Hamburg: „Recht auf Stadt“ soll Hamburgs Seele retten

In der Süddeutschen Zeitung von heute gibt es einen bemerkenswerten Artikel von Till Briegleb: Kampf um die Stadt. (Süddeutsche Zeitung Nr.258, Montag, den 09. November 2009 , Seite 13)

Aufgegriffen werden die aktuellen Proteste gegen eine unternehmerische Stadtpolitik und das breite öffentliche Echo auf das Manifest gegen einseitige Aufwertungsstrategien in der Stadt: „Not in Our Name“, dass von Künstler/innen und Stadtaktivist/innen kürzlich in Umlauf gebracht wurde. Schon im Untertitel holt Till Briegleb weit aus:

Bei der Besetzung von Künstlerquartieren geht es um die Zukunft der Gesellschaft

 

Eigentlich ging es ja nur um die Verhinderung einer Abrissplanung und die Forderung nach einer besseren Stadtpolitik – jetzt ruft die Süddeutsche Zeitung die Revolte aus. Von einem „politischen Wunder“ ist die Rede und von „unerklärlichen Wandlungen“ der Politik seit rund 200 Künstler im August das Gängeviertel besetzt haben:

Bürgerschaft und Senat, Verbände und Springer-Medien beschäftigen sich plötzlich mit geradezu lutherischem Eifer mit kapitalismuskritischen Positionen.

Gemeint ist wohl, dass die Presse ihrem Auftrag zur Berichterstattung nachkommt und die Hamburger Bürgerschaft in einer aktuellen Stunde über die öffentlich artikulierte Kritik an den bisherigen Stadtentwicklungskonzepten diskutiert hat. Früher hätten wir das ‚Wunder von Hamburg‘ wahrscheinlich einfach Demokratie genannt, oder so ähnlich. Denn die Verhandlung dessen, was die Allgemeinheit betrifft ist ja im engeren Sinne der Zweck von Politik.  In der Süddeutschen Zeitung klingt es, als stünden wir an einer Zeitenwende wie mit dem Mauerfall vor 20 Jahren.

Eine regelrechte stadtpolitische Wende – so die Argumentation des Artikels – habe sich in Hamburg ereignet. Da wird im Internet das „Recht auf Stadt“ gefordert und in einem flott geschriebenen Manifest veröffentlicht und schon geraten alle politischen Koordinaten der Stadt durcheinander:

Das aber ist ein Gefühl, das auch Lokaljournalisten und Parlamentarier teilen können, weswegen sie sich plötzlich geradezu dankbar dafür zeigen, dass jemand das Recht der Bürger auf ihre Stadt so formuliert, dass sie sich die Sache politisch zu eigen machen können. Das traditionell stark regierungshörige Hamburger Abendblatt verwandelt sich in dieser Debatte endlich in eine Zeitung mit Haltung, in der flammende Kommentare gegen die weitere Stadtzerstörung durch gesichtslose Neubauten und für den Erhalt der Künstlerkolonie Gängeviertel im Hinterhof des Verlagsgebäudes stehen. Und die traditionell investorenhörigen CDU-Politiker der Stadt empören sich plötzlich über die Erpressermentalitäten von Immobilien-Entwicklern, womit sie sich unversehens in einer großen Koalition befinden, die über das grün-linke Bildungsbürgertum bis zu den Rote-Flora-Aktivisten reicht, die man sonst so gerne als Chaoten beschimpft.

Und alle haben sich lieb:

Ganz offensichtlich ist die Diskussion über den Wert städtischen Lebens so überfällig, dass selbst heißgeliebte Feindbilder sie nicht mehr aufhalten können.

In einem philosophischen Gedankengang verortet Till Briegleb den Erfolg der „Recht auf Stadt“-Forderung in seinem „konservativem Geist“ – schließlich geht es ja um ein Schützen und Bewahren. Da stört es dann auch nicht, wenn die „Impulsgeber aus der linken Subkultur“ stammen. Hinter den Forderungen, Besetzungen und Protesten stünde – so Briegleb – eine „Wertediskussion, die persönliche gegen kommerzielle Ansprüche zu behaupten versucht“. Der „antikapitalistische Zungenschlag“ liege daher in der „Natur der Sache“ und sei zu verkraften, schließlich ginge es letzten Endes darum die „Seele der Stadt“ zu retten.

Während das investmentgesteuerte Stadtdesign eine global verarmte Sprache aus Läden, Neubauten und Verkehrswegen produziert, lieben Menschen immer noch Attribute von Heimat, die sich dem Geldwert-Denken entziehen. Kleine Krämer, verfallene Nischen, verwunschene Parks, eigensinnige Kneipen, skurrile Nachbarschaften, architektonischer Eigensinn oder einfach Erinnerungsorte geben einer Stadt ihre Seele, bedürfen aber besonderer Obhut, denn sie dienen einer wirtschaftlichen Wachstumsideologie höchstens mittelbar.

Die armen Künstler/innen im Gängeviertel. Die Revolte der Aufwertungspioniere zielte ja tatsächlich in eine sinnvolle Richtung – doch statt neuer Mehrheiten für eine andere Stadtpolitik haben sie nun die neoliberalen Stadtgestalter aller politischen Lager am Hals. Erst erklärt Richard Florida den partiellen Erfolg der Besetzung im Gängeviertel zum globalen Modell für die Creativ-City-Formation, dann entdecken Hamburgs Senator/innen den Wert der Künstler/innen für die Stadtentwicklung und nun sollen sie auch noch für die Heimatgefühle der Süddeutschen Zeitung aufkommen. Mit dem „Recht auf die Stadt“ hat das alles immer weniger zu tun. Ein „Recht auf die Stadt“ muss offensichtlich nicht nur eingefordert, erkämpft und durchgesetzt werden, sondern sich vor allem der unzähligen Vereinnahmungsversuche erwehren. Hamburg könnte also zum Prototyp der Auseinandersetzung um die ‚Seele‘ von städtischen sozialen Bewegung werden.

3 Gedanken zu „Hamburg: „Recht auf Stadt“ soll Hamburgs Seele retten

  1. Pingback: Andrej Holm zum SZ-Artikel « Not In Our Name, Marke Hamburg!

  2. Pingback: Lernen von Hamburg? « Steigende Mieten stoppen!

  3. Pingback: Neue »Gang-Art« gegen Gentrifizierung | Bleib passiv.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert