Berlin Mitte: Aufgeräumt, Herausgeputzt und Sozial Bereinigt

update: Titel des Blogeintrages wurde nachräglich geändert

Ach was waren wir schockiert, als durch die PFE-Studie am Kollwitzplatz bekannt wurde, dass nur knapp 20 Prozent der aktuellen Bewohner/innen bereits vor der Sanierung am Kollwitzplatz oder den umliegenden Sanierungsgebieten gewohnt haben. Vor allem dann, wenn politische Schlussfolgerungen aus dem Scheitern der sozialen Sanierungsziele (Erhalt der sozialen Zusammensetzung der Bevölkerung) gefordert wurden, ist auf die angebliche Sonderrolle des Kollwitzplatzgebietes verwiesen worden. Noch sei gar nicht abzusehen, ob in den anderen Sanierungsgebieten überhaupt ähnlich dramatische Entwicklungen stattgefunden haben…

Nun liegt eine neue Studie vor: für die Rosenthaler Vorstadt im Bezirk Mitte. Die Ergebnisse sind in einer Ausstellung zu besichtigen und die taz berichtete im Beitrag „Aufgeräumte Mitte“ ausführlich, dass es einen neuen Spitzenreiter in Sachen Verdrängung gibt. Die Rosenthaler Vorstadt platziert sich mit 86 Prozent Zugezogenen unter der derzeitigen Bewohnerschaft deutlich vor dem Kollwitzplatz ein. Glückwunsch! Oder was wäre eine angemessenen Reaktion?

Im Text heisst es in einer paradox erscheinenden Ambivalenz journalistischer Scheinobjektivität:

Von den einstigen Bewohnern lebt zwar kaum mehr einer im Kiez. Verteufeln will die Modernisierung aber niemand.

Für diese recht gewagte Aussage wurden offensichtlich keine Fortgezogenen gefragt. Statt dieser Niemande kommen die Verantwortlichen für die Stadterneuerung, eine Neubewohnerin, ein Betroffenenvertreter sowie eine Altmieterin zu Wort. Letztere wird  dann auch gleich mit den Worten zitiert: „Wir wohnen gerne hier„. Na, was denn sonst, ein Großteil der Neuzugezogenen war sogar bereit einen deutlich höheren Mietpreis als in anderen Gegenden der Stadt zu berappen um genau hier zu wohnen. Die Zufriedenheit der Zugezogenen und Gebliebene kann daher nur als ein nachgeordnetes Kriterium für die Erfolgsbemessung einer Stadterneuerungsmaßnahmen herangezogen werden.

Die Verdrängungsdebatte wird dabei auch in Mitte nicht anders geführt als in Prenzlauer Berg: irgendwie seien die Zahlen schon schlimm, aber gleich von Verdrängung reden, dass muss doch nun wirklich nicht sein. Die taz schreibt dazu:

Die großflächige Verdrängung im Kiez bestreitet keiner mehr, sie ähnelt dem anderer innerstädtischer Sanierungsgebiete. Andreas Bachmann vom „Koordinationsbüro zur Unterstützung der Stadterneuerung in Berlin“ warnt gleichwohl vor zu schnellen Urteilen. „Immer gleich von Verdrängung zu reden, wäre zu einfach“, sagt er. Das Büro kümmert sich für das Land Berlin um das Sanierungsgebiet. „Man muss fein unterscheiden zwischen erzwungenen und freiwilligen Umzügen“, so Bachmann. Viele Betroffene seien Anfang der 90er Jahre mit dem Standard in ihren Wohnungen nicht zufrieden gewesen und von sich aus ins Umland gezogen. Teils hätten auch berufliche Gründe hinter den Umzügen gesteckt. Die Betroffenenvertretung widerspricht zum Teil. „Das Ziel, für die Bewohner zu sanieren, ist komplett verfehlt worden“, sagt Lutz Mauersberger.

Wie es heute in der Gegend aussieht beschreibt die taz ganz anschaulich – nicht so ausfgesetzt wie Prenzlauer Berg, doch vielleicht gerade deshalb ein familienfreundliches Mittelklasse-Schick – eben die aufgeräumte Mitte:

So wandelte sich das Gesicht der Rosenthaler Vorstadt: Die Gegend zog junge Menschen und Familien an. Der Kiez liegt zentral und doch abseits des Kollwitzplatz-Hypes. Weniger Szene-Kneipen, weniger Touristen, weniger Latte-Macchiato-Mammis. Gleichzeitig gibt es verkehrsberuhigte Straßen, Spielplätze und Kitas. Die Zahl der Kinder bis sechs Jahre hat sich im Sanierungszeitraum verdreifacht. Die Einwohnerzahl insgesamt ist seit 2000 um ein Viertel gestiegen. „Die Bewohner sind jünger, haben ein höheres Einkommen und sind gebildeter“, sagt Stadtplaner Bachmann.

Angesichts der massiven Verdrängungsprozesse und sozioökonomischer Verschiebungen sollte statt der Metapher des Aufräumens doch eher der Begriff der Sozialen SäuberungReinheit benutzt werden. Denn alles was die Mittelklassenidylle stört wurde nicht nur umgestellt, sondern ist weitgehend aus dem Gebiet gebannt.

7 Gedanken zu „Berlin Mitte: Aufgeräumt, Herausgeputzt und Sozial Bereinigt

  1. So, jetzt reicht’s: WARUM bitte sollen das „soziale Säuberungen“ sein? WOHER nehmt Ihr das Recht für diese Polemik? Und WARUM glaubt Ihr, dass Ihr die einzigen seid, die aggressiv reagieren können? Wer mit mir ein Problem hat, melde sich…anytime, any way!!!

  2. Lieber Kai, schön, dass du dich an den Diskussionen hier im Blog beteiligst. Die für die Ostberliner Altbaugebiete versprochene „Behutsame Stadterneuerung“ verband sich Anfang der 1990er Jahre mit drei großen Versprechen. Die marode Bausubstanz sollte behutsam erneuert, die Bevölkerungsstruktur in ihrer sozialen Zusammensetzung erhalten und die Stadterneuerung gemeinsam mit den Bewohner/innen geplant werden. Die Sache mit der baulichen Erneuerung war ganz erfolgreich, auch wenn der komplette Umbau der Wohnhäuser nicht immer behutsam verlief. Die sozialen und beteiligungsbezogenen Ziele wurden hingegen weit verfehlt. Die im Beitrag beschriebene Austausch der Bevölkerung ist dabei nur ein Teil des Problems: es hat eben nicht nur viele Umzüge gegeben, sondern die Sozialstrukturen wurden dabei fast völlig umgekrempelt. Aus einem heterogenen aber subproletarisch geprägten Wohngebiet ist eine weitgehend geschlossenen Mittelklasse-Nachbarschaft geworden. Der Begriff der ‚Sozialen Säuberung‘ wurde erst kürzlich im Zusammenhang mit den Verdrängungseffekten des Wiederaufbaus in New Orleans benutzt – und beschreibt die sozialen Effekte der Stadterneuerung eigentlich recht treffend.

  3. Nein, tut er nicht. Denn wenn man in Deutschland den Begriff „Säuberung“ benutzt, ist das anders konotiert als in USA, nämlich ganz klar faschistoid. Und das geht definitiv zu weit.

  4. hey, hey, das ist doch mal ein angebot – freitag 22h im cantian stadion?
    btw: das mit den faschistoiden säuberungen hast Du sehr schön erkannt.

  5. „Soziale Säuberung“ – wie krank ist das denn. Das hört sich nicht faschistoid an, aber so als ob wir in Ex-Jugoslawien wären und links und rechts die Maschinengewehre rattern. Dabei ist die einzige Form der Gewaltanwendung, die hier in der Rosenthaler Vorstadt wahrzunehmen ist: brennende Autos. Einige Punkte sollte man mal hervorheben: 1. Es gibt deutlich mehr Bewohner als früher – dass es sich dabei um neu hergezogene und nicht um Altbewohner handelt, ist ja wohl logisch. 2. Leute, die hier schreiben, wie z.B. Sascha – handelt es sich dabei um *Altbewohner* möchte ich mal wissen. 3. Es soll tatsächlich Leute geben, die weggezogen sind, weil sie nicht mehr in schimmligen Altbauwohnungen leben wollten, denen andererseits der Sanierungsstress aber zu viel war. Es gibt aber auch Leute, die haben sich zu Genossenschaften zusammengetan, ihre Häuser gekauft und saniert – das ist aber nicht jedermanns Sache. Muss ja auch nicht. Es soll Leute geben, die ins Grüne gezogen sind, weil sie nun erst die Möglichkeit dazu hatten.
    PS: faschistoid sind Leute, die so krank im Hirn sind, dass sie mit Begriffen wie „soziale Säuberung“ um sich werfen

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