Kürzlich erschien die aktuelle Ausgabe der von der Antifaschistischen Linken Berlin unterstützte Zeitschrift „Der Antiberliner„. Zum bunten Kaleidoskop der Themen diesmal auch eine Artikel zum Thema Stadtentwicklung und Wohnungspolitik am Beispiel Kreuzbergs, den zu schreiben ich angefragt wurde: „Yuppies, Junkies, Steigende Mieten„. In Berlin liegt die Zeitung in vielen Kneipen und Buchläden aus, für alle anderen gibt es den Beitrag hier in der elektronischen Fassung (ausführliche Fassung folgt unten).
Berlin Kreuzberg, zuletzt wegen steigender Mieten und exklusiver Bauprojekte in die Schlagzeilen geraten, ist aktuell Schauplatz eines typischen Protestdilemmas: Nachbarschaftsinitiativen fordern nach der Schließung eines Druckraumes in der Dresdener Straße die Ausgrenzung der Drogenszene aus dem öffentlichen Raum und eine Verschärfung der Polizeiarbeit. Linke Gruppen und Sozialinitiativen rufen zu Kundgebungen gegen diese Verdrängungspolitik auf und in der Berliner Medien wird aus dieser Auseinandersetzung ein „Kampf zwischen Yuppies und Junkies“. Dass es sich bei der Bürgerinitiative um Yuppies oder überhaupt Besserverdienende handelt, darf bezweifelt werden. Richtig erscheint es mir dennoch, die Proteste gegen die Drogenszene vor dem Hintergrund von Aufwertungsdynamiken zu betrachten. (…)
Artikel im Antiberliner, Kampfblatt für mehr Kopfsteinpflaster // Nr. 21 //
Umkämpftes Kreuzberg: Yuppies, Junkies und steigende Mieten
Berlin Kreuzberg, zuletzt wegen steigender Mieten und exklusiver Bauprojekte in die Schlagzeilen geraten, ist aktuell Schauplatz eines typischen Protestdilemmas:
Nachbarschaftsinitiativen fordern nach der Schließung eines Druckraumes in der Dresdener Straße die Ausgrenzung der Drogenszene aus dem öffentlichen Raum und eine Verschärfung der Polizeiarbeit. Linke Gruppen und Sozialinitiativen rufen zu Kundgebungen gegen diese Verdrängungspolitik auf und in der Berliner Medien wird aus dieser Auseinandersetzung ein „Kampf zwischen Yuppies und Junkies“. Dass es sich bei der Bürgerinitiative um Yuppies oder überhaupt Besserverdienende handelt, darf bezweifelt werden. Richtig erscheint es mir dennoch, die Proteste gegen die Drogenszene vor dem Hintergrund von Aufwertungsdynamiken zu betrachten.
Junkies unerwünscht
Der Bezirk Kreuzberg galt lange Zeit als „Soziales Problemquartier“ und auch die vorliegenden Sozialdaten wiesen die Wohngebiete als benachteiligte Quartiere aus. In den offiziellen Sozialstudien wurde dabei immer wieder auf den hohen Migrationsanteil verweisen, wesentlich aussagekräftiger für die soziale Situation jedoch waren uns sind die hohen Anteile von Transferhaushalten und Bewohner/innen mit sehr geringen Einkommen. In Kreuzberg konzentrierten sich soziale Problemgruppen und eben auch viele Drogenabhängige nicht nur wegen des toleranten Images des Stadtteils, sondern vor allem wegen der lange Zeit bezahlbaren Mieten. Insbesondere in den 1990er Jahren lagen die Wohnungsmieten deutlich unter den städtischen Durchschnitten und auch für Wohnungssuchende gab es preiswerte Angebote.
Diese Situation hat sich in den vergangenen fünf Jahren deutlich verändert. Wohnungsprivatisierungen, Eigentümerwechsel und steigende Mieten stehen für die beginnenden Aufwertungsprozesse in Kreuzberg. Aktuelle Sozialstudien von Topos (im Auftrag des Stadtbezirks) vermelden in allen Quartieren einen sozialen Aufwärtstrend. Insbesondere der Anteil an Besserverdienenden ist zum Teil deutlich angestiegen. In allen Untersuchungsgebieten (Bergmannstraße, Gräfekiez und Luisenstadt) sind die Durchschnittseinkommen in den vergangen 10 Jahren deutlich gestiegen. Doch dies ist nicht auf steigende Löhne oder BAföG-Erhöhungen zurückzuführen, sondern vor allem auf den Anstieg von Haushalten mit höheren Einkommen. Allein seit 2005 hat sich der Anteil von Haushalten mit mehr als 2.600 Euro im Monat von 15 auf 20 Prozent erhöht. Diese Mittelschichten artikulieren ihre eigenen Interessen an der Stadtteilentwicklung – teilweise auch gegen die Drogenszene am Kottbusser Tor. So gibt es etwa eine Initiative von Gewerbetreibenden und Hauseigentümern, die versuchen einen neuerlichen Druckraum in Kreuzberg zu verhindern. Bei ihnen geht es nicht nur um ein sorgenfreies Lebensgefühl und die alltäglichen Belastungen, die mit einer verfehlten Drogenpolitik zusammenhängen. Hier koppeln sich Geschäfts- und Besitzinteresse direkt mit den städtischen Gestaltungsansprüchen. Gerade die Überlagerung ganz verschiedener Protestmotivationen macht es so schwer, eine klare Position zu und in diesem Konflikt zu finden.
Begehren nach Mietsteigerung
Doch der durchschnittlichen Aufwertungsindizien in Kreuzberg sind nur die halbe Wahrheit. Auf der anderen Seite steht ein immer höherer Anteil (aktuell ca. 30 Prozent) von Bewohner/innen, deren Einkommen unterhalb des Existenzminimums liegen. Die Sozialstudien sprechen von einer „stärker polarisierten Sozialstruktur“. Die offizielle Stadtpolitik beschwört seit Jahren eine „Soziale Mischung“, doch das Nebeneinander von Arm und Reich, wie es sich zurzeit in Kreuzberg durchsetzt, straft die Utopien vieler Stadtplaner- und Quartiersmager/innen Lügen. Denn mit steigender Attraktivität von Wohngebieten für Mittelschichten wächst meist auch das Begehren der Hauseigentümer nach Mietsteigerungen. Die Mieten in Kreuzberg liegen inzwischen über dem Berliner Durchschnitt und insbesondere die Neuvermietungsangebote können sich meist nur noch Besserverdienende leisten. Zumal die meist kinderlosen Haushalte mit höheren Einkommen vor allem größere Wohnungen nachfragen. Insbesondere die Mieten in den familiengeeigneten Wohnungen sind daher überproportional angestiegen. Für alle Mieter/innen mit weniger Geld in der Haushaltskasse wird es also eng. In Folge dieser Entwicklungen ist auch die Mietbelastungsquote gestiegen – und selbst wenn der neue Sozialmonitor der Senatsverwaltung eine „Konsolidierung“ in Kreuzberg feststellt, viele Kreuzberger/innen haben am Ende des Monats weniger im Portmonee. Eine durchschnittliche Aufwertung steht so eben auch für eine zunehmende Ausgrenzung, weitere Verarmung und eine steigende Verdrängungsgefahr ärmerer Haushalte – mithin genau dem, was als Gentrification bezeichnet wird.
Am Ball bleiben
Eine zentrale Ursache dafür sind die Dynamiken des Wohnungsmarktes. Luxuswohnprojekte wie das Carloft in der Reichenberger Straße oder die Paul-Lincke-Höfe stehen sehr sichtbar für die beginnende Aufwertung – die gravierenden sozialen Veränderungen vollziehen sich jedoch als schleichender Prozess von Mietsteigerungen, Modernisierungsarbeiten und Umwandlungen in Eigentumswohnungen. Eine Anti-Gentrification-Strategie sollte daher auch nicht bei der Skandalisierung von Leuchtturmprojekten der Aufwertung stehenbleiben, sondern zentral die Miet- und Wohnungspolitik in den Blick nehmen. Mit den Protesten gegen das Investorenprojekt MediaSpree und der Mieten-Stopp-Demonstration im vergangenen Jahr ist das Thema auf die Agenda des politischen Aktivismus gehoben worden. Für die Linke in der Stadt heißt es nun, am Ball zu bleiben und breite Bündnisse zu schmieden, mit denen eine andere Wohnungspolitik für Berlin durchgesetzt werden kann.
Andrej Holm