Die Proteste gegen die unternehmerische Stadtpolitik in Hamburg haben ein erhebliches mediales Echo ausgelöst. Das Anti-Gentrification-Manifest „Not In Our Name – Marke Hamburg“ hat es bis in die Zeit und die Süddeutsche Zeitung geschafft, inzwischen berichtet sogar die taz über das Gängeviertel (siehe unten) und das traditionell konservative Hamburger Abendblatt hat sich inzwischen sogar fast schon der Hofberichterstattung des Protestes verschrieben. In der Wochenendausgabe ist dort unter dem Titel „Der Kampf um das Leben in der Stadt Hamburg“ ein ausführlicher Bericht über die Vielfalt der städtischen Proteste in Hamburg zu finden, der wesentliche Argumentationen von Aktivist/innen zu Wort kommen lässt:
Es ist ein Kampf um die Stadt als Gemeinwesen entbrannt, und nirgendwo wird er so leidenschaftlich geführt wie in Hamburg. (…) Wahrscheinlich ist kein Text von Christoph Twickel so oft gelesen worden wie sein Manifest. (…) Twickel (…) ist ein eloquenter Denker. Und mittlerweile ein gefragter Mann. Er wird zu Informationsveranstaltungen und vom NDR eingeladen, und wenn man ihn mit einer Meinung konfrontiert, die ihm nicht gefällt, kratzt er sich am Oberarm, als rufe diese körperliches Unwohlsein hervor. „Eine Stadt als Produkt, das ist ein im Kern asoziales Projekt. Deshalb müssen wir dafür kämpfen, dass Städte wieder zu Gemeinwesen werden“, sagt Twickel. Wenn er redet, dann merkt man förmlich, wie seine Gedanken zirkulieren und, kaum ausgesprochen, wieder eine neue Wendung nehmen. Twickel sagt viele kluge Dinge, die durchaus kapitalismuskritisch sind und denen zurzeit viele Sympathien gelten, aber wenn man ihn fragt, was denn sein ganz persönliches Recht auf Stadt ist, muss er erst mal überlegen.
Auch in der taz gibt es inzwischen eine ausführliche Berichterstattung zu den Hamburger Stadtprotesten. Bezeichnend für die bisherige Zurückhaltung der Hamburger Lokalredaktion musste für den ersten wirklich lesenswerten Beitrag zur Gängeviertelbesetzung erst Uwe Rada aus Berlin nach Hamburg reisen. In seinem Artikel „Gemeinsam gegen Gentrifizierung“ zeichnet er nicht nur die Protestdynamiken in Hamburg nach, sondern versucht sich in einer politischen Gesamteinschätzung:
Proteste gegen Gentrifizierung gibt es in jeder großen Stadt. In Berlin wehren sich Stadtteilaktivisten gegen die Yuppisierung im Studentenbezirk Friedrichshain und neuerdings auch im sozialen Brennpunkt Neukölln. In Köln blickt die Südstadt auf eine lange Tradition der Stadtteilarbeit zurück. Aber nirgendwo ist der Protest so weit aus der linken Nische herausgekommen wie in Hamburg. Selbst die Hamburger Medien schreiben inzwischen über den Begriff Gentrification, der der Bundesanwaltschaft vor geraumer Zeit noch als Hinweis für die Zugehörigkeit zur linksradikalen Szene galt.
Die Gründe für die neue Breite des Protestes liegen – so die Argumentation des Artikels – in einer zunehmend allgemeinen Betroffenheit einer unsozialen Stadtentwicklung.
„Es hat sich in den Jahren verdammt viel aufgestaut“, meint Ingrid Breckner, „das drängt jetzt alles nach außen.“ Breckner, Professorin für Stadt- und Regionalplanung an der neuen HafenCity Universität, sieht Hamburg an einem Punkt angekommen, an dem die Stadtentwicklungspolitik neu verhandelt wird. „Es gab die alte Kaufmannstradition, nach der sich die Politik möglichst heraushalten sollte aus Geschäften. Doch nun spüren die Hamburger bis ins betuchte Bürgertum hinein, dass ihnen die Dinge aus den Händen gleiten.“
Uwe Radas Artikel hebt sich positiv von der bisherigen Stadt-Protest-Berichterstattung ab, weil auch grundsätzliche Fragen der Stadtentwicklung und möglicher Alternativen zur Sprache kommen. Wieder kommt Ingrid Breckner zu Wort:
Gibt es Alternativen? Diese Fragen stellen sich nicht nur die Besetzer des Gängeviertels oder die Bürgerinitiative No BNQ, sondern auch aufgeschreckte Senatoren im schwarz-grünen Hamburg. Was aber kann die Politik tun? „Die Frage ist doch, was sie unterlassen hat“, sagt Stadtforscherin Ingrid Breckner. „Anfang der Neunzigerjahre hatte Hamburg 40 Prozent Sozialwohnungen, heute sind es nur noch 12 Prozent“, meint Breckner und prophezeit: „Wenn in Deutschland nicht bald wieder Sozialwohnungen gebaut werden und eine andere Mietenpolitik betrieben wird, ist das hier erst der Anfang.“
Dieser hoffnungsvollen Aussicht auf eine Verbreiterung städtischer Proteste wird in der selben Ausgabe der taz ein düsteres Bild der urbanen Zukunft entgegengesetzt. Der Kommentar von Georg Seesslen ist mit dem Titel: „Stadt der Zukunft: Zombietown“ überschrieben. Zentrale These ist, dass Verslumung und Gentrification gleichermaßen lohend für das Immobiliengeschäft sind und daher eine sozialräumliche Spaltung der Städte kaum verhindert werden kann:
Gentrifizierung und Verslummung: Beides ist für Immobilienbesitzer profitabel. (…) Dass unsere zukunftsorientierten Städte – siehe Hamburg, siehe Stuttgart – aus einem zirkulären System von Gentrifizierung und Verslummung entstehen, was die Wohngebiete anbelangt, sind wir seit geraumer Zeit gewohnt. Und die dazugehörigen Tragödien kennen wir auch: Ein Viertel wird saniert, die alten Mieter, die entweder die steigenden Kosten nicht mehr tragen können oder ganz einfach zum neuen Typus des Anwohners nicht mehr passen, werden hinausgedrängt. Dabei geht man indirekt und nicht selten auch direkt über Leichen. In derselben Logik und in denselben Strukturen, in denen man ein Viertel sozial und kulturell mörderisch „sanieren“ kann, kann man ein anderes „verkommen lassen“. Beide Strategien sind für die Immobilienbesitzer und ihre Nutznießer (auch in der Politik) profitabel. Zudem machen sie die Dynamik des Systems aus, denn der Wert einer Immobilie ist kein absoluter, sondern ein relationaler. Sonst würde sich das Spekulieren ja nicht lohnen.
Schön, in der taz sowas wie ein polit-ökonomische Analyse der Stadtentwicklung zu lesen, wenn auch in einem Kommentar versteckt.
Eine klassisch-kapitalistische Stadtentwicklung hat einen ihrer Motoren in der Differenz der Immobilienpreise zwischen Zentrum und Peripherie. Die Gentrifizierung teilt die Bewohner eines Wohnviertels: Die einen gehen ins Ghetto, die anderen fliehen in die Peripherie. Damit wird jedes Mal der Druck im Ghetto erhöht, und die Preise in der Peripherie steigen. Dieser Preisspirale hält in aller Regel nicht einmal der sich sicher wähnende „kleine Hausbesitzer“ stand. Der Weg dann geht entweder zurück in die Städte, das heißt in die Ghettos, oder noch weiter an die Peripherie.