager einer kneipe zur eröffnungsfeier eingeladen,weserraketen (gentrifizierungssausen der goldgräberstimmung) wurden veranstaltet.am anfang für viele ein grosser spass…kaum jemand,der dabei nicht mitmachen wollte.Seid ca. 3 jahren werden die mieten teuer,die häuser saniert und hartz IV bezieher_innen kriegen post vom amt,dass sie umziehen müssen.und jetzt !?
klar ist das problem der kapitalismus,das system, in dem wir leben und der zustand,dass unser gesamter lebensraum zur ware wird.aber bis zur abschaffung desselben,macht es nunmal einen riesen unterschied, wie die leute darin agieren.Im fall gentrifizierung: ob sie sich aufwertend für einen kiez verhalten oder eben nicht.den kiez für ihre jeweilige szene reclaimen wollen, oder einfach mal so tun als kämen sie von hier, sich für das bestehende interessieren und sich mit szeneuntypischen leuten aus dem viertel solidarisieren,auch wenn das manchmal anstregend seien kann.neukölln braucht keine neue szenekneipen,zitty-artikel,hostels,hausprojekte,szenige-strassenfeste,street-art oder dergleichen.neukölln braucht sichtbare abwertung, und stattdessen stille aufwertung,also eine aufwertung ausserhalb jeglichen szenezusammenhangs, für leute,denen verdrängung am meisten weh tun wird,nämlich die leute für die der kiez kein gastrokommerzieller erlebnisbereich ist,sondern ihr zuhause und das nicht erst seid gestern.
bleibt für neukölln abschliessend die frage zu stellen,ob der zug nicht schon abgefahren ist und die gentrifizierungskarawane jetzt einfach weiterzieht.wenn ja, dann gäbe es im nächsten stadtteil die möglichkeit, etwas anders zu machen. wenn nicht sind gründungen von mietergemeinschaften in vielen häusern natürlich sehr sinnvoll.wichtig hierbei jedoch ist, dass sich jeder und jede über ihre eigene rolle in diesem aufwertungsprozess bewusst wird und sich entscheidet ob er oder sie ein teil davon sein möchte oder nicht.also ob mensch mit kneipen und leuten zusammenarbeiten möchte,die offensichtlich ein ganz anderes ziel verfolgen.
mal ne kurze frage zu den mietpreisen pro qm. sind das die kaltmietpreise mit oder ohne betriebskosten?
alles netto-kalt. Also ohne Betriebskosten und und Heizkosten.
danke für die schnelle info 🙂