Hamburg: Kündigungsgrund Aufwertungskritik?

Das städtische Wohnungsunternehmen in Hamburg, die SAGA, ist in den vergangenen Monaten vor allem durch Mieterhöhungen (Morgenpost: SAGA Mieten immer teurer) aufgefallen und in die Kritik geraten (Initiative Mietenstopp sofort!). Die Konfrontation mit den Aufwertungsgegner/innen hat nun eine neue Stufe erreicht.

Im Aufwertungsverdachtsgebiet rund um die Fährstraße in Hamburg-Wilhelmsburg kündigte die SAGA dem dortigen Infoladen.  Von der zunächst begründungslosen Kündigung zum 30.6.2010 überrascht, suchten die Aktivist/innen das Gespräch mit den zuständigen Mitarbeiter/innen des städtischen Wohnungsunternehmens. Ein Einlenken der SAGA konnte nicht erreicht werden, doch erfuhr der Trägerverein des Infoladens den Grund der kurzfristigen Kündigung:

Grund ist die IBA-kritische Haltung der Ladenbetreiber. Der Vereinsvorstand trat ins Gespräch mit dem zuständigen Kündigungsbevollmächtigten der SAGA, konnte jedoch keine positive Wendung für den Infoladen erwirken. „Die SAGA war nicht bereit, die Kündigung zurück zu ziehen. Vereine, die sich kritisch mit der IBA auseinander setzen, werden keine Flächen mehr anmieten können. (Presseerklärung des Infoladens)

Selbst die Hamburger Morgenpost schreibt: „SAGA kündigt Bauaustellungsgegnern„. Zur Erinnerung: die Internationale Bauausstellung (IBA) hat sich zum Ziel gesetzt, das bisher als soziales Problemgebiet stigmatisierte Wilhelmsburg mit einem ‚Sprung über die Elbe‚ zur ‚Neuen Mitte‚ Hamburgs zu entwickeln. Stadtteilgruppen wie der AKU Wilhelmsburg oder auch die Initiative IBAfluessig kritisierten seit längerem die einseitige Aufwertungsorientierung der IBA-Projekte (siehe „Die Insel denen, die drauf wohnen“(pdf)). Auch der Infoladen Wilhelmsburg beteiligte sich an diesen Protesten und hängte IBA-kritische Plakate in und an den Laden.

Während die IBA relativ stoisch versucht, die kritischen Stimmen zu überhören, schlägt nun offenbar die SAGA eine härtere Gangart an. Es mag zunächst verwundern, warum eine Wohnungsbaugesellschaft für ein Großprojekt wie die IBA in die Bresche springt. Doch der Zusammenhang ist schnell hergestellt: Die IBA als städtisch initiiertes und öffentliches Stadtentwicklungsinstrument und die SAGA im städtischen Eigentum agieren gleichermaßen im Fahrwasser der unternehmerischen Stadtpolitik in Hamburg. Als größter Wohnungsanbieter in Wilhelmsburg verbinden sich für die SAGA darüber hinaus ganz direkte Unternehmensinteressen mit der angestrebten Aufwertung. Bereits jetzt zeigt sich, dass die SAGA immer dort einspringt, wo die IBA keine privaten Investor/innen für ihre Projekte findet.

Und so wäscht dann eine Hand die andere: während sich die IBA mit ihrer Beteiligungs- und Partizipationsrhetorik einen repressiven Umgang mit kritischen Positionen nicht leisten kann, sitzt die SAGA als Vermieterin am längeren Hebel und kann Räume kündigen. Was kommt als Nächstes? Müssen Gewerbemieter/innen in SAGA-Häusern demnächst ihre Loyalität gegenüber den IBA-Plänen beschwören? Wird Aktivist/innen von Mieterorganisationen und Stadtteilinitiativen der Mietvertrag gekündigt, weil das Vertrauensverhältnis zwischen Vermieter/in und Mieter/in gestört ist?

Kleine Randnotiz: Klassisch für Aufwertungspioniere ist am Vorgang rund um die skandalöse Kündigung durch die SAGA aber auch die Reaktion der linken-subkulturellen Szene, die den Infoladen mehrheitlich nutzt. Bisher standen Stadtentwicklungsfragen dort eher am Rande der Themensetzungen (so gibt es beispielsweise auf der Webseite des Infoladens bis heute keinen Link zum AKU Wilhelmsburg oder dem Recht auf Stadt Netzwerk in Hamburg). Erst jetzt, wo es um die eigenen Frei- und Spielräume geht, wird plötzlich die Stadtpolitik als Thema entdeckt und mit ausführlichen Positionspapieren gewürdigt. Basisverankerung im Stadtteil kann sicher auch für linksradikale Infoläden anders aussehen und hätte für die kommenden Auseinandersetzungen gegen die Kündigung eine bessere Ausgangslage geschaffen. Nun bleiben nur noch knapp 10 Wochen, um bisher vernachlässigtes Terrain aufzuholen…

7 Gedanken zu „Hamburg: Kündigungsgrund Aufwertungskritik?

  1. Mal ’ne Frage zu folgendem:
    Die IBA als städtisch initiiertes und öffentliches Stadtentwicklungsinstrument und die SAGA im städtischen Eigentum agieren gleichermaßen im Fahrwasser der unternehmerischen Stadtpolitik in Hamburg. Als größter Wohnungsanbieter in Wilhelmsburg verbinden sich für die SAGA darüber hinaus ganz direkte Unternehmensinteressen mit der angestrebten Aufwertung. Bereits jetzt zeigt sich, dass die SAGA immer dort einspringt, wo die IBA keine privaten Investor/innen für ihre Projekte findet.

    Widerspricht sich das nicht? Wenn die IBA keine privaten Investor/innen für ihre Projekte findet und dann die SAGA einspringt. Da können sie doch immer behaupten: wir tun das doch nicht aus unternehmerischem Interesse. Es rechnet sich nicht und daher meldet sich kein Privatinvestor also machen wir das weil wir ja unseren sozialen Auftrag haben…

  2. Hallo HH,

    das Problem der IBA ist aber, dass es sich gar nicht vordergründig um eine soziale Ausrichtung handelt, die dann möglicherweise von der öffentlichen Wohnungsbaugesellschaft (SAGA) unterstützt wird. Vielmehr geht es um Aufwertungsprojekte und die Etablierung eines höherwertigen Eigentumssegmentes in Wilhelmsburg. Die Motivation der SAGA dürfte es dabei sein, den Erfolg der IBA-Projekte zu sichern, damit sich die Aufwertungsdynamik tatsächlich verfestigt. Ob das letztendlich aufgeht, muss sich jedoch erst noch zeigen.

    In der im Beitrag zitierten AKU-Broschüre „Die Insel denen, die drauf wohnen“ findest du auch schon einige Beispiele zu den sozialen Auswirkungen einzelner Maßnahmen.

  3. zu:…..es sich gar nicht vordergründig um eine soziale Ausrichtung handelt…
    Ich habe mir die IBA Papiere nicht durchgelesen, kannst du mir dazu mal die Links schicken.
    Und heißt das, es gibt zumindest zwei Gruppen und je nach dem um wen es sich handelt, wird die Sache unterschiedlich begründet?
    Ich denke jetzt mal an die Stadtplaner.
    Ich vermute…..Aufwertungsprojekte und die Etablierung eines höherwertigen Eigentumssegmentes in Wilhelmsburg…..daran haben doch nur bestimmte Kreise wirklich Interesse. Die Stadtplaner selber aber müssen sich um ihre Arbeit für sich selbst zu legitimieren immer wieder die, ich nenn das jetzt mal „sozialen Vorteile“ einreden. Sich sozusagen immer wieder selbst belügen. Und wenn sie das tun, dann funktioniert die Argumentation der Städte mit ihren öffentlichen Wohnungsbaugesellschaften, die dann einspringen, wenn kein privater Investor das Risiko übernehmen will schon wieder.

  4. die offiziellen Perspektiven zur IBA findest du auf deren Webseite (http://www.iba-hamburg.de)

    Kritische Bewertungen dazu u.a. hier:
    http://data5.blog.de/media/304/3449304_1a810f4cc4_d.pdf

    Neben den Bauprojekten gibt es eine ganze Reihe von Programmen, die Beteiligung, interkulturelle Kompetenz und Bildung in den Vordergrund stellen. Das passt sicher zu den von dir beschriebenen „sozialen Vorteilen“.

    Als Bauausstellung besteht der Schwerpunkt der Aktivitäten jedoch relativ deutlich in Bauprojekten – und die beziehen sich mehrheitlich auf Aufwertungsmaßnahmen (bei denen auch die Miete steigt) oder Neubauprojekte im Eigentumsbereich. Der Widerspruch zu den sozialen Legitimationszwängen der Stadtplaner/innen ist dabei gar nicht so groß, denn die offizielle Vorstellung in Hamburg (und auch in vielen anderen Städten) ist ja, dass durch die Ansiedlung einer Mittelklasse sich auch die Lebensbedingungen der ökonomisch benachteiligten Haushalte verbessern würden. Die Bewirtschaftungspolitik der SAGA weist in eine ähnliche Richtung – so wurden im Vergangenen Jahr beispielsweise preiswerte Lockvogelangebote für Studierende in Veddel und Wilhelmsburg angeboten, um das Klientel der Siedlungen zu ‚durchmischen‘.

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  6. Hallo AH,
    wir bedanken uns, dass unser Anliegen, auch auf dieser Seite Aufmerksamkeit findet. Jedoch ist es uns wichtig, uns zu deiner „Randbemerkung“ zu äußern. Da du nicht mit uns in persönlichen wie virtuellen Kontakt getreten bist und wir keinen zu dir haben, also hier:
    Erstmal ist es wichtig, dass verstanden wird, dass der Infoladen entstanden ist aus der Idee, einen Raum zu schaffen, der Strukturen zugänglich gemacht wird, damit sie ihre politische wie soziale Arbeit machen können. Die „Raum-Macher_Innen“ sind keine politische Gruppe an sich. Dennoch haben sie einen politischen Anspruch formuliert: Im Infoladen Wilhelmsburg existiert ein antisexistischer, antirassistischer und antifaschistischer Grundkonsens, der Ausgangspunkt für jegliches soziales Leben im Laden ist.
    Aufbauend auf diesen Gedanken und aufgrund des Faktes der enormen Heterogenität der Menschen im Laden gibt es keine umfassende Kategorisierung des Ladenkonzeptes als „linksradikal“. Jeder Mensch, der diesen Grundkonsens akzeptiert hat, kann sich selbstbestimmt in den Laden einbringen.

    Zum Thema Vernetzung: unsere Kontakte sind zum AKU und „Recht auf Stadt“- Bündnis von perönlicher und sozialer Art , heißt, wir sprechen miteinander, da wir im selben Viertel leben und nicht über Listen oder Web-Kontakte.

    Übrigens gab und gibt es von einzelnen Gruppen, die Nutzer_Innen des Ladens sind, schon vor längerer Zeit veröffentlichte Arbeiten zum Thema Umstrukturierung. Ein Besuch im Laden würde helfen, denn hier liegen Broschüren u.a. von diesen Gruppen zum Thema aus.
    Ja,wir haben bis jetzt keine Papiere zur Umstrukturierung veröffentlicht, da wir zum Einen keine politische Gruppe sind, die aus Polit-checkern besteht und zum Anderen daran, dass wir meist leider damit ausgelastet sind, die Öffnungszeiten und dementsprechenden regelmäßigen Termine personell zu besetzen und dafür zu sorgen, dass die nächste Miete da ist, der Raum sauber, die Infos aktualisiert sind…
    Umso schöner finden wir es auch als „Raumorga“, dass wir in solch akuter Situation es schaffen, uns zusammen zu setzen, ein Positionspapier zu schreiben und eine Öffentlichkeitskampagne zu starten. Und auch wir hoffen darauf, dass diese Motivation und das Interesse anhalten und auch weiterhin zu produktiven Handlungen führen wird, so dass wir irgendwann Menschen mit deinem Anspruch genügen können, auch wenn sie nur von weitem auf uns gucken…

    Also wir bitten dich, bevor du das nächste Mal uns einer gängigen Kritik an linksradikalen „Freiräumen oder Spielräumen“ aussetzt, die grundsätzlich diskutabel ist, sprich mit uns und frage uns, was du wissen willst, wird sind sehr an konstruktiven Dialogen interessiert.

    Nichtdestotrotz denken wir über deine Worte nach und danken dir für den Hinweis, auch unsere Homepage mit Links zu verbinden, damit auch Besucher_Innen der Seite vollständig informiert werden können. Und nutzen deine Randnotiz einfach als Ansporn inhaltlichen Debatten auch im Orga-Plenum mehr Raum zu geben.

    Nichts für ungut-

    Grüße vom Infoladen Wilhelmsburg

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