Seit Jahren werden Mieterorganisationen und Stadtteilinitiativen, die vor den steigenden Mieten in Berlin warnen mit dem Argument des angeblich „entspannten Wohnungsmarktes“ konfrontiert. Eine besonders beliebte Legitimationsfigur ist der Verweis auf die Mietentwicklung in anderen Städten. Vor allem in München und Hamburg würden viel höhere Mieten gezahlt. Das stimmt, doch Mietpreise müssen dabei auch immer zu den regionalen Einkommensstrukturen ins Verhältnis gesetzt werden. Und gerade die Einkommen sind in Berlin („arm, aber sexy“) gerade nicht im Übermaß gestiegen. Ganz anders sieht es für die Mieten im Altbaubereich aus…
Einer Studien des Immobilienverbandes Deutschland (IVD) zufolge sind die Altbaumieten in Berlin stärker gestiegen als in anderen Großstädten. Auf finanzen.net werden verschiedene Studien zur Miet- und Kaufpreisentwicklung in deutschen Großstädten vorgestellt: „Gute Lage schützt doch vor Inflation„. Während Eigenheimbesitzer häufig sogar mit einem Wertverlust ihrer Immobilien zu rechnen hätten, lohnen sich Investitionen in den Altbaubestand.
Der Immobilienverband Deutschland (IVD) hat nun in einer Studie nachgewiesen, dass es in den sieben deutschen Topstädten – Berlin, Hamburg, München, Frankfurt, Stuttgart, Köln und Düsseldorf – überwiegend einen hinreichenden Inflationsschutz gibt.
Eine Grafik zeigt, dass der „Inflationsschutz“ in Berlin besonders nachhaltig aufgeprägt ist. Im Zeitraum von 1977 bis 2009 stiegen hier die Mieten deutlich schneller als in den anderen Städten.
Kein Wunder also, dass auch die wohnungspolitischen Proteste in Berlin an Fahrt aufnehmen. Hier eine kleine Auswahl von Mitmachmöglichkeiten in der nächsten Zeit:
- 24.06.2011 (Freitag), 16.00 -19.00 Uhr, Kottbusser Tor / Ecke Admiralstraße: Hohe Mieten Stoppen! Uns Reichts! Aktionstag der Mieter und Mieterinnen am Südlichen Kottbusser Tor
- 26.06.2011 (Sonntag), 14.00-18.00 Uhr, New Yorck, Südflügel Bethanien,Marianneplatz 2a: „stadtvernetzt“ Treffen des Netzwerks stadtpolitischer Initiativen
- 01.07.2011 (Freitag), SfE, Mehringhof, Gneisenaustr. 2a: Folgetreffen der wohnungspolitischen Konferenz
- 03.09.2011 Schon mal zum Vormerken: Die große Mieten-Stopp-Demo
Hallo Andrej,
einerseits beklagst Du dass die Mieten in Berlin schneller gestiegen sind als in anderen (west-)deutschen Großstädten um gleichzeitig zu fordern dass die Mieten in Verhältnis zu Lohnentwicklung zu sehen sind. Das Diagramm zeigt recht deutlich, dass die besondere Mietentwicklung in Berlin massgeblich durch die Nachwendezeit geprägt wurde. Gerade im Osten hat es durch die Wende aber auch einen enormen Lohnschub gegeben: ein Arbeiter in der DDR hatte einen Durchsnittsbruttolohn von 1150 Ostmark (1988 einschl. sämtlicher Zuschläge). Dies wären jetzt umgerechnet rund 300€ Brutto für eine 46h Arbeitswoche wohlgemerkt! Die heutigen Löhne sind da auch in (ost-)Berlin um das fünf bis sechsfache höher.
Man könnte jetzt einwenden dass die Löhne im Osten ja nur (und nicht vollständig) zum Lohnniveau im Westen aufholen und noch Aufholbedarf besteht…. aber genau das selbe gilt auch für die Mieten. Deshalb sollten also, wie Du schon gefordert hattest, die Mietpreisentwicklung in Bezug zu der Lohnentwicklung setzen. Gerade in Berlin.
Ansonsten fällt mir auf, dass in dem Diagramm die Mietenwicklung mit der allgemeine Inflation in Bezug gesetzt wird. Journalisten machen dies aus populistischen Erwägungen gerne aber es ist ein unpassender Vergleich da in die allgemeine Inflation sehr unterschiedliche und nicht zum Bau- und Wohnungswesen gehörige Preise eingerechnet werden. Passender wäre da der Baupreisindex der ja den Ersatzwert der Mietsache beschreibt. Gerade die stark gestiegenen Kosten für Dämmung und Umweltschutz an Bauwerken haben die Kosten und den Wert stark überproportional ansteigen lassen und die stetig steigenden Ansprüche an energieeinsparende bauliche Beschaffenheiten werden auch in Zukunft die Wohnkosten weitaus stärker ansteigen lassen als die meisten sonstigen Kosten die in den Inflationsindex eingehen. Das ist aber keine Gentrification sondern angewandter Umweltschutz und praktizierte Nachhaltigkeit.
viele Grüße,
Andreas
Lieber Andreas,
ja, guter Einwand – aber… Eine genauere Betrachtung der Grafik hätte dir gezeigt, dass ausgerechnet in den Jahren der von dir beschriebenen Lohn- und Einkommensanpassung in Ostberlin (1990 bis 2001) die Mieten praktisch stagnierten und eine überdurchschnittliche Mietpreissteigerung in den 1980er und 2000er Jahren zu beobachten war. Das Bild von der aufholenden und nachholenden Entwicklung passt da nicht ganz und müsste zumindest anders erklärt werden. Zumal ja in der Auswertung des IVD auch nur die Altbaubereiche in guter Wohnlage berücksichtigt wurden. Die gab gerade in den Ostberliner Gründerzeitquartieren nur mit wenigen Ausnahmen, so dass die Mietsteigerungen, die etwa auf die administrative verordnete Mietenanpassung Anfang/Mitte der 1990er zurückzuführen sind, in der Grafik nicht berücksichtigt werden. Die Mietentwicklung in den jetzt als ‚gute Wohnlage‘ deklarierten Altbaubestände in Mitte oder Prenzlauer Berg über die Lohnanpassung ostdeutscher Arbeitnehmer/innen zu erklären dürfte schwerfallen, weil die für die Nachfrage in diesen Nachbarschaften nur eine untergeordnete Rolle spielen.
Deinen Einwand zum Vergleich der Mietentwicklung zur allgemeinen Inflation teile ich. Aber der war auch nicht mein Argument. Vielmehr ging es mir darum, die Mietpreisdynamik in Berlin in ihrem Verhältnis zu anderen Städten setzen um die Rethorik des ‚entspannten Wohnungsmarktes‘ zumindest für den Bereich der Altbauten in guter Lage zu hinterfragen.
Beste Grüße,
AH
Hallo Andrej,
Du hast recht, selbstverständlich sind die Mietsteigerungen und die Lohnsteigerungen in Berlin weder kausal verknüpft noch unmittelbar zeitgleich abgelaufen. Es ging mir nur darum aufzuzeigen, dass die Mietpreisentwicklung jedoch nicht im Luftleeren Raum stattfindet und wenn jemand fordert die Mieten sollten bei sinkenden Einkommen auch sinken, dann müssten sie bei steigenden Einkommen auch angehoben werden dürfen. Wer „A“ sagt muss auch „B“ sagen.
In Berlin sind die Löhne nach der Wende sprunghaft angestiegen und zeitversetzt im Nachgang dazu passen sich die Mieten an. Das ist auch die Reihenfolge die in München, Düsseldorf London und NY zu beobachten war und ist. Dem Wohnkostenanstieg in Gentrifizierungsgebieten ging stets ein Anstieg im Wohlstand voraus. Eine Teuerung kann sich nur dann auf dem Markt behaupten wenn zuvor jemand in die Lage versetzt wurde diese zu bezahlen.
viel Grüße,
Andreas
PS: der Einwand mit der allgemeinen Inflation war nicht an Dich gerichtet. Das Diagramm ist ja aus der WELT.