Anfang des Jahres habe ich hier die ersten Beiträge einer Artikelserie in der Berliner taz vorgestellt, die sich in lesenswerter und informativer Weise mit vielen aktuellen stadtpolitischen Themen beschäftigt: „Berlin: Die (Re)Thematisierung der Wohnungspolitik„.
Die neuen Beiträge der Serie beschäftigen sich mit Fragen der Mietentwicklung und der sozialen Spaltung in arme und reiche Stadtviertel ebenso wie mit dem Quartiersmanagement und Luxuswohnprojekten. Herausgekommen ist also eine buntes Kaleidoskop der Berliner Stadtentwicklung.
- Christoph Villinger: Der Traum der Mieter vom Handy-Tarif (16.01.2010)
- Nina Apin: Die Einsamkeit des Quartiersmanagers (22.01.2010)
- Alke Wierth: Schule entwickelt Stadt – mit Erfolg (22.01.2010)
- Uwe Rada: Townhouses – Die Stadt im Dorf lassen (27.01.2010)
Hier wieder eine kurze Zusammenfassung der Beiträge:
Kann Mietrecht eine soziale Wohnungsversorgung sichern?
Christoph Villinger holt in seinem Beitrag Der Traum der Mieter vom Handy-Tarif weit aus und stellt eine Mietrechtsreform, wie sie von den Berliner Grünen in die Diskussion gebracht wurde, als Königsweg für eine soziale Stadtentwicklung dar. Seine Mobilfunk-Metapher verweist auf den politischen Entscheidungsspielraum, Kosten in zentralen Lebensbereichen staatlich zu regulieren:
Warum liegt die gesetzlich maximal zulässige Mieterhöhung innerhalb von drei Jahren bei 20 Prozent? Und dies ohne jegliche Wohnwertverbesserung, bei nahezu null Prozent Inflation und sinkendem Realeinkommen. Wer hindert die politische Klasse daran, statt „20 Prozent“ die Worte „in Höhe der vom Statistischen Bundesamt ermittelten Inflationsrate“ ins Gesetz zu schreiben?
(…) Vor diesem Hintergrund mutet eine von den Kreuzberger Grünen angeschobene Bundesrats-Initiative geradezu sozialrevolutionär an, in der neben einer Koppelung der gesetzlich zulässigen Mieterhöhung an die Inflationsrate ein Verbot von Mietsprüngen bei Neuvermietungen gefordert wird.
Sicherlich ist das Mietrecht eine wichtige Stellschraube, wenn es darum geht, eine soziale Wohnungsversorgung zu sichern – den Mietrechtsreformvorschlag eines Grünen Bezirksbürgermeisters zum „sozialrevolutionären“ Ansatz hochzuschreiben, halte ich jedoch für gewagt. Eine isolierte Mietrechtsreform würde vor allem zu einer weiteren Verringerung von Neubau- und Modernisierungsaktivitäten im Mietwohnungsbereich führen, da Investitionen sich dann ausschließlich im Eigentumssektor oder in anderen Wirtschaftsbereichen lohnen würden. Ohne gleichzeitige Eingriffe in die Ökonomie des Wohnungsmarktes und den Aufbau marktferner Wohnungsbauträger wird eine soziale Stadtentwicklung nicht zu haben sein. Auf einen eindimensionalen Lösungsansatz für eine soziale Wohnungsversorgung zu setzen, ist reichlich naiv – deshalb wirkt auch die latente Publikumsbeschimpfung im Beitrag reichlich unpassend:
(…) eine solche Initiative hat nur eine Chance bei gleichzeitigem starken Druck einer sozialen Bewegung auf der Straße. Doch da ist zurzeit weit und breit kaum ein Akteur zu sehen, der eine solche Bewegung tragen könnte.
Gerade das von Christoph Villinger gelobte Mietenstopp-Bündnis steht ja für eine wesentlich umfassendere Agenda und fordert eben auch einen ‚Neuen Sozialen Wohnungsbau‘, den Ausbau kommunaler Wohnungsbestände und einen Ausstieg aus einer profitorientierten Wohnungswirtschaft.
Symbolische Aufwertung in Problemquartieren
Nina Apin stellt sich in ihrem Beitrag Die Einsamkeit des Quartiersmanagers dem Phänomen des umstrittenen Quartiersmanagements (QM). Als Berliner Spielart des Bund-Länder-Programms Soziale Stadt steht das QM für den Übergang von einer wohnungspolitischen zu einer quartiersbezogenen Stadtpolitik. Folgen wir der Argumentation von Nina Apin, geht es dem QM im Brunnenviertels in Berlin-Wedding vor allem um eins: den Zuzug von Bessergestellten statt einer Verbesserung für die Armutsbevölkerung im Quartier. Zentrales Mittel für die erhoffte Aufwertung ist die Imageverbesserung des Viertels.
An der Ecke Schönholzer Straße hört der Spaß auf. Am Rosenthaler Platz ist die Brunnenstraße noch Amüsiermeile der Großstadt-Boheme. Galerien, W-LAN-Cafés und kleine Modeboutiquen wechseln sich ab, „Öko Lofts“ werden gerade auf der südlichen Seite der kleinen Schönholzer Straße gebaut. Auf der Nordseite aber, kaum fünf Schritte weiter, ist Mitte zu Ende: Das Bäckerei-Café „Grenzenlos“ verkauft Strammen Max und 0,3 Liter Warsteiner für 1,80 Euro. Hier trinken keine Galeristen, sondern Männer mit Schiffermützen um die 60. Weiter nördlich gibt es Kioske, Handyläden und jede Menge Neubauten. Hier ist keine Kunst, sondern Leben. Hier ist der Wedding. Der Ausdruck „Brunnenkiez“ wäre Heinz Lochner lieber. „Brunnenkiez“ schafft zumindest klanglich eine Verbindung zwischen der hippen Mitte und dem unhippen Wedding. Die hinzukriegen, daran arbeitet der Quartiersmanager seit vier Jahren.
Warum ein anderes Image so zentral ist, erfahren wir vom Quartiersmanager Heinz Lochner:
Die Problemlage des Brunnenviertels ist einzigartig in der Stadt“, sagt Lochner, der zuvor Quartiersmanager am Helmholtzplatz und am Falkplatz in Prenzlauer Berg war. „Das Viertel ist durch seine Lage enorm begünstigt. Und wird trotzdem von der Mittelschicht nicht nachgefragt.“
Die Problemlage ist also nicht die Benachteiligung der dort lebenden Haushalte, sondern die geringe Nachfrage durch die Mittelschichten. Wann immer dies mit Bezug auf die Praxis des Berliner Quartiersmanagements kritisiert wurde, gab es den Vorwurf der Verschwörungstheorie retour. Schön also, die sozialen Zielstellungen der QM-Arbeit aus dem Munde eines Quartiersmanagers zu erfahren. Auch wer mit den oft zitierten Mittelschichten gemeint sein könnte, erfahren wir in dem Beitrag:
. „Eine städtebauliche Eigenart der Gegend sind fehlende gewerbliche Erdgeschossflächen“, sagt Lochner. Selbst wenn hippe junge Künstler und Modedesigner im Brunnenviertel arbeiten wollten – in den klotzigen Wohnanlagen hatte man Läden nur vereinzelt eingeplant.
Auch Jörn Richters vom Kundenzentrum der landeseigenen DEGEWO wünscht sich eine neue Bewohnerschaft in den Beständen:
„Es ist uns bislang nicht gelungen, die unsichtbare Barriere zu Mitte zu durchbrechen“, räumt Richters ein. Allen Maßnahmen zum Trotz finde sich der gebildete, gut verdienende Mittelstand nur spärlich ein. Auch die Kreativindustrie meide alles, was sich nach Wedding anhört. Das seit 2006 von der Degewo veranstaltete Mode-Event „Wedding Dress“ bringt zwar jährlich ein paar Wochen kreatives Leben in das Viertel, doch für eine dauerhafte Entwicklung reicht es bislang nicht. Ein geplanter Outlet-Store scheiterte am Widerstand der Mitte-Boutiquen. Jetzt vermietet die Degewo günstig an Läden wie die „Westberlin Gallery“. Die auf „Character Design“ spezialisierte Galerie arbeitet seit September in einer der Ladenflächen jenseits der unsichtbaren Grenze.
Die Macher der Galerie hoffen auf die langfristige Entwicklung der Gegend. Den Atem dafür gibt ihnen eine billige Miete. Früher oder später, das hoffen alle Beteiligten im Brunnenviertel, wird die Strahlkraft von Mitte den Norden erreichen.
Doch was wünschenswert für Quartiersmanager und Wohnungsbaugesellschaften ist, muss noch lange kein Vorteil für die jetzigen Bewohner/innen des Viertels sein.
Eine Klasse besser – Schulangebote für Bildungsbürger
Alke Wierth widmet sich in ihrem Artikel Schule entwickeln Stadt – mit Erfolg dem aktuellen Lieblingsthema der Integrationsdebatten. Die schlechten Schulangebote und der hohe Anteil von Kindern „nicht-deutscher Herkunft“ (in der Schulamtssprache „hoher NDH-Anteil“) an den Schulen – so eine vielfach geteilte Einschätzung – seien ein wichtiger Grund für die Verfestigung von sozialen Problemlagen in benachteiligten Quartieren. Zum einen ziehen viele (deutsche) bildungsbürgerliche Familien aus und zurück blieben die (oft migrantischen) ‚bildungsfernen Schichten‘ – so die üblich Argumenation. Spätestens seit den Diskussionen um die Rütlischule in Berlin-Neukölln vor einigen Jahren ist unumstritten, dass auch die Schulen ein Ort der Ausgrenzung sind. Dies zu ändern, steht bei den meisten hauptstädtischen Integrations- und Bildungspolitiker/innen ganz oben auf dem Aufgabenzettel. Alke Wierth zeigt in ihrem Beitrag, dass auch die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften diese Argumentation übernommen haben:
Sieben staatliche Schulen liegen im Brunnenviertel, vier Grund-, drei Oberschulen. Keine von ihnen hat einen Migrantenanteil unter 80 Prozent. Für viele bildungsinteressierte Eltern – nicht nur deutscher Herkunft – sind solche Zahlen Grund, sich nach anderen Schulen umzuschauen. Zwei Privatschulen gibt es am Rande des Viertels schon. Nicht nur deshalb sagt Frank Bielka, Vorstand von Berlins größter kommunaler Wohnungsgesellschaft Degewo, dass „Stadtentwicklung heute nur noch über Bildung funktioniert“.
Die DEGEWO hat deshalb einen lokalen Bildungsverbund ins Leben gerufen, um die Schulen im Gebiet zu vernetzen und deren Image aufzupeppen.
Ziel sei, mehr „bildungsorientierte Bewohner“ im Kiez zu halten oder neu zu gewinnen, um eine „stabile Bevölkerungsstruktur“ zu erhalten, sagt Eduard Heußen, Moderator des Verbunds.
Die Formel der „stabilsierenden Bevölkerungsgruppen“ ist seit ein paar Jahren der Euphemismus der Stadtentwicklungsstrategen, wenn es darum geht, einen einseitigen Zuzug von Besserverdienenden zu fördern. Im Fall des Weddinger Brunnenviertels wird auf eine Attraktivierung für die Mittelschichten der benachbarten Aufwertungsgebiete in Alt-Mitte gesetzt. Dort wurden in der Vergangenheit viel Schulen geschlossen, so dass nicht ausreichend Schulplätze für alle dort wohnenden Kinder bereitgestellt werden können. Die soziale Distinktion der Mittelschichten stand bisher jedoch Anmeldungen in den nahegelegenen Weddinger Schulen entgegen. Dies soll sich nun ändern:
Die Gustav-Falke-Grundschule bietet deshalb ab kommendem Schuljahr eine spezielle Klasse für Kinder, die besonders gut Deutsch sprechen: Mit Englisch ab der ersten Klasse und einer Extrastunde Naturwissenschaft. Den Eltern gefällts: Zwei Tage vor Ablauf der Anmeldefrist hatte die Klasse 28 BewerberInnen. Für den Degewo-Bildungsbeauftragten Heußen ein gutes Konzept: „Man muss den Kindern bildungsorientierter Eltern Angebote machen.“
Klingt erst einmal toll, doch bei genauerer Betrachtung droht mit der Einrichtung von Sonderklassen für den Nachwuchs bildungsorientierter Eltern eine Polarisierung innerhalb der Schulen. Um die neuen Klassen für die Mitte-Eltern attraktiv zu machen, werden die wenigen Kinder mit besonders guten Sprachkenntnissen konzentriert und damit von den anderen Klassen abgezogen. Da die per Zusammensetzung privilegierten Klassen auch noch besseren Unterricht erhalten sollen, wird die Spaltung zwischen den Klassen noch weiter verstärken. Galt bisher die Schulzugehörigkeit als starker sozialer Indikator, bekommt nun der Begriff der Klassenzugehörigkeit ein völlig neue Bedeutung. Integration sieht anders aus!
Sinnvoller erscheint da schon das ebenfalls im Artikel beschriebene Beispiel der Willy-Brandt-Schule am nördlichen Rand des Kiezes. Ganz ohne Lockvogelangebote für deutsche Bildungsbürger wurde hier die Schulqualität für alle Schüler/innen verbessert:
Der Leiter der Schule, Wilfried Kauert, baut mit engagierten KollegInnen das Lernkonzept seit drei Jahren radikal um. Statt Frontalunterricht gibt es selbstständiges Arbeiten mit Lernbausteinen, jeder Schüler folgt einem individuellen Lernplan. Wer das Thema verstanden hat, meldet sich zur Prüfung, Noten gibt es ebenso wenig wie klassische Zeugnisse. Stattdessen werden in von der Schule entwickelten Kompetenzrastern Fortschritte und Ergebnisse festgestellt. Im „Projekt Verantwortung“ sucht sich jeder Schüler eine Aufgabe im Kiez: Vorlesen in der Kita, Helfen im Altenheim. „Wir müssen uns an den Stärken der Schüler orientieren, nicht immer bloß ihre Schwächen ermitteln“, sagt Kauert.
Luxuswohnen in Aufwertungsvierteln
Uwe Rada beschriebt in seinem Beitrag Townhouses: Die Stadt im Dorf lassen die neu entstehenden Luxuswohnenklaven in den Berliner Aufwertungsvierteln. Statt ’neuer Urbanität“ so seine Beobachtung, setzt sich in Bauprojekten wie ‚Marthashof‚, ‚Prenzlauer Gärten‚ oder ‚Haus und Hof‚ein eher suburbaner Lebensstil (Familien, Eigenheim und Garten) durch.
Im alternativ gesettelten Prenzlauer Berg sind derzeit die „Winsgärten“ und der „Prenzlauer Bogen“ geplant, beides schicke, sich selbst genügende Wohnanlagen, die den Abstand zur umliegenden Stadt gar nicht erst dementieren, sondern ihn ausdrücklich betonen. (…) Schließlich wirbt, gewissermaßen als Höhepunkt neuen städtischen Lebensgefühls, der im Entstehen befindliche „Marthashof“ in der Schwedter Straße mit seinen „urban villages“. Stadt und Land am gleichen Ort? Nichts scheint mehr unmöglich.
Aus dem Kreise der Stadtforschung erhält Uwe Rada Unterstützung für seine Thesen:
(…) die Stadtsoziologin Christine Hannemann sieht in der neuen Wohngemütlichkeit eine Provinzialisierung. „Im Prenzlauer Berg“, sagt sie aber, „ging es schon vorher provinziell zu“. Sozial und kulturell entwickele sich der Bezirk aus der Stadt heraus. Einst typisch gemischtes Altbauquartier ist der Prenzlauer Berg längst zum homogenen Quartier der alternativen Mittelschicht geworden, eine Art schwäbisches Muschterbezirkle in grün. „Nicht die Prenzlauer Gärten oder Marthashof sind provinziell“, so Hannemann, „es ist der ganze Bezirk.“
„Mittleklassen“? POLARIS on Culture and “Class” : http://polarisinternational.wordpress.com/2011/11/27/polaris-on-culture-and-class/
Vielen dank!