Berlin: Steigende Mieten durch Umzugsketten

In Fachdebatten und wohnungspolitischen Diskussionen wird ja immer mal wieder darüber gestritten, ob denn nun die Gentrification oder die allgemeine Wohnungsmarktentwicklung für die steigenden Mieten verantwortlich zu machen sei.

Ausgerechnet der Immobilienverband Deutschland (IVD) gibt mit seinem IVD-Marktmietspiegel eine Antwort: sowohl als auch.

Die neuesten Zahlen zur Mietentwicklung weisen für den Zeitraum von 2009 bis 2011 einen durchschnittlichen Anstieg der Neuvermietungsangebote in Berlin von über 7 Prozent auf. In vielen Stadtteilen liegen die Steigerungen deutlich über den Durchschnittswerten. Darunter neben den üblichen Verdächtigen Prenzlauer Berg, Mitte und Friedrichshain-Kreuzberg auch Bezirke wie Neukölln, Lichtenberg und Tempelhof-Schöneberg.

Neben den klassischen Aufwertungsgebieten sind es vor allem die bisher preiswerten Innenstadtlagen, in denen die Mieten besonders stark steigen. Als Ursache dafür werden die Verdrängungsprozessen aus den bereits gentrifizierten Gebiete angesehen.

Umzugsketten-Aufwertung in Berlin

Die IVD-Übersicht zu den Mietdynamiken in den Berliner Bezirken zeigt, der Druck auf die lokalen Wohnungsmärkte ist unterschiedlich stark ausgeprägt. Vor allem die Innenstadtquartiere weisen deutlich höhere Steigerungsraten auf. Simple Dampf-Kessel-Argumentationen (Mieten steigen, weil der steigenden Nachfrage ein stagnierendes Angebot gegenübersteht) können diese Differenzierung nicht wirklich gut erklären. Die Gentrification-Forschung bietet zumindest einige Ansätze. Versuch einer Erklärung:

In der Analyse der Marktmieten wird zwischen Standard- und Vorzugslagen unterschieden und eine separate Betrachtung dieser Kategorien hilft, das Geheimnis der steigenden Mieten in Berlin zu ergründen. In den sechs benannten Bezirken weisen die Steigerungsraten in beiden Wohnlagenkategorien Steigerungen über den Durchschnittswerten auf und können als Zentren der Mietsteigerungsdynamik in Berlin bezeichnet werden.

Auffällig ist, dass in den bereits weitgehend aufgewerteten Gebieten (Prenzlauer Berg, Mitte und Friedrichshain) jeweils in den Vorzugslagen die höheren Steigerungsraten zu verzeichnen sind. Prenzlauer Berg (+12,9 Prozent) und Mitte (+14,4 Prozent) gehören mit Wilmersdorf-Charlottenbrug und Steglitz Zehlendorf sogar zu den teuersten Wohnlagen in  Berlin.

In den benachbarten bzw. nahliegenden Innenstadtquartieren (Lichtenberg, Neukölln, Tempelhof-Schöneberg) hingegen sind es vor allem die Standardlagen, in denen die Mieten deutlicher gestiegen sind. In den Bezirken Lichtenberg (14,4%) und Neukölln (13,7%) wurden riesige Mietsprünge für die einfachen Wohnlagen festgestellt. Die beiden Bezirke gehören neben Spandau und Marzahn-Hellersdorf zu den preiswertesten Beständen der Stadt.

Interpretation der vorliegenden IVD-Daten

Die Mietsteigerungen in den Innenstadtbezirken sind deutlich höher als in den Außenlagen der Stadt und konzentriert sich auf die teuersten und die bisher preiswertesten Lagen. Die Erklärung für diese polarisierte Entwicklung bietet der im Neuen Deutschland zitierte IVD-Makler Andreas Schorlies an:

Der IVD-Sachverständiger Andreas Schorlies sieht den Grund dafür in einem »Überschwappen« von Wohnungssuchenden aus Prenzlauer Berg oder Friedrichshain, die dort keine preisgünstigen Wohnungen mehr finden. Ähnlich dürfte es sich mit Neukölln verhalten, wo die Mieten um 13,7 Prozent anstiegen.

Das wirklich besserverdienende Klientel zieht also weiter in die Aufwertungsgebiete und dort vor allem in die Vorzugslagen – während die von dort verdrängten Haushalte auf die bisher preiswerten Standardbestände in den benachbarten Quartieren drängen und dort zu drastischen Mietpreissteigerungen beitragen. Solche Umzugsketten-Aufwertungen, bei denen die Verdrängten aus den bereits vollständig gentrifizierten Gebieten zugleich Aufwertungsakteure in den noch nicht gentrifizierten Nachbarschaften sind, werden in der internationalen Forschung als Domino-Gentrifcation beschrieben.

Was sagt uns das?

Die auf den ersten Blick merkwürdige Gegenüberstellung von Gentrification und allgemeiner Wohnungsmarktentwicklung scheint eine Nebelkerze der wohnungspolitischen Debatte zu sein, die vermutlich auf den Wunsch zu möglichst simplen Erklärungen für komplexe Wohnungsmarktprozesse zurückgeht.

Die Beschränktheiten beider Positionen liegen dabei relativ deutlich auf der Hand: An der traditionellen Gentrification-Perspektive mit Blick auf einzelne Quartiere festzuhalten, bedeutet den gesamtstädtischen Wohnungsmarkt auszublenden. Sich auf eine einseitige Betrachtung von Nachfrage-Angebots-Verhältnissen zu kaprizieren, verbaut den Blick auf die spezifischen Dynamiken in einzelnen Quartieren. Eine sinnvolle Analyse des Wohnungsmarktes erscheint mir nur auf der Grundlage einer Verknüpfung möglich.

Die weit verbreitete Banaliserung der Gentrification als lebensstilgetriebener Prozess des Bevölkerungsaustausches hat leider dazu beigetragen, dass die schlüssigen Erklärungsmodelle für die immobilienwirtschaftlichen Ursachen der Aufwertung, die von der internationalen und kritischen Gentrificationtheorie entwickelt wurden, bisher nur einen eingeschränkten Eingang in die wohnungspolitischen Diskussionen hierzulande gefunden haben.
Aber was nicht ist, kann ja noch werden: Die MieterGemeinschaft bietet beispielsweise für Interessierte ein wohnungspolitisches Seminar an, in dem wichtige Grundlagen der Wohnungspolitik erarbeitet werden können.

4 Gedanken zu „Berlin: Steigende Mieten durch Umzugsketten

  1. Hallo,

    ich habe mal eine Bitte an dich. Könntest du mal einen Artikel über die GSW in Berlin schreiben? Wir werden nämlich schon seit über einem Jahr von der Gesellschaft auf gut deutsch verarscht!!!
    Wir leben zu dritt in einer 2 Zimmer Wohnung in Kreuzberg und versuchen vergeblich seit mehreren Jahren eine 2 1/2 Zimmer Wohnung im selben Haus zu ergattern! Uns wurde verischert, dass wir, wenn wir alle Unterlagen vollständig haben, wir ja auch sicherlcih bevorzugt werden. Da wir seit 23 Jahren in dem Haus wohnen und wir auch vorbildliche Mieter sind, da wir keine Mietschulden haben und engagiert sind im Kiez!!! PUSTEKUCHEN!!! Kaum reiche ich die restlichen Unterlagen ein, wird mir freundlcih mittgeteilt, dass die Wohnung doch jetzt vergeben ist! WIE GEHT DAS INNERHALB EINER WOCHE? Meine Mutter ist leider ab Oktober arbeitslos… Dann noch eine Wohnung zu finden in Kreuzberg wäre utopisch. Ich musste mal meinen frust hier ablassen…
    Heute werde ich auch für meine Mietrechte laut auf der Demo Bunt statt Braun!!!!

  2. Hallo Andrej,

    die Trennung von allgemeiner Wohnungsmarktentwicklung einerseits und der Gentrifizierung andererseits hat durchaus sinn:

    Erstens erfordert die betrachtung Gentrifizierung zwangsläufig eine örtliche Begrenzung denn um einen Zuzug, Abzug und eine resultierende Verdrängung feststellen zu können bedarf es zuvor notwendigerweise der Definition eines „Innen“ und eines „Aussen“.

    Zweitens gibt es neben der Gentrifizierung zahlreiche andere Preisbestimmende Faktoren die regional oder global wirken ohne dass ein Austausch von Bevölkerungsgruppen stattfindet.

    Wenn man ein Phänomen einigermassen objektiv beurteilen will muss man es möglichst isoliert betrachten. Ich bin mir sicher das wusstest Du alles schon, aber Du hast manchmal den Hang dazu selber in die Polemik abzudriften. Was die Nebelkerzen angeht: es genügt nicht darauf hinzuweisen dass es welche gibt sondern man muss auch aufhören selber welche zu werfen 😉

    viele Grüße,

    Andreas

    PS. @Maya: eine persönliche Frage: warum willst Du unbedingt eine andere Wohnung im selben Haus? Ich treffe immer wieder Leute die diese Forderung stellen und frage mich immer weshalb. Zuletzt war es eine 78 Jährige in Solingen mit der ich sprach und ich hatte ziemliche Schwierigkeiten sie zu überzeugen dass bei der Sanierung eine art Bäumchen-wechsel-dich Spiel der Wohnungen notwendig sei. Sie wollte partout eine Unterbringung im selben Haus und war auch bereit den Dreck und den Lärm der Baustelle dafür hinzunehmen. Letztendlich haben wir sie dazu bringen können eine Wohnung in der selben Strasse zu akzeptieren (50er Sieldungsbau – die Häuser waren sowieso alle gleich). Sie war resolut in ihrem anliegen obwohl es für sie nur Nachteile gebracht hätte und ich verstehe bis heute nicht warum. Bei Dir steht vermutlich keine Sanierung an und dennoch bestehst Du auf das selbe Haus. Warum?

    • „78 Jährige in Solingen … die Häuser waren sowieso alle gleich“

      vll lag es ja daran, dass Häuser nicht nur iwie aussehen, meinetwegen auch alle gleich, sondern dass sie tatsächlich von lebenden Menschen bewohnt sind, die alle unterschiedlich sind, und dass diese vielen unterschiedlichen Menschen in den Häusern die sie bewohnen, miteinander in Kontakt sind, sich sympathisch oder unsympathisch finden, sich gegenseitig helfen und unterstützen, besonders wenn sie älter werden. Leben in sozialen Zusammhängen, das soll es geben, hat nur keinen Platz in der neoliberalen Stadt

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