Hartmut Häußermann, ehemaliger Professor für Stadt- und Regionalsoziologie an der Humboldt-Universität zu Berlin war gestern zum Grünen Mietenkongress geladen und und durfte dort das Impulsreferat halten. Wesentliche Argumente sind auch in den Zeitschrift des Landesverbandes der Grünen „Stachlige Argumente“ nachzulesen (Leider noch nicht online verfügbar).
Er interpretiert darin die aktuellen Aufwertungsprozesse in Berlin als einen „Kampf um den Raum“ (Stachlige Argumente 177, 1/2010, 4-7) und beschreibt das Problem der Gentrification als eine Ungleichzeitigkeit räumlicher und sozialer Prozesse. Er versteht darunter die gleichzeitige Nachfrage von bestimmten Innenstadtquartieren durch Gruppen „mit ähnlichen Lebensstilen aber unterschiedlicher Finanzausstattung“. Den Kern dieser Prozesse bezeichnet Häußermann als Verdrängung:
„Verdrängung“ heißt dass hier ein Machtkampf stattfindet, das heißt, dass eine Konkurrenz um Wohnmöglichkeiten in einem Quartier zwischen Hauhalten mit ungleichen Ressourcen besteht. In einer Marktwirtschaft entscheidet dann vor allem die Verfügung über Geld, wer zu den Gewinnern und wer zu den Verlierern zählt.
Diese Beschreibung der Berliner Aufwertungsdynamiken ist nicht an sich ungewöhnlich, steht aber für den allgemeinen Wahrnehmungswechsel hinsichtlich der Stadtentwicklungsprozesse in der Berliner Innenstadt. Häußermann hatte zuvor lange Zeit vor einem allzu inflationären Gebrauch eines Gentrificationbefundes gewarnt und beispielsweise die Aufwertungen in den Sanierungsgebieten von Prenzlauer Berg als „sozialen Wandel“ beschrieben.
Die neue Unaufgeregtheit im Umgang mit den Gentrification-Ansätzen basiert wesentlich auf den unübersehbaren Veränderungen des Wohnungsmarktes und der weitgehend unregulierten Durchsetzung von wohnungswirtschaftlicher Marktdynamiken in Berlin. Noch Ende der 1990er Jahre ließen Untersuchungen in den Sanierungsgebieten von Prenzlauer Berg die Interpretation zu, dass vor allem kulturelle und soziale Ressourcen entscheidend für den Verbleib in den Nachbarschaften seien (Häußermann/Holm/Zunzer 2002). Die neue Einschätzung steht also weniger für eine Revision früherer Feststellungen sondern reflektiert den weitgehenden Rückzug von Regulationsinstrumenten und Verhandlungsmomenten in den Sanierungsprozessen.
Entsprechend nimmt die Mietentwicklung in den Aufwertungsgebieten eine zentrale Rolle in der Argumentation von Hartmut Häußermann ein:
Das Wohnungsangebot in einer Stadt kann nach der durchschnittlichen Miethöhe in verschiedenen Segmente eingeteilt werden. Gentrification bewirkt, dass das Wohnungsangebot in einem Quartier von einem niedrigen Preissegment in ein höheres transformiert wird. (…)
Politisch brisant wird es, wenn sich Wohnmöglichkeiten durch die Verteuerung der Mieten in einem bestimmten Gebiet für Haushalte mit unterdurchschnittlichen Einkommen vermindern und ein rascher sozialer Wandel die Folge ist. Das ist gemeint, wenn von „Verdrängung“ die Rede ist. Verdrängt werden einzelne Haushalte aus einer bestimmten Wohnung nur selten, wenn die Bewohner ihre Rechte kennen und diese geltend machen. Eine starke Erhöhung der Mieten kann aber beim Mieterwechsel vorgenommen werden. Verdrängt werden also nicht sogenannte „angestammte Mieter“, sondern eine niedrige Einkommensschicht. In Quartieren in denen die Mieter häufig wechseln, kann sich Gentrification daher rascher vollziehen als in Quartieren, wo wenig Bewegung zu beobachten ist.
In dieser Erklärung werden direkte (individuelle) und indirekte (gebietsbezogenen) Verdrängungseffekten unterschieden. Entsprechend richten sich die vorgeschlagenen Strategien zur Verhinderung einer weiteren Spaltung der Stadt einerseits auf die Stärkung der individuellen Position einzelner Mieter/innen (z.B. durch gezielte Mietrechtsberatung) und andererseits auf die Begrenzung von Mietsteigerungen und den Erhalt bzw. die Schaffung preiswerter Wohnungen in den Aufwertungsgebieten.
Wenn die Stadtpolitik (…) den Zuzug von Menschen mit höheren Einkommen und höherem Bildungsstand akzeptiert, sollte sie dies nur tun, wenn gleichzeitig für Wohnmöglichkeiten für unterprivilegierte Haushalte in allen Teilen der Stadt gesorgt wird. Das wäre z.B. durch den Neubau von öffentlich geförderten Wohnungen, durch eine gezielte Belegungspolitik der kommunalen Wohnungsbaugesellschaften auch in attraktiven Wohngegenden oder durch die Förderung von Selbsthilfe bzw. Baugenossenschaften möglich.
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