Berlin: Bundessozialgericht will mehr Verdrängung für Transferhaushalte

Die Sozialpolitik der Agenda 2010 ist nicht nur katastrophal für die Betroffenen, jetzt wird auch noch das Land Berlin für seine angeblich zu softe Umsetzung der Bundesregelungen zur Kasse gebeten. Das Bundessozialgericht verurteilte gestern das Land Berlin zu einer Schadensersatzzahlung von 13 Mio. Euro: Hartz-IV-Streit: Berlin muss 13 Mio. Euro zahlen.

Hintergrund sind die höheren Ausgaben für die Übernahme der Unterkunftskosten von SGB-II-Bedarfsgemeinschaften. Bis Anfang diesen Jahres wurden Hartz-IV-Empfänger/innen, deren Mietkosten über den festgelegten Regelsätzen lag, erst nach einem Jahr zum Umzug (bzw. zur Senkung der Wohnkosten) aufgefordert. Die Berliner Regelung zielte darauf Umzüge möglichst zu vermeiden. Begründet wurde diese Politik mit der Intention, dass sich Erwerbslose besser um einen neuen Job als um eine andere Wohnung bemühen sollten.

Zugleich steigende Mieten und ein weiterhin schlechte ökonomische Position Berlins lassen nichts Gutes hoffen und verstärken den Verdrängungsdruck für ökonomisch benachteiligte Haushalte weiter.

Für Initiativen wie die „Kampagne gegen Zwangsumzüge„, die seit Jahren für eine Ausweitung der Richtwerte und den Verzicht auf Umzugsaufforderungen streiten, und erst Recht für viele Betroffene muss die Entscheidung des Bundessozialgerichts wie Hohn in den Ohren klingen. Insbesondere die Begründung für den Richterspruch ist bemerkenswert. In der Berliner Zeitung heißt es im Artikel „Richter rügen Berlins Hartz-IV-Praxis“ dazu:

Das Gericht wirft dem Senat in seiner sehr harschen Urteilsbegründung vor, es habe durch seine abweichende Regelung „vorsätzlich und schwerwiegend“ seine Pflichten verletzt und gegen höherrangiges Bundesrecht verstoßen.

„Höherrangiges Bundesrecht“ und „verletzte Pflichten“also: von den Pflichten einer Stadtregierung gegenüber ihren Bewohner/innen sprach das Bundessozialgericht nicht.

Passend zur richterlichen Entscheidung gegen zuviel Rücksicht auf Hartz-IV-Empfänger vermeldeten die Berliner Lokalmedien in den vergangen Tagen verschiedene Zahlen und Fakten zur Mietentwicklung und der sozioökonomischen Lage in Berlin:

Berliner Zeitung: Mieten in Berlin steigen bei Neuvermietungen kräftig: Eine Studie der Investitionsbank Berlin zu Folge seien die Neuvermietungsmieten auf durchschnittlich 5,61 Euro/qm gestiegen. Im Vergleich zu den durchschnittlichen Bestandmieten von 4,83 Euro/qm entspricht das einem Mietsprung von über 16 Prozent pro Wohnungswechsel – im Durchschnitt. Das Berliner Mietniveau – so weiß die Berliner Zeitung zu berichten – liegt dabei deutlich hinter den Wohnkosten anderer Städte: Bei den Mieten kommt Berlin nur auf Platz 55.

In Berlin werden Wohnungen für eine durchschnittliche Nettokaltmiete von 5,61 Euro pro Quadratmeter offeriert. Damit kommt die Hauptstadt unter den 118 kreisfreien Städten in Deutschland auf Platz 55. Zum Vergleich: In München, das den Spitzenplatz belegt, liegt der Mittelwert bei 11,61 Euro.

Endlich mal ein Grund, sich über eine schlechte Platzierung in einem Städte Ranking zu freuen. Getrübt wird dieser Anflug von Freude jedoch gleich beim Lesen der Wirtschaftsseiten des Tages. Dort wird eine Studie der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) zu regionalen Kaufkraftdisparitäten vorgestellt: Der reichste Ostkreis liegt auf Platz 190:

Der wohlhabendste ostdeutsche Kreis ist mit einem verfügbaren Einkommen von im Schnitt 18 594 Euro pro Einwohner demnach Potsdam-Mittelmark – der aber trotzdem nur auf Platz 190 von 413 kommt.

Erstaunlicherweise wird trotz einer nahezu flächendeckenden Rückständigkeit des Ostens ein positiver Trend gesehen. Die schlechte Nachricht dabei:

Abgekoppelt von der positiven Entwicklung der Kaufkraft im Osten ist allerdings Berlin. Gegen den Trend in den neuen Bundesländern verlieren die Menschen in der Hauptstadt sogar. Gegenüber 2009 werden sie laut GfK-Studie im nächsten Jahr 96 Euro pro Einwohner weniger ausgeben können.

Berlins Kaufkraft rangiert dabei irgendwo rund um den Platz 300 der 413 erfassten Ortseinheiten. Also eher im hinteren Drittel. Die angeblich schlechte Mietpreisplatzierung 155 von 118 relativiert sich vor diesem Hintergrund deutlich.

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