Ein deutliches Beispiel für eine verfehlte Stadtentwicklungspolitik bietet die Landeshauptstadt Potsdam. Als eine der wenigen boomenden und wirtschaftlich erfolgreichen Städte in Ostdeutschland zeigt Potsdam die typischen Verwerfungen eines kapitalistischen Wohnungsmarktes relativ unverstellt.
Auf der einen Seite steigende Mieten und drohende Versorgungsdefizite für ärmere Haushalte – auf der anderen Seite unglückliche Reiche, die infolge der fortgesetzten Aufwertung einen Verlust an Vielfalt und Lebensqualität bemängeln. Ausgrenzung, Exklusion, Banalisierung und Kommerz – in Potsdam sind es zwei Seiten ein und der selben Medaille.
Unten wird es eng…
Die Märkische Allgemeine beschreibt unter dem Titel „Das Stadtentwicklungskonzept Wohnen zeigt die Potsdamer Schwachpunkte“ die dramatischen Wohnungsmarktentwicklungen der Stadt. Das aktuelle ‚Stadtentwicklungskonzept Wohnen‘ verweise dabei auf etliche Schwierigkeiten der Potsdamer Stadtentwicklung:
Die Analyse zeigt eine Reihe ungesunder Trends. Der Leerstand ist mit 1,3 Prozent so tief, dass die für Marktbewegungen notwendige Mobilitätsreserve fehlt. Die Mieten steigen in allen Segmenten, während die Zahl neu gebauter Quartiere sinkt. Besonders knapp ist das Angebot für Haushalte mit niedrigem Einkommen, junge Singles und Studenten. Für den Hartz–IV-Regelsatz von maximal 5,50 Euro je Quadratmeter Kaltmiete bekommt man fast nur noch Wohnungen in Häusern aus DDR-Zeit. In den unsanierten Drewitzer Plattenbauten gibt es noch Kaltmieten von 4,89 Euro.
Für ökonomisch benachteiligte Haushalte ist es schon jetzt schwierig, eine angemessenen Wohnung in Potsdam zu finden. Diese Situation wird sich in den kommenden Jahren zuspitze: bis 2016 soll sich die Zahl der mitpreisgebundenen Wohnungen von aktuell 11.000 auf 630 verringern. Neue Mietpreisbindungen werden kaum hinzu kommen, da sich private Eigentümer nur noch selten auf die öffentlichen Förderprogramme einlassen: „Wie denn auch, wenn sie jede Bruchbude und jede sanierte Wohnung sowieso zum geforderten Preis loswerden“, wird Oberbürgermeister Jann Jakobs zitiert.
… und Oben langweilig
Ganz anders gestalten sich die Probleme im längst modernisierten Holländerviertel. Die Berliner Zeitung berichtet unter der Titel „Gipsengel und Kerzenständer“ über den Imageverlust und schließende Edelgeschäfte im Quartier. Die hohen Mietpreise (20 bis 40 Euro/qm) im Gewerbebereich sind inzwischen vor allem für die Spezialitätengeschäfte zu teuer, da meist nur geringe Stückzahlen der hochwertigen Produkte verkauft werden.
„Die Mietpreise sind zu hoch“, sagt die Verkäuferin des Geschäfts „Heim und Herd“, ein Accessoire-Shop, der im September schließen wird. Zwischen 20 und 40 Euro liege der Quadratmeterpreis. „Das ist kaum zu erwirtschaften“, sagt selbst Edel-Ausstatter Abraham, der jetzt in Kudammnähe knapp zwanzig Euro pro Quadratmeter zahlt. (…)
Abraham ist nicht der Einzige, der geht. Allein zehn Geschäfte machten im letzten Winter dicht, seit dem Jahr 2000 sollen zwanzig Ladenbesitzer aufgegeben haben, sagen die Betreiber verschiedener Geschäfte im Quartier. Trotz der Touristenbusse, die hier regelmäßig durchrollen, stimme die Kasse nicht.
Statt dessen werden nun zunehmend die Nachfragestrukturen des neuen Potsdamer Massentourismus bedient.
…viele versuchten im Holländerviertel mit Massentourismus schnelles Geld zu machen, sagt Abraham. Immer mehr Friseure zögen in die leer stehenden Läden. „Gipsengel, Servietten, Kerzenständer, das finden Sie hier inzwischen an jeder Ecke.“ Es fehle bereits an exklusiveren Sortimenten, an gehobener Gastronomie.
Dieser Trend zur Banalisierung des Angebots ist eine letzte Konsequenz der Ökonomisierungsprozesse in Aufwertungsvierteln. Insbesondere in späteren Phasen der Gentrification werden die Vermarktungsstrategien stärker an exklusiven Ausstattungsmerkmalen, denn an exklusiven Lagen und kulturgeladenen Images orientiert.
Auch in der Berliner Spandauer Vorstadt, dem Aufwertungsviertel rund um den Hackeschen Markt haben inzwischen Läden des touristischen Mainstreams und Flagshipstores internationaler Modemarken die hippen und kulturaffinen Nutzungen der Pionierphasen ersetzt. Entwicklungen dort und auch im Holländerviertel in Potsdam stehen damit für eine Phase der Post-Gentrification und die Etablierung von neuen Konsumtionsräumen, die trotz einer hohen immobilienwirtschaftlichen Verwertung von einer Degression der kulturellen Distinktionspotentiale geprägt ist. Dies spätestens dürfte der Zeitpunkt sein, an dem auch bildungsbürgerliche Mittelschichten ihre Zustimmung für die Aufwertungsdynamiken aufgeben.
Berlin-Spandau Vorstadt ein Aufwertungsvierte??
Waren Sie überhaupt mal da??
Lieber Raphael Einetter,
da lohnt es sich, den Text noch mal gründlich zu lesen. gemeint ist nicht die Vorstadt in Berlin-Spandau (die ich tatsächlich nicht kenne), sondern die Spandauer Vorstadt in Berlin. Damit auch die Nicht-Ortskundigen wissen, welche Gegend damit gemeint ist, hatte ich zur Erklärung noch den Hinweis „Aufwertungsviertel rund um den Hackeschen Markt“ hinzugefügt. Diese Gegend kenne ich sehr gut und würde sie als eines der deutlichsten Aufwertungsbeispiel Berlins bezeichnen.
Beste Grüße,
Andrej Holm