Flughafen Tempelhof. Kaum ist der Flugbetrieb eingestellt, beginnt schon das Gerangel um die Verwertungsmöglichkeiten. Das ehemalige Hauptgebäude ist mit einem Handstreich des Regierenden Bürgermeisters an die internationale Modemesse „Bread & Butter“ vergeben, der Bund als Miteigentümer will sich die Übertragung seiner Liegenschaftsanteile an das Land Berlin satte 40 Mio. Euro kosten lassen und dass ausgerechnet die Edelarchitekten von GRAFT die Planungen für das neu entstehende Wohngebiete Columbiaquartier übertragen bekommen sollen, lässt auch nicht Gutes erwarten. Anwohner/innen befürchten schon jetzt, dass statt der Flugzeuge künftig die Mieten in den Himmel steigen.
Es lohnt sich also ein Blick auf die stadtentwicklungspolitischen Effekte der Zukunftsplanungen auf dem ehemaligen Flughafengelände. Wie bei alle Großprojekte sind auch hier die Projektebene selbst, die Auswirkungen auf die unmittelbare Nachbarschaft und der städtischen Gesamtkontext zu hinterfragen.
Schöner Wohnen am Rollfeld
Wirklich konkrete Ideen für die Entwicklung des mit über 300 ha riesigen Flughafengeländes gibt es noch nicht. Die Senatsverwaltung wünscht sich eine Internationale Bauaustellung (IBA) und die Internationale Gartenausstellung (IGA) um Zeit und Ideen zu finden. Die bereits abgeschlossenen Wettbewerbe für das sogenannte Columbiaquartier jedenfalls setzen auf hochwertigen Wohnungsbau und werden sich nur über private Investitionen verwirklichen lassen. Der von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung erhoffe Baubeginn 2011 lässt einen baldigen Verkauf von Teilflächen an private Investoren vermuten. Durch die fehlenden Förderprogramme prägen schon jetzt vor allem Bauprojekte mit hochwertigen Wohnungsangeboten das Baugeschehen der Stadt. Neben institutionellen Investor/innen gibt es dabei eine steigende Zahl von sogenannten Baugruppen, die in verschiedenartig organisierten Bauherrenmodellen Eigentumswohnungen errichten. Einige von ihnen haben auch schon deutliches Interesse am Flughafengelänbde signalisiert. Bezogen auf die potentiellen Bauprojekte ist also von sozial exklusiven Wohnangeboten auszugehen.
Vielfach wird argumentiert, dies sei bei der riesigen Fläche doch ganz egal, da genügend Raum für sinnvollere und öffentliche Nutzungen verblieben. Doch dies stimmt nur zum Teil, denn nicht alle Areale des Geländes eignen sich gleichermaßen für eine öffentliche Parknutzung. Durch die fußläufige Erreichbarkeit, die topografische Gestalt und den Pflegestand der Grünfläche bieten sich insbesondere die Randbereiche im Norden und Osten für eine schnell realisierbare Grünflächennutzung an – so jedenfalls die Ergebnisse einer Machbarkeitsstudie des Stadtplanungsbüros topos. Nun will es der Zufall, dass ausgerechnet auf diesen, für die öffentliche Nutzung attraktivsten Flächen die Neubauprojekte realisiert werden sollen. Nicht nur das damit die umliegenden Nachbarschaften der Vorzüge einer Parknähe beraubt werden, ehe die Zäune des Flugfeldes sich öffnen – auch die Durchsetzungsfähigkeit der mittelschichtigen Neubewohner/innen wird für sie störende Nutzungen einzuschränken wissen. Statt arabischer Grillfeste und lärmenden Kinderbanden wird es dann wohl eher den Bouleplatz und das kommerzielle Parkcafe geben.
‚Check In‘ der Aufwertung
Die umgehenden Wohnquartiere des ehemaligen Flughafengeländes gehörten bislang zu den ärmsten Gebieten der Stadt mit den preiswertesten Mietpreisen. Insbesondere die Neuköllner Quartiere rangieren im gerade herausgekommenen Berliner Sozialatlas ohne Ausnahme auf den hinteren Plätzen. Im Zusammenhang mit den umfangreichen Entwicklungsmaßnahmen auf dem ehemaligen Flugfeld sind Mitnahmeeffekte für die Wohnungsmärkte der umgebenen Nachbarschaften zu erwarten. Die Etablierung eines höheren Wohnstandards in den Neubauprojekten wird auch auf die Nachbarschaften abstrahlen und Mieterwartungen der dortigen Hauseigentümer/innen steigern. Darüber hinaus werden insbesondere im Bereich von Infrastrukturen, Läden, Freizeitgelegenheiten die anliegenden Quartiere in eine Alltagsnutzung der künftigen Bewohner/innen einbezogen werden. Steigende Gewerbemieten und eine veränderte Angebotsstruktur sind die zu erwartenden Effekte.
Aus Eigentümerperspektive wird die Schließung des Flugbetriebes und erst recht die Aufwertung des ehemaligen Flufhafengeländes als Lageverbesserung wahrgenommen aus denen eine steigenden Verwertungserwartungen abgeleitet wird. Doch noch bietet die bestehende Dominanz von inaktiven Einzeleigentümer/innen einen wirksamen Schutz vor Modernsierungsaktivitäten, denn die wenigsten von ihnen haben genügend Investitionsmittel um mietwirksame Standardverbesserungen zu finanzieren. Doch mit der Attraktivierung des Gebietes oder auch nur seines Rufes werden nicht nur die Grundstückspreise steigen sondern auch die Verkaufszahlen zunehmen. Erwerber/innen von Immobilien jedoch werden sich nicht an langfristige Mieteinnahmen (Rente) sondern an einer möglichst schnellen und profitablen Amortisierung ihres Kapitals (Rendite) orientieren. Die sozialen Wirkungen eines solchen ökonomischen Verwertungsdruckes können zur Zeit in den Ostberliner Aufwertungsgebieten von Prenzlauer Berg und Friedrichshain beobachtet werden. Unabhängig von der tatsächlichen Durchschlagskraft einer solchen Aufwertungdynamik in Neukölln, reichen schon geringe Mietsteigerungen aus, um viele Haushalte an den Rand ihrer Zahlungsunfähigkeit zu bringen. Doch wirklich viele preiswerte Alternativen hat Berlin nicht mehr zu bieten, denn schon jetzt gibt es im Bereich der preiswerten Wohnungen eine deutliche Mangelsituation. Statt einer Verdrängung aus dem Stadtteil droht vielen eine Verdrängung aus dem bisherigen Lebensstandard.
Absturz des Sozialen Wohnungsbaus
Die jährliche Reduktion der sozialen Wohnungsbaubestände, die Halbierung der öffentlichen Wohnungsbestände in seit Anfang der 1990er Jahre und steigende Mietpreise seit etwa 2003/4 kennzeichnen die sozial defizitäre Lage der Berliner Wohnungsversorgung. Der Mangel an kleinen und preiswerten Wohnungen in der Innenstadt wurde gerade erst durch den neuen Mietspiegel bestätigt. Insbesondere vor diesem Hintergrund muss ein ausschließlich oder überwiegend privaten Investor/innen überlassenen Stadtplanung auf dem Tempelhofer Flugfeld kritisiert werden. Denn nichts erscheint mietenpolitisch überflüssiger als weitere Luxuswohnquartiere.
Lange Zeit galt Berlin als Stadt der innerstädtische Baulücken und Brachflächen und Stadtverwaltungen anderer Metropolen beneideten die Berliner Kolleg/innen für diese Planungsressourcen. Durch den überwiegenden Verkauf dieser Flächen (insbesondere in Ostberlin) an private Investor/innen sind diese Vorteile jedoch längst aufgebraucht. Die seit drei/vier Jahren verstärkte Bebauung des Mauerstreifens an der Bernauer Straße etwa erfolgt fast ausschließlich im Bereich der Eigentumsbildung.
Tempelhof sollte daher aus einer gesamtstädtischen Perspektive vor allem als potentieller Raum für einen neuen sozialen Wohnungsbau angesehen werden. Selbst wenn es aktuell nicht ausreichend Ressourcen für einen öffentlichen oder sozialen Wohnungsbau gibt, sollten die Flächen für künftige Bedarfe freigehalten werden. Ein schneller Ausverkauf der potentiellen Bauflächen steht solch einer langfristigen Planung deutlich entgegen. Die Forderung nach einem mehrjährigen Planungsmoratorium, wie sie nach der Schließung des Flugbetriebes von einigen Bürgerinitiativen gefordert wurde, erscheint mir daher immer noch angebracht.
Lässt sich eine solche Langfriststrategie nicht durchsetzen, sollten zumindest soziale Kompensationen bei den privaten Investor/innen eingefordert werden. Eine Möglichkeit der Steuerung privater Investitionen könnte in der vertraglichen Festlegung von Sozialwohnungsquoten liegen, die an die Baugenehmigungen gekoppelt werden. Jede scheinbar private Investition setzt ja eine Reihe von öffentlich finanzierten Vorleistungen voraus und wirkt als langfristige Priorisierung öffentlicher Ausgaben (etwa für Schulen, Infrastrukturen und ÖPNV-Anschlüsse). Insbesondere bei Investitionen auf öffentlichen Grundstücken ist eine Gegenleistung etwa in Form von vertraglich festgelegten Sozial- und Umweltnormen keineswegs absurd, sondern notwendig.
Freiflug für Alle?
Wir sind also bei politischen Fragen der Stadtentwicklung angekommen und müssen leider konstatieren dass die Stadtentwicklungspolitik in Berlin trotz einer formal linken Regierungskoalition in einigen Bereichen neoliberale Züge trägt. Insbesondere die Boden- und Baupolitik orientiert sich fast ausschließlich an den Verwertungsinteressen von privaten Investor/innen. In den kritischen akademischen Debatten der Stadtforschung wird in solchen Zusammenhängen von Immobilien-Verwertungs-Koalitionen gesprochen. Dabei werden die tauschwertbezogeneen Verwertungsinteressen von Immobilienentwickler, Bauherren, der Bauwirtschaft, der Banken und eben von Teilen der Stadtpolitik gegen eine gebrauchswertorientierte Verbesserung städtischer Wohn- und Lebensbedingungen durchgesetzt. Der Widerspruch von Wohnung und Stadt als Einheit von Gebrauchs- und Tauschwert ist dabei eine dauerhafte Spannung, die in der kapitalistischen Organisation der Gesellschaft begründet liegt.
Protestbewegungen und Initiativen sollten sich daher dieses Gegensatzes immer bewusst sein und Konsequent für die Gebrauchswertverbesserungen der Stadt eintreten. Ein Öffnung des Flughafengeländes, die Überführung in nachbarschaftsorientierte Nutzungen, das temporäre Überlassen für kollektive Experimente können als Bestandteil solcher gebrauchswertorientierten Stadtstrategien angesehen werden. Doch schon bei der simplen Frage der Öffnung und Zugänglichkeit des Geländes stehen solche Wünsche im Konflikt mit den Verwertungsinteressen, da der Senat befürchtet, dass sich ungeplante Nutzungen verkaufspreisschmählernd auswirken.
Insofern sind die aktuellen Diskussionen und auch die geplante Besetzung des Flughafengeländes als Teil einer stadtpolitischen Auseinandersetzung zwischen Nutzungsinteressen und Verwertungsorientierungen zu verstehen. Der Flughafen Tempelhof könnte sich dabei zu einem Symbol der Berliner Stadtpolitik entwickeln – ganz ohne Luftbrücke und Rosinenbomer.
(Andrej Holm, leicht überarbeite Fassung meines Beitrages auf der Infoveranstaltung zum Flughafen Templehof am 11.06.2009)
M.W. spielte die Freifläche des Flughafen Tempelhofs bisher eine bedeutende Rolle bezüglich der „Stadthygiene“ (im Sinne einer Kaltluftschneise, die die innerstädtischen Gebites von Neukölln, Kreuzberg mit frischer, kühler Luft versorgen). Solche großen Freiflächen werden in den nächsten 20 Jahren für die erwarteten Temperaturanstiege in Berlin (und Umland) von noch größerer Bedeutung.
Deshalb sollte m.E. auf diesem freien Feld keinerlei Bautätigkeit stattfinden, sondern i.G. die Flächen der Start- und Landebahn entsiegelt werden. Man kann vielleicht Bäume darauf pflanzen, mehr aber nicht.
Die bisher bekannt gewordenen Planungsansätze lassen jedoch das Gegenteil erwarten: eine Inwertsetzung zum höchsten Preis, egal was diese für Folgen für die angrenzenden Gebiete, das städtische Klima und die „Stadtkultur“ haben wird (vielen Dank für den Verweis auf die Seite Prenzlbasher).
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